Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2020

Spalte:

318–319

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Baschung, Adrian, Fuhrer, Hans Rudolf, u. Jürg A. Meier

Titel/Untertitel:

Der Tod des Reformators – Zwinglis Waffen.

Verlag:

Wettingen: Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen (GMS) 2019. 128 S. m. zahlr. Abb. = Geschichte der Schweiz, Fenster in die Vergangenheit IX u. X; Schriftenreihe der GMS, 41. Kart. CHF 35,00. ISBN 978-3-9525128-0-7.

Rezensent:

Frank Jehle

Ulrich Zwingli, der Zürcher Reformator, trat seine Stelle als Leutpriester am Großmünster am Neujahrstag 1519 an. Deshalb wurde das Jahr 2019 in der reformierten Schweiz als »Zwinglijahr« gefeiert: Vorträge, Konzerte, Filme und natürlich Publikationen. Der anzuzeigende Band ragt durch seine Originalität heraus. Der Hauptverfasser, der Militärhistoriker Hans Rudolf Fuhrer, ist emeritierter Dozent an der Militärakademie der ETH Zürich. Seine Mitarbeiter, Jürg A. Meier und Adrian Baschung, sind ausgewiesene Experten für alte Waffen.
Das Team ist kirchlich wenig sozialisiert, was sich darin zeigt, dass die schwarze Kleidung Zwinglis auf einem Historienbild als »Priesterrock« bezeichnet wird (34). Der Mantel Zwinglis, den er bei offiziellen Anlässen trug, war aber der akademische Talar eines Magisters der freien Künste. Doch mit Recht wird festgestellt: Wenn Zwingli auf einem Pferd saß, trug er eine weniger einengende Kleidung. Auch Zwinglis Schwert, das er auf dem monumentalen Denkmal in Zürich trägt, wäre in der Praxis viel zu lang gewesen. Wenn Zwingli als Feldprediger überhaupt bewaffnet war, hätte er ein handlicheres Seitengewehr mit sich geführt. Dass Zwingli in der Tat als Feldprediger auszog, geht aus der Zürcher Kriegsordnung vom 12. September 1531 hervor: »Ein predicant. Ob der zů roß oder fůß syg, stat je zů ziten an den hauptlüten.« (34)
Dass Fuhrer und seine Mitarbeiter kirchengeschichtliche Außenseiter sind, hat Vorteile. Unbefangen durchforsten sie die histo-rischen Quellen und lesen sie mit neuen Augen. Das wichtigste Resultat besteht darin, dass fast alles, was über Zwinglis Tod ge­schrieben wurde, legendenhaft ist. Unbestritten bleibt, dass er am 11. Oktober 1531 in Kappel fiel. Die Sieger hielten ein postmortales Kriegsgericht über ihn und ließen den Leichnam vierteilen und verbrennen. Doch dann fängt es mit der Legendenbildung an: Die siegreichen Innerschweizer rechtfertigten ihr harsches Tun damit, dass der tödlich verwundete Zwingli die Sterbesakramente verweigert und sich so als Ketzer zu erkennen gegeben habe. Protestantische Autoren haben die Szene weiter ausgeschmückt. Gemäß ihrer Perspektive war die Verweigerung der Sterbesakramente ein Beweis dafür, dass Zwingli bis zum letzten Atemzug seinem reformato-rischen Glauben treu blieb. Berührend ist die poetische, von den Autoren zitierte, aber völlig unhistorische Darstellung in Gottfried Kellers Novelle »Ursula« von 1877:
»Zwingli lag einsam unter einem Baume. Er hatte nicht geschlagen, sondern war nur mannhaft bei den Seinigen im Gliede gestanden, um zu dulden, was ihm bestimmt war. […] Die sinkende Sonne glänzte ihm in das noch feste und friedliche Antlitz; sie schien ihm zu bezeugen, dass er schließlich nun doch recht getan und sein Amt als ein Held verwaltet habe. […] Vom Rigiberge bis zum Pilatus hin und von dort bis in die fernab dämmernden Jurazüge lagerte eine graue Wolkenbank mit purpurnem Rande gleich einem un-absehbaren Göttersitze. Auf derselben aber schwebten aufrechte leichte Wolkengebilde in rosigem Scheine, wie ein Geisterzug, der eine Weile innehält. Das waren wohl die Seligen, die den Helden in ihre Mitte riefen, und zwar, wie er einst an König Franz I. geschrieben, nicht nur die Heiligen des Alten und Neuen Testaments und der Christenkirche, sondern auch rechtschaffene Heiden: Herkules, Theseus, Sokrates, Aristides, Numa, Camillus, die Catonen und die Scipionen. Und auch Pindaros war da mit schimmernder Kythara, dem der Sterbende einst eine begeisterte Vorrede geschrieben.« (66)
Das liberale Zwinglibild! – Fuhrer und seine Mitarbeiter ma­chen bewusst: Geschichte wird von Generation zu Generation neu geschrieben. Und zu Zwinglis Waffen: Bis vor wenigen Jahren waren Zwinglis Helm, seine Streitaxt und sein Schwert Haupt-sehenswürdigkeiten im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich. Heute sind sie magaziniert. In den historischen Quellen kommen sie erst im 17. Jh. vor. Mit Hilfe des Forensischen Instituts der Kantons- und Stadtpolizei Zürich wurde inzwischen nachgewiesen, dass sie eine eher plumpe Fälschung sind, nach 1600 für das Luzerner Zeughaus angefertigt, wo man sie Besuchenden von auswärts als Zeichen der Überlegenheit der Katholiken über die Reformierten präsentierte. Das Loch im Helm stammt nicht aus der Schlacht in Kappel, sondern entstand, als das Zeughaus in Luzern im Gefolge der Französischen Revolution von einem Mob gestürmt und geplündert wurde.
Ursprünglich waren Zwinglis Waffen eine Siegestrophäe. Als 1848 die moderne Schweiz als Bundestaat gegründet wurde, übersandten die Luzerner Helm, Streitaxt und Schwert als Zeichen der eidgenössischen Aussöhnung nach Zürich, wo man sie in einer feierlichen Zeremonie in Besitz nahm. Im Zeughaus wurde ein neugotischer Schrein für sie errichtet, bis sie dem 1898 eingeweihten Nationalmuseum übergeben wurden. Für die Reformierten galten sie lange als kostbare Reliquien.
Die wertvolle Neuerscheinung macht bewusst, wie von einem historischen Ereignis je nach Perspektive anders berichtet werden kann. Geschichtsschreibung unterscheidet sich oft wenig von politischer und religiöser Propaganda.