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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

326–327

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Carmichael, Casey B.

Titel/Untertitel:

A Continental View: Johannes Cocceius’s Federal Theology of the Sabbath.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. 192 S. = Reformed Historical Theology, 41. Geb. EUR 64,99. ISBN 978-3-525-55278-0.

Rezensent:

Kai-Ole Eberhardt

Casey B. Carmichael leistet mit dieser aus seiner Genfer Disserta-tion hervorgegangenen, sehr gelungenen Darstellung der Deutung des Sabbat bei Johannes Coccejus vor allem dreierlei: Erstens er­gänzt sein »continental view« die bisher auf den englischen Puritanismus konzentrierte Forschung um ein exzellent gewähltes Beispiel der Sabbattheologie in der reformierten Orthodoxie auf dem europäischen Festland. Durch das exemplarische »Puzzlestück« (7) des Johannes Coccejus schafft C. einen guten Ausgangspunkt für weitere Arbeiten. Ein kurzer Überblick über die Forschungsliteratur zum niederländischen Sabbathstreit (18–21) lässt zwar die auf die voetianische Gegenposition ausgerichtete Literatur missen, zeigt aber überzeugend, dass gerade Coccejus’ Sabbatlehre bislang zu wenig behandelt und mitunter missverstanden worden ist (19). Die zweite Leistung C.s besteht dementsprechend in deren Rekonstruktion. Er legt dazu zentrale Schriften des Coccejus aus dem Leidener Sabbatstreit von 1655–1659 und darüber hinaus aus und zeigt dabei die theologische Entwicklung ihres Verfassers (vgl. zur dia chronen Methode, 21). So bietet er einen ganz eigenen Zu­gang (»window«, 7.11) zu Coccejus’ gesamter Theologie. In Anknüpfung an die aktuelle Coccejusforschung (guter Überblick, 13–17) kann C. zeigen, dass der Sabbatfrage eine entscheidende Funktion für die Bundestheologie des Coccejus zukommt. Drittens leistet C. mit der Aufarbeitung von Coccejus’ Sabbattheologie einen wichtigen Beitrag für das Verständnis der Kontroverse zwischen Coccejanern und Voetianern, die sich am Sabbat entzündet hatte. Während die Voetianer aus dem Sabbatgebot die strikte christliche Pflicht der Sonntagsheiligung ableiten, weist Coccejus das Gebot konsequent dem Gnadenbund zu und stellt sich damit gegen dessen rigorose Befolgung.
C. liefert zweifellos gelungene Detailexegesen zu den Schriften des Coccejus, aber handelt leider die Aufarbeitung des kontroverstheologischen Kontextes und der Argumente von Coccejus’ Gegnern zu schnell ab. Dies geschieht zugunsten der sympathischen Kürze und des konzisen Stils seiner Darstellung, muss aber nichtsdestotrotz beanstandet werden. Zwar beansprucht C. keineswegs, einen vollständigen Überblick über die Debatte zu bieten (18), je­doch benötigte man für ein vollumfängliches Verständnis von Coccejus’ Ansatz eigentlich noch genauere Kenntnis vom Diskurs mit der voetianischen Gegenposition. Sie ist bei C., besonders in Form einer Skizze des Sabbatverständnisses von Andreas Essenius, einem zentralen Gegner des Coccejus im Leidener Sabbatstreit, durchaus präsent und gut auf den Punkt ge­bracht (95–100), müsste aber gerade mit den kontroverstheologischen Schriften des Coccejus ausführlicher in Beziehung gesetzt werden. Eine historische Kontextverortung, die politische und kirchliche Zusammenhänge und die Gelehrtennetzwerke der verschiedenen Fraktionen stärker transparent gemacht hätte, wäre ebenfalls wünschenswert gewesen.
Der erste Hauptteil von C.s Analyse hätte dafür vielleicht Raum geboten, wird aber anders gefüllt. So beginnt er – nach einer konzisen Einleitung (11–23) – unter der Überschrift »The Sabbat in Reformed Orthodoxy« (25–92) mit einem dogmengeschichtlichen Überblick der Entwicklung der Sonntagsheiligung von der Alten Kirche bis zu den Reformatoren (27–55). Nicht alle hier vorgestellten Positionen sind relevant für die folgende Darstellung, sie fügen sich allerdings zu einem nützlichen Gesamtbild. Von der Sabbatfrage im englischen Puritanismus (55–72) kommt C. dann zu einer Skizze des »Dutch Reformed Sabbath« (73–92), in der er u. a. die Rezep-tion der Puritaner, die Position der Dordrechter Synode und dann ausgewählte Theologen vor Coccejus vorstellt, von denen dieser sich abgrenzt. Am Beginn des zweiten Hauptteils (»Part Two: Cocceius’s Theology of the Sabbath«; 93–166) steht der bereits erwähnte, allzu kurze Blick auf Essenius und die Voetianer, der mit der Position von Abraham Heidanus auch um einen Sympathisanten von Coccejus sinnvoll ergänzt wird (101–105).
Coccejus’ Sabbattheologie wird sodann in Etappen anhand zentraler Schriften rekonstruiert. Der frühe Coccejus (106–114) der bundestheologischen Hauptschrift Summa Doctrina de Foedere et Tes-tamento (in den Auflagen von 1648 und 1654) leitet über zum Zentrum von C.s Arbeit. Er widmet je ein Kapitel dem Kommentar zu Hebr 4,1–13 (115–128), den polemisch ausgerichteten Schriften des Leidener Sabbatstreits (mit einem Schwerpunkt auf die Indagatio Naturae Sabbati; 129–150) und der späteren, vollentwickelten Sabbattheologie (in der dritten Auflage der Summa Doctrina de Foedere von 1660 und der Summa Theologiae von 1662; 151–166). In der abschließenden Conclusio (167–170) bietet C. eine Zusammenfassung seiner Er­gebnisse, die insbesondere für die Coccejusforschung als überaus wertvoll bewertet werden dürfen und höchst ergiebig aktuelle Arbeiten zur Sabbatfrage, wie z. B. die jüngst in Göttingen erschienene Dissertation von K. J. Dielemann (2019), ergänzen.