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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

338–339

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Cochran, Elizabeth Agnew

Titel/Untertitel:

Protestant Virtue and Stoic Ethics.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2017. 232 S. = T & T Clark Enquiries in Theological Ethics. Geb. US$ 114,00. ISBN 978-0-567-67135-6.

Rezensent:

Christoph Stumpf

Das Verhältnis zwischen reformatorischer Theologie und dem Stoizismus hat die theologische Ideengeschichte schon seit der Reformationszeit immer wieder bewegt: Reformatorische Theologen stellten sich teilweise bewusst in stoische Traditionen, teilweise wurde ihnen – beispielsweise Calvin – Stoizismus zum Vorwurf ge­macht, gelegentlich haben sie ihre Vorstellungen auch in kritischer Auseinandersetzung mit dem Stoizismus entwickelt.
Das von Elizabeth Agnew Cochran selbst formulierte Ziel dieses Buches ist es, Ansätze einer christlichen Tugendethik aus einem konstruktiven Dialog von drei Theologen protestantischer Tradi-tion – Martin Luther, Jean Calvin und Jonathan Edwards – mit den römischen Stoikern zu entwickeln.
In einem ersten Kapitel, »Protestant Virtue Ethics and the Re­trieval of the Stoics« (45 Seiten), führt C. in die Problemstellung und ihre Methodik ein. Das zweite Kapitel, »A Roman Stoic Ethic of Assent« (43 Seiten), präsentiert einige der herausragenden Denker der römischen Stoiker und vier für die protestantische Tugend-lehre relevanten Themen, namentlich die prohaíresis, die strikte stoische Dichotomie zwischen Tugendhaftigkeit und Tugendlosigkeit, das Wirken der göttlichen Vorsorge und die stoische apá-theia. Das dritte Kapitel, »The Primacy of Faith in a Protestant Virtue Ethic« (47 Seiten), beleuchtet das reformatorische Verständnis des Glaubens sowohl in seinem kognitiven als auch in seinem (Gott-)vertrauenden Aspekt jeweils bei Luther, Calvin und Ed­wards. Mit dem vierten Kapitel, »Conversion, Transformation, and Christian Progress: Protestant Soteriology and the Formation of Moral Character«, (25 Seiten) wendet sich C. der Rechtfertigung des Einzelnen vor Gott sowie Fragen der moralischen Entwicklung in ihren jeweiligen Ausprägungen bei Luther, Calvin und Edwards zu. Das fünfte Kapitel, »Providence, Necessity, and the Human Will: Moral Agenc in Historical Protestant Ethics« (34 Seiten), thema-tisiert das gegenseitige Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Handeln, wobei wiederum jeweils die Positionen von Calvin, Luther und Edwards miteinander verglichen werden. Im sechsten Kapitel, »Emotions in the Virtuous Life« (22 Seiten), analysiert C. die Bedeutung von Gefühlen für die Bildung des moralischen Charakters einer Person in den Werken von Luther, Calvin und Edwards. Schließlich zeigt C. im siebten Kapitel, »Future Prospects for Protestant Virtue Ethics« (vier Seiten), einige Perspektiven für die weitere tugendethische Debatte im Pro-testantismus auf, wobei sie vor allem auf Absätze bei Helmut Richard Niebuhr hinweist. Ein Literaturverzeichnis und ein vergleichsweise umfangreicher Index runden das Werk ab.
Mit »Protestant Virtue and Stoic Ethics« ist C. – auf insgesamt 198 Seiten – eine konzise und gut lesbare Analyse des Wechselspiels zwischen Stoizismus und reformatorischer Theologie gelungen. In Anbetracht des vergleichsweise geringen Umfangs mögen die Ausführungen vereinzelt im Skizzenhaften verbleiben, doch geht dies nicht auf Kosten der Anschaulichkeit der Darstellung. Zwar mögen die Lehren von Luther und Calvin für europäische Leser bekannt genug sein, aber auch insoweit dürften sich vielleicht gelegentlich neue Einsichten einstellen; eine gewisse Beschränkung erfährt die Untersuchung freilich durch die ausschließliche Verwendung von englischen Übersetzungen der Primärquellen Luthers und Calvins und die alleinige Verwertung englischsprachiger Sekundärliteratur. Von besonderem Interesse für das europäische Publikum mag aber vor allem C.s Befassung mit Jonathan Edwards sein, der als kongregationalistischer Prediger und herausragende Figur der nordamerikanischen Erweckungsbewegung des 18. Jh.s hierzulande eher unbekannt sein dürfte. Dem Werk C.s ist auch vor diesem Hintergrund eine entsprechende Aufmerksamkeit zu wünschen.