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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

299–301

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eschner, Christina

Titel/Untertitel:

Essen im antiken Judentum und Urchristentum. Diskurse zur sozialen Bedeutung von Tischgemeinschaft, Speiseverboten und Reinheitsvorschriften.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. XVII, 801 S. = Ancient Judaism and Early Christianity, 108. Geb. EUR 175,00. ISBN 978-90-04-39183-3.

Rezensent:

Markus Öhler

Mit dieser 2018 in Berlin angenommenen Habilitationsschrift legt Christina Eschner eine Arbeit zu einem in den vergangenen Jahrzehnten beinahe inflationär bearbeiteten Forschungsgebiet vor und schafft es dennoch, einen innovativen Beitrag zu leisten. Sie versucht nämlich zu zeigen, dass die auf Mahlzeiten bezogenen Diskurse des frühen Christentums nicht darauf zielen, die entsprechenden Vorschriften des antiken Judentums zu abrogieren, sondern diese vielmehr unter geänderter Perspektive beizubehalten. Die frühchristlichen Diskurse seien daher als Fortführung und Akzentuierung im Rahmen des Diasporajudentums zu verstehen.
Die Fragestellungen der Vfn. beziehen sich im Wesentlichen auf zwei neutestamentliche Überlieferungskomplexe: jene zum Mahl Jesu mit Zöllnern und Sündern sowie jene zur frühchristlichen Mahlgemeinschaft mit »Heiden«. Es geht ihr darum, »die urchristliche Praxis des Essens in Bezug auf die drei grundlegenden Fragen nach der Art der Speisen, der Beschaffenheit der Mahlteilnehmer und den rituellen Voraussetzungen für das Essen vor dem größeren Hintergrund der antiken Mahlpraxis zu interpretieren und gegebenenfalls in ihrem Rahmen zu verorten« (6). Angemerkt sei gleich hier: Im Wesentlichen referiert sie nur auf die jüdische Mahlpraxis, der pagane Bereich wird weitgehend ausgeblendet.
Der Überblick über die jüdischen Essensvorschriften bzw. Alltagsregeln zum Essen setzt mit der hebräischen Bibel ein, die vor allem als Hintergrund für die antiken jüdischen Traditionen angesehen wird. Die Beschäftigung mit der hellenistisch-jüdischen Literatur ist sehr ausführlich (55–184), weiterführend ist hier u. a. die Abhandlung zum κοινός-Begriff. Ebenso breit werden die Qumranschriften sowie das Jubiläenbuch aufgearbeitet (185–280). In allen Abschnitten werden Vorgaben zur Beschaffenheit der Speisen bzw. zur Zusammensetzung der Tischgemeinschaften sowie Reinheitsvorschriften rekonstruiert. Die Vfn. bietet einen ausgezeichneten Überblick über die literarischen Zeugnisse mit vielerlei interessanten Beobachtungen. Vor allem die Differenzierung zwischen gemeinsamen Mählern von Juden untereinander bzw. solchen von Juden mit Nicht-Juden ist im Blick auf die beiden Texttraditionen zu den Mählern Jesu bzw. zu frühchristlichen Gemeinschaftsmählern sinnvoll und weiterführend, bestehen hierzu doch eindeutig unterschiedliche Vorgaben.
Der neutestamentlichen Überlieferung widmet sich die Vfn. in drei Abschnitten. Für Teil 1, der sich mit verbotenen Speisen befasst (284–384), setzt die Vfn. mit 1Kor 8,1–11,1 ein. Im intensiven Diskurs mit verschiedenen Forschungsansätzen kommt sie zu der gut be­gründeten These, wonach Paulus die verunreinigende Wirkung des Essens von Götzenopferfleisch zur Sache der Essenden und ihres Gewissens macht und so von der Substanz selbst löst. Die mangelnde Erkenntnis des Monotheismus durch die Adressaten sei Wurzel dieser Schwachheit. Die Vfn. nimmt zudem einen Bezug zu Lev 11,43 f. an, wenngleich die Argumentationslogik des Apostels auf stoischem Gedankengut basiere. Die These, dass das Verbot von Götzenopferfleisch nicht grundsätzlich aufgelöst worden sei (294), halte ich allerdings für unzutreffend, zumal Paulus selbst, wenn er sich zu den Starken zählt (1Kor 8,1–13), dieses Gebot nicht einhielt. In Röm 14 sieht die Vfn. einen Konflikt zwischen Christusgläubigen jüdischer und nicht-jüdischer Herkunft. Bekanntlich bezeichnet Paulus hier alle Speisen als rein (Röm 14,20). Erneut verschiebe der Apostel die Beurteilung in die Wahrnehmung des Einzelnen. Für das »schwache Gemeindeglied« seien daher die jüdischen Speisegebote weiterhin aufrecht und Paulus habe dies »für diese gesetzestreuen Judenchristen« (334) auch als legitim anerkannt. Diese typische Position des Diasporajudentums sieht die Vfn. durch die Verwendung von κοινός dokumentiert (335 f.). Dass unter den Adressaten des Römerbriefes allerdings keine Juden sind (Röm 1,5 f. u. ö.), macht diese historische Rekonstruktion nicht sehr wahrscheinlich.
Für das Aposteldekret votiert die Vfn. für eine schöpfungstheologische Begründung ohne Bezug zu Lev 17 f. Sie nimmt auch an, dass Paulus dem Aposteldekret zugestimmt habe, was meiner Meinung nach weder mit Gal 2,6 noch mit 1Kor 8–10 vereinbar ist. Selbst wenn im Dekret die Tora nicht anklingen würde (Apg 15,21 verweist allerdings ausdrücklich auf Mose), macht dies nicht plausibel, dass Paulus kein Problem damit gehabt hätte. Laut der Vfn. geht es allerdings nur um eine »strikte Abgrenzung der Heidenchristen zu den Heiden« (360), nicht um Rücksichtnahme auf die jüdischen Mitglieder der Ekklesia.
Die zweite Frage nach den Teilnehmern und Teilnehmerinnen am Mahl (385–580) wird zunächst im Blick auf 1Kor 5 diskutiert, mit wenig überraschenden Schlüssen. Zu Gal 2,11–21 betont die Vfn., dass es nicht um die Einhaltung von Speisevorschriften gegangen sei. Vielmehr seien die nicht-jüdischen Christusgläubigen als Glaubende zweiter Klasse von der Mahlgemeinschaft ausgeschlossen und zur Beschneidung genötigt worden. Abgesehen davon, dass συνεσθίειν (Gal 2,12) auch gemeinsame Speisen einschließt, ist m. E. zweifelhaft, dass Paulus mit ἰουδαΐζειν (Gal 2,14) die Beschneidung meinte, da er diese gerade nicht erwähnt.
Für Jesu Mahlgemeinschaften mit Zöllnern und Sündern hält die Vfn. fest, dass laut Mk 2,16 f. die ethisch-moralische Beschaffenheit der Mahlteilnehmer im Vordergrund stehe, nicht deren rituelle (Un-)Reinheit (ähnlich zu Lk 7,33–35 par Mt 11,18 f.). Die Korneliuserzählung (Apg 10 f.) erzähle von der Tischgemeinschaft mit Nicht-Juden als Vorbereitung auf die Aufnahme in die Heilsgemeinschaft.
Der letzte Abschnitt widmet sich der Auseinandersetzung um rituelle Reinheitsvorschriften im Zusammenhang des Essens (581–640). Hier steht Mk 7 im Zentrum der Erörterungen. Die Vfn. zeigt hier u. a. die Nähe zu Aussagen des hellenistischen Judentums auf. Mk 7,19 deutet sie so, dass lediglich jede mit ungewaschenen Händen berührte Speise als rein erklärt werde. Es sei also keine Aufhebung der Relevanz von Speisegeboten oder gar des Gesetzes intendiert, vielmehr handle es sich um eine innerjüdische Auseinandersetzung über die Einführung neuer Vorschriften. Das scheint mir angesichts der markinischen Formulierung καθαρίζων πάντα τὰ βρώματα doch sehr gesucht. Auch die Frage nach Reinheit von Tischgeschirr (Lk 11,37–41 par Mt 23,25 f.) wird entsprechend aufgearbeitet.
Die Arbeit erhebt den Anspruch, »die Kernfragen des Essens, d. h. die Praxis zu grundsätzlichen Voraussetzungen« zu klären (4). Der Fokus liegt dabei auf spezifischen jüdischen Regeln, die pagane Welt rückt selten ins Blickfeld. Trotz der breiten Erörterung wird die alltägliche Praxis kaum erörtert, da Themen wie Einkauf, Zubereitung, Zeiten, Räume, Finanzierung, Organisation usw. nicht behandelt werden.
Insgesamt ist die Arbeit also durch eine klare These ausgezeichnet: Die Mahldiskurse des frühen Christentums kreisten stets um die Frage, wie die Gemeinschaft beim Mahl erzielt bzw. erhalten werden könne, ohne die jüdischen Vorschriften aufzuheben. Diese These wird mit viel Aufwand und großer Überzeugung vorgetragen, sie wird sich in der Forschung aber erst bewähren müssen. Auch wenn der Rezensent an einigen Punkten der Argumentation widerspricht, ist doch deutlich, dass man an diesem Buch nicht so schnell vorbeikommen wird.