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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

360–362

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Vosberg, Barbara

Titel/Untertitel:

Deutsche Katholiken und das Heilige Land im Spiegel der Publikationen des Deutschen Vereins vom Heiligen Land und der Deutschen Statthalterei des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem 1855–1970.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2019. X, 390 S. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-13414-6.

Rezensent:

Georg Röwekamp

Die Geschichte des Engagements der deutschen Protestanten im Heiligen Land seit dem 19. Jh. ist dank des Werkes von Alex Carmel und seiner Schüler seit Längerem recht gut erforscht. Das gilt nicht im gleichen Maße für die Aktivitäten der deutschen Katholiken. Hier waren es bisher vor allem die Werke von Haim Goren (»Echt katholisch und gut deutsch«. Die deutschen Katholiken und Palästina 1838–1910, Göttingen 2009) und von Oliver Kohler (Zwischen christlicher Zionssehnsucht und kaiserlicher Politik. Die Entstehung von Kirche und Kloster »Dormitio Beatae Mariae Virginis« in Jerusalem, St. Ottilien 2005), die wichtige frühe Etappen dieses Engagements nachzeichneten.
Die Dissertation von Barbara Vosberg beschäftigt sich nun mit den wichtigsten Akteuren in diesem Feld, dem Deutschen Verein vom Heiligen Lande (DVHL) (inklusive seiner Vorgänger, dem »Verein vom Heiligen Grabe«, gegr. 1855, und dem »Palästina-Verein der Katholiken Deutschlands«, gegr. 1885) sowie dem Ritterorden vom Heiligen Grab (OESSH, formell gegründet 1868). Sie untersucht die Publikationen beider Organisationen im Zeitraum 1855–1970. Dabei geht es ihr allerdings nicht um die Dokumentation der äußeren Aktivitäten des Vereins und des Ordens, sondern vor allem um die dahinterstehenden Motivationen und Konzepte.
Dabei ist sich V. bewusst, dass der Historisierbarkeit von Ideen- und Glaubensgut Grenzen gesetzt sind. Dennoch versucht sie, die vielen Fragmente des kommunizierten Gedachten, Geglaubten, Gedeuteten und Gewollten zu einem Gesamtbild zusammenzu-fügen und in einem größeren Zusammenhang zu verorten. Auch ist sie sich bewusst, dass die Selbstmitteilungen beider Gruppie-rungen Spiegel subjektiver Identitätskonstruktionen sind, die an ebenso subjektive Weltanschauungen und Wahrnehmungen eines multiplen Anderen gebunden waren. Auf diesem Hintergrund fragt die Studie nach Versuchen der »Einfühlung« in das Andere, nach Annäherungsprozessen und nach deren Auswirkungen.
Nach einem 1. Teil zu historischer Einordnung, Problemstellung und Methode (7–36) widmet sich der 2. Teil dem »Friedlichen Kreuzzug« als Sendungskonzept der deutschen Katholiken im langen 19. Jh. (37–155). Der 3. Teil stellt die changierenden Kreuzzugskonzeptionen in der Zwischenkriegszeit dar (156–248), der 4. Teil die Konzeptionen und Diskurse in der Nachkriegszeit bis 1970 (247–334). Ein 5. Teil, zusammen mit Resümee und Ausblick, fasst die Befunde in der longue durée zusammen (335–362).
Schon an den Überschriften wird deutlich, wie sehr und wie lang das europäische Engagement im Heiligen Land, und damit auch das der deutschen Katholiken, von einer Transformation der Kreuzzugsidee geprägt war. (Das ist auch von Seiten der Kreuzzugsforschung, u. a. durch Jonathan Riley-Smith, in den letzten Jahrzehnten deutlich herausgearbeitet worden.) V., Mitglied in beiden untersuchten Organisationen, zeigt aber auch auf, wie sich dies Konzept, nicht zuletzt durch die Staatsgründung Israels und die Rezeption des 2. Vatikanums, verändert hat. Dabei fiel und fällt es dem DVHL – auch aufgrund der unterschiedlichen geschichtlichen Wurzeln – leichter als dem OESSH, an Stelle des friedlichen Kreuzzugs die Idee eines »Dialogs auf Augenhöhe« zu adaptieren und sich als »Brückenbauer« zu präsentieren, während der Orden weiterhin leicht paternalistisch davon spricht, »für die im Heiligen Land verbliebenen Christen zu sorgen«.
Als Beispiel für die Veränderung der Selbstdarstellung des DVHL stellt V. beispielsweise heraus, dass der Verein inzwischen – anders als noch in dessen Nachruf 1959 – mit Stolz auf die »mutige Tat« des langjährigen Generalsekretärs Gustav Meinertz verweist, der in der Reichspogromnacht trotz Widerstand von SA-Männern eine Thorarolle aus der brennenden Kölner Synagoge gerettet hat. Nicht zuletzt dies dient ihr als Beleg dafür, dass der Verein »die postvatikanischen Sinnbedürfnisse einer Zielgruppe bedient, deren Alltagswelten von gesellschaftlicher und kultureller Pluralität geprägt sind«.
Insgesamt wird die »Transformation und Modifizierung eines urchristlichen Sendungskonzeptes« (357) eindrucksvoll herausgearbeitet und in der Theologiegeschichte verortet, ohne Brüche und Inkonsequenzen zu kaschieren. Dabei wird auch hier ein »Sonderweg« der deutschen Katholiken als Angehörige einer »verspäteten Nation« und als Kulturkämpfer sichtbar.
Auf eine Einschränkung der Arbeit hat V. bereits in der Einleitung (23) aufmerksam gemacht: Es war nicht möglich, zu untersuchen, ob und wie die Sendungskonzepte von DVHL und OESSH von ihren einstigen »Zivilisierungs- und Missionsobjekten« wahrgenommen und bewertet wurden. Und man möchte ergänzen (auch aus der Sicht des Rezensenten, der selbst für den DVHL in Jerusalem tätig ist): Die Selbstdarstellungen geben nur begrenzt Auskunft darüber, in welchem Verhältnis Selbstbild und tatsächliche Aktivitäten vor Ort zueinander standen.
Es ist aber das große Verdienst dieser lesenswerten Studie, dass sie die ideologischen Hintergründe des deutschen katholischen Engagements im Heiligen Land in den vergangenen 150 Jahren nachzeichnet und in die Ideen-, Mentalitäts- und Glaubensgeschichte einordnet. Sie stellt damit einen wichtigen Beitrag zu der ebenfalls »verspäteten« Erforschung dieser Aktivitäten dar und bildet für wünschenswerte weitere Forschungen einen unverzicht-baren Referenzpunkt.