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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

325–326

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wood, Jon D.

Titel/Untertitel:

Reforming Priesthood in Reformation Zurich. Heinrich Bullinger’s End-Times Agenda.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. 150 S. = Reformed Historical Theology, 54. Geb. EUR 39,99. ISBN 978-3-525-57092-0.

Rezensent:

Lothar Vogel

Im Anschluss an eine Arbeit von Irena Backus entwickelt Jon D. Wood die These einer spezifisch Zürcher, d. h. sowohl von Wittenberg als auch vom Genf Calvins unterschiedenen, eschatologischen Denkschule, mit der Heinrich Bullingers Amtsverständnis und die mit der Synodalordnung von 1532 ins Werk gesetzte Kirchenorganisation W. zufolge engstens verbunden sind. Die Hauptquelle dafür sind Bullingers Predigten auf den als Predigerversammlungen abgehaltenen Synoden. Sie sind anhand der zur Vorbereitung erstellten Schemata und Stichwörter erhalten geblieben. Ihnen hat der Vf. seine bislang unveröffentlichte Dissertation gewidmet.
Kennzeichnend für Bullingers Ansatz ist demnach eine anhand des Danielbuchs und Matthäus 24–25 entwickelte Sicht der eigenen Gegenwart als Epoche des Verfalls, welche dem Endgericht vorausgehe. Unter Aufnahme von Pamela Biels These einer im Rahmen der Konfessionalisierung zu verstehenden »Resakralisierung« der Zürcher Kirche unter Bullingers Führung betont der Vf. die wiederholten Rückbezüge der Synodalpredigten auf Maleachi 2,1–9, wo die Priesterschaft unter Berufung auf den »Bund mit Levi« des Abfalls von Gott bezichtigt und zur Besserung ermahnt wird. Da­mit tritt ein an das Levitentum anschließendes und vom allgemeinen Priestertum abgesetztes sazerdotales Verständnis des kirch- lichen Amtes hervor, das in den Synodalversammlungen Form gewinnt. Im englischen Text kann dieses Amtspriestertum mit dem unverfänglichen Begriff »clergy« ausgedrückt werden; Bullinger selbst bezeichnete den kirchlichen Amtsträger auf Lateinisch als sacerdos oder auf Deutsch als pfaff (85.115). Ergänzend ließe sich bemerken, dass pfaffen in der Zürcher Bibel (1528/31) gerade in Maleachi 2 als Übersetzung für kōhanīm/sacerdotes erscheint. Dass der Zürcher Reformator im gleichen Atemzug die Weihekonzeption der mittelalterlichen und römisch-katholischen Lehre ablehnte, wird zu Recht hervorgehoben.
Gewiss hebt die vorliegende Untersuchung anhand einer bisher vernachlässigten Quelle eine interessante Entwicklungslinie der reformierten Amtslehre hervor. Allerdings leidet das Buch an einigen Schwächen. Die Textorganisation erweckt, ohne dass dies gesagt würde, den Eindruck, dass es sich um eine Zusammenstellung von Vorträgen handelt. Auf den 119 Seiten der materialen Darstellung kommt es zu einigen Wiederholungen, wobei zugleich wichtige Themenaspekte wie die Amtsterminologie oder der Zu­sammenhang von Eschatologie und Amtslehre nirgends vertieft analysiert werden. Der Anhang, in dem einige der Aufzeichnungen Bullingers zu seinen Synodalpredigten abgedruckt sind, kann zu­dem die Unzugänglichkeit der Dissertation nicht ausgleichen, was dazu führt, dass die Quellenbasis der vorgetragenen Argumentation nicht immer wirklich deutlich ist. Hinzu kommen inhaltliche Schwächen. Irrig ist die Aussage, dass die Zürcher deutschsprachigen reformatorischen Bibelausgaben in bewusstem Gegensatz zu Luthers Ausgehen vom Neuen Testament mit der Prophetenausgabe von 1528 begonnen hätten (82). Bekanntlich besorgte Christoph F roschauer schon 1524 einen dialektal und zuweilen inhaltlich angepassten Nachdruck des Wittenberger Neuen Testaments. Ebenso ist es unrichtig, die von Bullinger von der Synodalordnung an hervorgehobenen Eignungskriterien von doctrina und vita einer angeblich rein sakramentalen Konzeption der mittelalterlichen Amtslehre gegenüberzustellen (71). Gerade das von Bullinger verwendete Wortpaar reflektiert die beiden neben dem Alter ge­setz-ten Kriterien von scientia und mores, die im Corpus Juris Canonici (Decretal. Gregor. IX, I, 14, 4) als Bedingungen für die Priesterweihe erscheinen, und stellt damit auf normativer Ebene ein Element der Kontinuität zwischen spätmittelalterlichem Kirchentum und Re­formation dar. Zu wünschen wäre die Veröffentlichung der Dissertation, auf deren Grundlage es möglich sein wird, die Reichweite der vom Vf. aufgestellten Thesen besser abzuschätzen.