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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

321–323

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Frank, Günter, Käuflein, Albert, u. Tobias Licht [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Von der Reformation zur Reform. Neue Zugänge zum Konzil von Trient. Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2015. 384 S. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-451-33335-4.

Rezensent:

Christoph T. Nooke

Im Vorfeld des großen Reformationsjubiläums 2017 erinnerte dieser Sammelband an weitere Jubiläen: den Heidelberger Katechismus und vor allem das Konzil von Trient. Die »Suche nach einer ökumenischen Sinngebung und einer ökumenischen Gestalt des Gedenkjahres 2017« erweise sich als »nicht einfach« (7). Dies freilich könnte daran liegen, dass es in erster Linie ein evangelisches Jubeljahr hätte werden können. Der Sammelband geht andere Wege, wie schon im Untertitel »Neue Zugänge zum Konzil von Trient« deutlich wird. Er versammelt ein breites Spektrum von kirchlichen, journalistischen und wissenschaftlichen Beiträgen mit ganz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und auf ganz unterschiedlichem Niveau. Ob einem ökumenisch gesinnten Zugang zum Konzil von Trient mit diesem Buch gedient ist, sei dahingestellt. Das Vorwort der Herausgeber schätzt die ökumenische Grundstimmung als gefährdet ein und führt dies auf einen »in beiden Kirchen verbreitete[n] antiintellektuelle[n] und antitheologische[n] Affekt« (8) zurück. Ob wirklich Trient einfach nur zu spät kam, um die Spaltung zu verhindern (9), ist natürlich fraglich, denn auch Trient brachte nicht die Lösung der in der Reformation angezeigten Probleme. Der Band will einen »Beitrag leisten zu der geforderten ökumenischen Neubesinnung« (10). »Über allem steht das ökumenische Anliegen, tief verwurzelte Missverständnisse und Vorurteile zwischen den Konfessionen aufzulösen, das Verbindende deutlich zu machen und so mitzuwirken an jener ökumenischen Anstrengung, die heute non (sic) tut.« Die Beiträge gehen zurück auf eine Vortragsreihe des Bildungszentrums Karlsruhe, der Melanchthon-Akademie Bretten und des Roncalli-Forum 2013/2014. Dem Charakter des Bandes entsprechend wurde auf Register verzichtet.
Robert Zollitsch eröffnet den Reigen der Beiträge mit grundlegenden Einschätzungen und Nacherzählungen zum Konzil von Trient. Seine Haltung, Ökumene als Rückkehr zur wahren Kirche zu begreifen, hält er kaum zurück. Eine Auseinandersetzung mit der Reformation findet hier nicht statt. In ebenso populärer Weise schließt Nikolaus Schneider ein fiktives Gespräch mit Melanchthon an, das freilich eher monologisch daherkommt. Leider führt der Beitrag nicht über die allfällige Inszenierung Melanchthons als »Leisetreter« hinaus. Für jedwede Verständigungsbemühungen der Reformation wird Melanchthon herangezogen, sogar für die Gleichstellung von Mann und Frau muss sein Kontakt zu Caritas Pirckheimer herhalten. Dass der Autor unauthentische Briefe zi­tiert, scheint ihn nicht zu stören (30, Anm.).
Inhaltlich eröffnet Herausgeber Günter Frank mit einem Beitrag zur Reform und Reformation den Hauptteil des Bandes und ordnet die Diskussionen der Reformation und des Konzils in einen größeren, komplexen Zusammenhang ein. Auch die unterschiedlichen Diskussionsfelder des Konzils finden hier einleitende Erwähnung. Einen Rückblick in die Forschungsgeschichte bietet Johannes Brosseder mit seinem Beitrag zum katholischen Luther. Er durchschreitet mehrere zentrale Felder der Theologie Luthers und unterzieht sie einer katholisch anschlussfähigen Deutung (sogar die Bezeichnung des Papstes als »Antichrist« [89 f.]!). Die Lernfelder der Schwesterkirchen (96) wären freilich weiter gefasst.
Daran anschließend ist Wolfgang Thönissen daran gelegen, den Begriff der Reformation nicht enggeführt auf die evangelische Be­wegung und Martin Luther verstanden zu wissen (101 u. ö.). Auch hier findet sich in einem Durchgang unterschiedlicher Themen (Amt, Rechtfertigung, Schrift und Tradition) der Versuch einer katholisch anschlussfähigen Interpretation. Dabei werden allerdings die reformatorischen Positionen nicht immer klar wahrgenommen, sie werden der These untergeordnet, dass Luthers Position nicht als Widerspruch zur römischen Lehre verstanden werden muss (112) bzw. Luthers Katholizität und seine Reformanliegen sich nicht ausschließen (130). Vielleicht liegt in einer Nivellierung der Differenzen aber kein guter Weg zum ökumenischen Miteinander, zumal dann nicht, wenn die Tendenz so deutlich ist wie hier, die Fehler in der jeweils anderen Position zu suchen.
Mit reichlich Bildmaterial am Ende des Bandes ausgestattet bietet Jürgen Krüger einen Crashkurs zum Thema Kirchenbau. Hier wäre eine Vertiefung noch interessant gewesen, wie genau sich die »Liturgie als Bauherrin« (153) noch ausgewirkt haben mag. Einen weiteren Überblick bietet Rudolf Lill: Er stellt die Päpste des 16. Jh.s überblicksartig dar. Dabei wird deutlich, welch große Rolle sowohl Kunst und Bauwesen als auch Staats- und Familieninteressen in der Politik der Päpste als Renaissance-Fürsten und Mäzene gespielt haben.
Mit Robert Bellarmin stellt Thomas Dietrich eine der zentralen Gestalten der konfessionellen, polemischen, theologischen Auseinandersetzung des späten 16./frühen 17. Jh.s dar. Gegenüber der biographischen Skizze hätte der Beitrag zu Akzenten seiner Theologie (190–197) ruhig mehr Gewicht bekommen können. Hier hätte dann auch die Analyse konkreter Auseinandersetzungen sicherlich wertvoll sein können. Die Geschichte der Jesuiten in Deutschland be­ginnt schon 1540 mit Peter Faber, dem sich Klaus Schatz in seinem Beitrag ebenso widmet wie den Jesuiten Nadal und Canisius. Wertvoll ist dabei vor allem die Darstellung, wie sehr die Reformation für die Jesuiten kein dogmatisches, sondern ein pastorales Problem darstellte (204 f.). Sie sind nicht einfach als Speerspitze einer aggressiven Gegenreformation zu begreifen, sondern stellen die Anfragen durchaus an den Klerus in Mahnung und Ermutigung (206). Die Reform der Katholiken ist zentral, nicht der Kampf gegen Häre-tiker.
Wie sehr das Konzil von Trient Gegenstand »identitätsstiftender Erinnerung« (220) war und ist, schildert Johanna Rahner in ihrem Beitrag. Erstaunlicherweise geht die Interpretation dabei sehr weit auseinander (von Reform bis Abgrenzung). Hier plädiert sie für eine differenzierte Wahrnehmung und regt für die Ökumene die Wiederentdeckung des tridentinischen »sowohl als auch« an.
Nach diesem Durchgang durch unterschiedliche Aspekte des Konzils, der katholischen Sicht auf die Reformation und die Auswirkungen der Reformation auf die römische Kirche widmen sich die beiden folgenden Beiträge dem Heidelberger Katechismus. Herman J. Selderhuis, ein profunder Kenner der Materie, widmet sich dem Erfolg des Heidelberger Katechismus (244). Leider sind Quellen und Literatur dieses Beitrags, die sich lohnt aufzusuchen, nur in einem anderen Abdruck des Beitrags zu finden. Neben den Verbreitungswegen über Handelsnetze in fremde Sprachen erinnert er daran, »dass das Buch kaum isoliert, sondern fast immer im Kontext des kirchlichen Gebrauchs herausgegeben wurde« (248) und als Grundlage für erläuternde Literatur und Predigten diente (252 f.). Den Grund für den Erfolg erkennt er aber letztlich in der »Einfachheit« und der Ausrichtung auf den Trost im Leben und Sterben (260). Diesem Trost nähert sich Christoph Schneider-Harpprecht im Gespräch mit der modernen Wissenschaft. Für eine ausführliche Würdigung der psychologischen Ansätze ist der Raum zu eng, aber der Autor bietet interessante Erläuterungen zur Trosttheologie der Reformation (261) sowie zur Wortbedeutung (264) und regt Zu­sammenhänge zum Begriff der Identität an (Erikson), wozu er auch den Ort des Trostes, das Gewissen (Ebeling) kundig einordnen kann.
Den Band beschließen zwei allgemeinere Beiträge von Barbara Henze zur Frage, wie und durch wen sich Reform in der Kirche verwirklicht hat und verwirklichen wird, und zur Legitimität der Neuzeit von Ulrich Ruh, der sich dem Großthema Christentum und Moderne zu nähern versucht.
Insgesamt bietet der Band auf immerhin 350 Seiten zwar einige Anregungen zum Weiterdenken, allerdings dominiert doch gerade in den Beiträgen zum Konzil eine katholisierende Deutung und Infragestellung reformatorischer Positionen. Dass dies der historisch aufrechten Erinnerung an die Reformation ebenso wenig ge­recht wird wie die offizielle Erinnerungspolitik im Reformationsjahr, bleibt weiter zu bearbeiten.