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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

286–288

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Keel, Othmar

Titel/Untertitel:

Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina/Israel. Von den Anfängen bis zur Perserzeit. Katalog Bd. V: Von Tel el-cIdham bis Tel Kitan. M. Beiträgen v. D. Ben-Tor, B. Brandl, S. Münger u. L. Pajarola.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Fribourg: Academic Press Fribourg 2017. XVIII, 676 S. m. zahlr. Abb. u. farb. Kt. = Orbis Biblicius et Orientalis. Series Archaeologica, 35. Geb. EUR 200,00. ISBN 978-3-525-54412-9 (Vandenhoeck & Ruprecht); 978-3-7278-1816-5 (Academic Press Fribourg).

Rezensent:

Ellen Rehm

Dieses Werk ist ein weiterer Band des Corpus, der sich zur Aufgabe gemacht hat, das Stempelsiegelmaterial aus Palästina und der Levante, so weit wie möglich, als Quellenmaterial gesammelt vorzustellen und es Forschenden verschiedenster Fachrichtungen zu­gänglich zu machen. Die Bände haben inzwischen ein Volumen vom mehr als 7000 Siegeln erreicht. – Die größte Gruppe der hier vorgestellten 1430 Objekte kommt aus Jericho und Jerusalem mit jeweils über 500 Nummern. Während die Siegel aus Jericho fast ausschließlich in mittelbronzezeitlichen Gräbern gefunden wurden, kommen die Artefakte aus Jerusalem meist aus anderen Kontexten und umfassen die Zeitspanne vom Mittleren Reich bis zur Perserzeit. Zum ersten Mal publiziert sind in diesem Band 240 Siegel. Wie üblich befindet sich im Einband eine Karte mit den Fundorten der hier vorgestellten Siegel und Siegelungen.
Zwei Änderungen gegenüber den anderen Bänden sind zu vermerken. Die eine betrifft das Material: das Verhältnis von Siegeln und Abdrücken. Durch die Methode des »Nass-Siebens« wurden bei den Ausgrabungen mehr Bullae entdeckt und daher auch vermehrt in diesen Katalog aufgenommen. Die Abdrücke wiederum sind aber oft so bruchstückhaft, dass K. sich fragt, ob dieses Material nur in den Ausgrabungspublikationen erscheinen sollte und nicht in solchen Sammelwerken wie diesem. Allerdings belegen die vielen Bullae, dass der rechtliche Aspekt eine größere Rolle spielte, als man früher annahm. Damals lag der Fokus auf dem Amulett-Charakter der Siegel. Die andere Änderung ist formal. Zum einem sind einige Beschreibungen auf Englisch, da sie zeitgleich für die Ausgrabungspublikationen geschrieben wurden, zum anderen sind nicht alle Objekte mit Foto und Zeichnung publiziert, da mit der Einstellung der Unterstützung seitens des Schweizer Nationalfonds die langjährige Zeichnerin nicht weiterbeschäftigt werden konnte.
Das Buch beginnt mit einer erweiterten Skarabäenkopf-Typologie. Schon in den vorherigen Bänden wurden die ursprünglichen Typologien aufgrund neuer Formen erweitert und verfeinert.
Aus dem folgenden Katalog sollen einige Stücke vorgestellt werden, wobei aufgrund der fachlichen Ausrichtung der Rezensentin der Schwerpunkt auf den vorderasiatischen bzw. vorderasiatisch beeinflussten Objekten liegt.
Vom Motiv extrem ungewöhnlich ist ein Siegel, das als allei-nige Darstellung einen assyrischen Bogenschützen in Aktion zeigt (Jerusalem, 430–431, Nr. 340). Es gehörte einer Person namens »Hagab«. Dieses Sujet als Einzelmotiv ist in seinem Ursprungsland nicht bekannt, wenngleich es dort durchaus kriegerische Kampfszenen, z. B. auf den assyrischen Palastreliefs, gibt (Beispiel für eine Kriegsszene auf einem Rollsiegel: D. Collon, Cylinder Seals V. Neo-assyrian and Neo-babylonien Periods, London 2001, Nr. 100). Viel häufiger sind aber Siegel, die einen Bogenschützen im Kampf mit einem Mischwesen zeigen (Collon, ebd., Taf. I–V). Das Jerusalemer Siegel als Abkürzung dieser mythologischen Szene scheint mir wahrscheinlicher wie als Teil einer Kriegsszene. Dabei wäre dann der apotropäische Charakter ausschlaggebend. Zwei Tonbullen lassen sich an dieses neuassyrische Siegel anschließen: einmal eine Person im Schalgewand, mit Bogen und Schwert, aber nicht in Ak-tion; das andere Mal zwei sich gegenüberstehende, wohl assyrisierend dargestellte Personen (Jerusalem, 452–453, Nr. 385–386).
Ein typisches spätbabylonisches Quarz-Siegel in konischer Form mit dem Motiv eines Beters vor einer Pflanze kam in Jerusalem zutage (330–331, Nr. 118); ein weiteres aus Kabri lässt sich an­schließen (546–547, Nr. 32). Zwei Abdrücke, die sicherlich nicht von vor Ort, sondern von in Babylonien gefertigten neubabylonischen Stempelsiegeln stammen, zeigen einen Beter vor einem Altar mit einem Spaten (Symbol des babylonischen Hauptgottes Marduk) und einem Griffel (Symbol des Schreibergottes Nabu). Über der Szene befindet sich eine Mondsichel. Dass solche babylonischen Siegelbilder Einfluss auf einheimische Siegelschneider hatten, be­legt ein Skaraboid, auf dem zwei Personen einen Tisch flankieren, über dem eine Mondsichel schwebt (436–437, Nr. 351–353). Er gehörte einem Mann na­mens »Schlomit«. Anzuschließen wäre ein Siegel, das wohl auch nach neubabylonischem Vorbild gefertigt wurde (Jerusalem, 278–279, Nr. 1). Auf der Unterseite in zwei Registern mit einer Besitzerinschrift einer Frau versehen (»Der Menahemet, der Frau des Padamelek/Gadmelek«), präsentiert es auf der leicht konvexen Oberfläche einen Mann in der Flügelsonne, der rechts und links von zwei bärtigen Personen gestützt wird, deren Gewänder nur das hintere Bein bedecken. Zwischen ihnen befindet sich eine Mondsichel mit einem Stern.
Ein verwaschenes Siegel aus Jafo zeigt einen persischen Reiter, der mit einer Lanze einen Löwen attackiert (20–21, Nr. 1). In der Regel sind auf diesen, im Stil eindeutig durch ihre Dynamik westlich beeinflussten Siegel reellere Jagdtiere wie Wildschweine oder Cerviden abgebildet, zumal die Löwenjagd dem Herrscher vorbehalten war. Eine Tonbulla aus Jericho bildet den Teil des Motivs des persischen Königs als »Herr der Tiere« ab, der in einer heraldischen Pose (zwei) Löwen an den Schwänzen hält. Der Zeichner der Grabung hatte das Motiv nicht erkannt wie der jetzige Bearbeiter, und somit die darüber schwebende Flügelsonne als Schraffur wieder-gegeben (262–263, Nr. 565). Bei einem ebenfalls aus der Perserzeit stammenden Siegel, einem Skaraboid, zeigt das Motiv eine mutterländisch persische Handschrift (Tell Keisan, 590–591, Nr. 19). Die Bearbeiter weisen zwar auf den ungewöhnlich kurzen Schurz des bekrönten Kämpfers hin, der einen geflügelten Stier bezwingt, aber die Querriefelungen an den Beinen deuten m. E. eine nachlässige Darstellung des persischen Faltengewandes an, keinen kurzen Rock (vgl. British Museum Inv.Nr. 89469/129566). Das eingeritzte Schrägkreuz auf der Hüfte könnte durch den Darstellungsversuch des überlappenden Oberteils entstanden sein. Das Motiv des Kö­nigs im Faltengewand, der einen geflügelten Stier bekämpft, findet sich auch an den Türwangen des Dareios-Palastes in Persepolis.
Ein sehr ungewöhnliches Siegel soll zum Abschluss aufgelistet werden (Tell Keisan, 594–595, Nr. 22). Das an drei Seiten mit Motiven versehene Stück zeigt einmal einen Beter in einem mesopotamischen Schalgewand vor einem niedrigen Podest mit Spaten und Griffel, daneben steht ein Räucherständer mit blattförmigem Rauch, darüber eine sehr breite Mondsichel und eine blütenartige Sonne. Dazwischen befinden sich zwei kugelige Vertiefung, für die in der Publikation die Interpretation von Sternen vorgeschlagen wird. Auf der nächsten Seite präsentiert sich der Muschhusch, der Schlangendrachen des Marduk. Er trägt wiederum Spaten und Griffel auf dem Rücken. Vor ihm soll sich ein Anch-Zeichen befinden. Auf der dritten Seite ist eine kleine Standarte auf einem niedrigen Podest zu sehen, auf der eine Mondsichel schwebt. Die Szene ist gerahmt von Girlanden. Alle Standarten haben nicht nur die üblichen, an der Spitze herabhängenden Troddeln oder Bänder, sondern an ihrer Basis befindet sich der gleiche Dekor, aber in umgedrehter Richtung – ein der Rezensentin sonst nicht bekanntes Phänomen. Die vorgeschlagene Deutung ist, hier auf einem Siegel gemeinsam den babylonischen (Marduk/Nabu), den aramäischen (Sin von Harran) und den ägyptischen (Anch) Kulturraum vereinigt zu haben. Das Siegel hat einen Fundkontext; ohne diesen würde es der Rezensentin schwerfallen, es für ein Original zu halten.
Der Band präsentiert sonst ägyptische und ägyptisierende Ob­jekte. Es ist schon verwunderlich, dass so wenige Einflüsse der großen und dominierenden Reiche festzustellen sind, die in dauerndem Kontakt mit diesen Gebieten waren.
Othmar Keel wie den Bearbeitern ist für diesen weiteren Band der Reihe sehr zu danken.