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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

411–412

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Neuber, Carolin

Titel/Untertitel:

Affirmation und Anfechtung. Untersuchungen zu den Reden der Gegner in den Psalmen.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 304 S. = Herders biblische Studien, 93. Geb. EUR 55,00. ISBN 978-3-451-37790-7.

Rezensent:

Nancy Rahn

Die im Wintersemester 2017/2018 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertationsschrift angenommene Arbeit von Carolin Neuber untersucht die Reden der Gegner in den Psalmen mit Fokus auf den Texten Ps 9/10 und Ps 73. N. widmet sich damit einem in der alttestamentlichen Forschung der letzten Jahre neu belebten Themenfeld: den Gegnern, Feinden, Frevlern im Psalter.
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. Diesen ist eine kurze Hinführung vorangestellt, die sich einleitend zunächst dem Gegensatz zwischen Frommen und Frevlern in den Psalmen widmet, um dann Eckpunkte der Forschungsgeschichte zum Themenbereich »Feinde und Frevler in den Psalmen« zu benennen und schließlich die Grundlinien der vorliegenden Untersuchung zu skizzieren. Ihr sind zwei Anhänge und ein Bibelstellenregister beigegeben.
Der Zugriff N.s zeichnet sich dadurch aus, dass sie verschiedene Ansätze der Forschung (bspw. sozialgeschichtliche und rezeptionsästhetische) zu kombinieren sucht und den Fokus deutlich auf das Phänomen des (zitierten/referierten) Redens der Gegner lenkt.
Das erste Kapitel enthält zunächst die sprachwissenschaftliche Grundlegung. Es führt ein in Begrifflichkeit, Funktionen und Kennzeichnung referierter Rede und bietet im letzten Teil einen Überblick über das Phänomen im Psalter. N. versteht es, den Untersuchungsgegenstand präzise zu umreißen, indem sie linguistische Erkenntnisse auf die Psalmen anwendet und so die Frage klärt, wie referierte Rede im Biblischen Hebräisch erkannt und gegenüber anderen Phänomenen abgegrenzt werden kann. Der Überblick über die entsprechenden Belege am Ende des Kapitels erklärt so­wohl die in der bisherigen Forschung erarbeiteten Funktionen von Feindzitaten und bietet zudem eine zusätzliche Perspektive: Die referierten Reden der Gegner verhandeln und erweitern den für die Psalmen charakteristischen Beziehungsraum zwischen Gott, den Gegnern und den Betenden. Aspekte einer Definition der den Frevlern in den Psalmen und der vorliegenden Studie immer wieder gegenübergestellten »Frommen« (für Ps 9/10 die »Armen«) sind, soweit ich sehe, nicht gebündelt, sondern an einzelnen Stellen angesprochen (69.178, sehr interessant auch die Zusammenfassung auf 246 u. ö.) und ließen sich sicher mit Gewinn noch weiter diskutieren.
Kapitel 2 widmet sich dem ersten ausführlichen Beispieltext, Ps 9/10. N. klärt zunächst die Textbasis und bietet dann eine detailreiche Auslegung der Reden des Frevlers. Ebenso verfährt sie in Kapitel 3 mit Ps 73. Für Ps 9/10 ist hinsichtlich des Beziehungsraumes des Psalms vor allem das Verhältnis der Feind-Beschreibung zur Darstellung der Armen in diesem Text wichtig, für Ps 73 ist es das Verhältnis der Feind-Beschreibung zum Ich des Psalms, das sich in der Gegenüberstellung von referierter Rede des Gegner und Selbstzitat des Ichs konkretisiert. Für beide werden die Macht der Sprache sowie die Unbestimmtheit des sprechenden Subjekts herausgestellt.
Die Textanalyse-Kapitel lassen sich auch unabhängig des thematischen Rahmens der Feindproblematik als ausgezeichnete Kommentierung dieser Einzelpsalmen lesen und leisten jeweils für sich einen Beitrag zur Erforschung der betreffenden Texte Ps 9/10 und Ps 73. Besonders die Überlegungen zur Raumsymbolik sowie die tiefgehende Analyse der referierten Reden und ihrer Einbettung in den Text führen über den bisherigen Stand der Diskussion dieser Psalmen hinaus. Die erhellende und materialreiche Erörterung der Bedeutung der Aussage םיהלא ןיא (Ps 10,4b) zeigt paradigmatisch den umsichtigen und präzisen Umgang N.s mit dem Material (123–138). Durch die Textauslegungen wird die Komplexität der Stimmen-Konstellationen in den Psalmen neu zu Bewusstsein gebracht und den Lesenden zugänglich gemacht. Hilfreich sind zudem die den Kommentierungen beigegebenen schematischen Darstellungen der Struktur der Psalmen (113.208).
In einem letzten Kapitel schließlich werden die gewonnenen Erkenntnisse konzise gebündelt und überführt in Hinweise zur Beschreibung des »Frommen« und seiner Identifikationspotentiale, die auch für das Verständnis der Rezeptionsgeschichte der betreffenden Psalmen fruchtbar sind. Hier betont N. neben dem erwartungsgemäßen Kontrast, der zwischen Feind und Betendem hergestellt wird, vor allem die Möglichkeit, dass die zugeschriebenen Rollen auch ineinander übergehen können. Für Leser und Leserinnen ermöglicht dies den Nachvollzug der Situation des Betenden, für den aus der Rede des Feindes die größte Gefährdung seiner selbst und seiner Beziehungen erwächst.
Interessant wären – so auch von N. selbst angedeutet (74) – weiterführende Überlegungen, die über die Analyse von Einzeltexten hinausweisen in Richtung einer Psalmen- und Psalterexegese, die, neben dem Psalter masoretischer Tradition und seinen Teilkompositionen, auch die Tradition der Septuaginta und der Psalmen aus Qumran einbezieht.
Die bereits preisgekrönte Studie von N. zeichnet sich aus durch eine klare Fragestellung, interessante Textbeobachtungen und eine große Anschlussfähigkeit für die laufende Forschung zu den Beziehungskonstellationen und ihrer Bedeutung in den Psalmen, aber auch für die sprachliche und motivgeschichtliche Analyse anderer Textbereiche. Ihr ist eine breite Rezeption nur zu wünschen.