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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

285–286

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Assmann, Jan, u. Andrea Kucharek [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ägyptische Religion – Götterliteratur. Aus d. Altägyptischen übers. u. hrsg. v. J. Assmann u. A. Kucharek.

Verlag:

Berlin: Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag (Suhrkamp) 2018. 1048 S. m. zahlr. Abb. Lw. EUR 78,00. ISBN 978-3-458-70056-2.

Rezensent:

Stefan Bojowald

Die an ein breiteres Publikum gerichtete Publikation führt selektiv in die religiöse Literatur des alten Ägypten ein. Die Anthologie setzt sich aus Texten zu Ritualen, Schadensabwehr, Kultlyrik, Weisheitsliteratur und »Persönlicher Frömmigkeit« zusammen.
In Teil 1 werden Beispiele für Kultbildrituale präsentiert. Das Morgenritual (11–61), Opferritual (62–99) und Mundöffnungsritual (100–148) werden ins Deutsche übersetzt. Die Bedeutung von »padj« (23) lässt sich zu »Weihrauchkugel« präzisieren. Das Possessivpronomen »ihrer« in »Ich bin vorbeigegangen an ihrer Tefnut« (45) könnte sich auf die »Große« drei Zeilen darüber beziehen. Das Wort »Hülle« in »Empfange ihre Hülle, (nämlich die der) iwa-Rinder, der chenset-Rinder und der ih-Rinder« (67) wirkt dubios, vielleicht wird – per Metathese der ägyptischen Wurzel – auf eine Rinderzählung angespielt. Die Passage ist wohl irgendwie verderbt. Das Wort »paq« (137) stellt eine schon im Alten Reich bekannte Weihrauchbezeichnung dar.
In Teil 2 werden Texte zur Schadensabwehr herangezogen. Die »Sprüche gegen Seth« (151–188), »Apohis-Buch« (189–222), »Ende der Arbeit« (223–246) »Geheimnisse der vier Kugeln« (247–264), »Metternichstele« (265–290) und »List der Isis« (291–297) kommen zur Sprache. Die »djeda-Pflanze« (184) hängt vielleicht mit der Wurzel »reif sein (vom Getreide)« zusammen.
In Teil 3 werden Texte mit kosmographischem und theologischem Inhalt fokussiert. Die Sammlung umfasst die Kompositionen »König als Sonnenpriester (+ verwandte Texte)« (301–309), Stundenritual (310–325), Kairener Amun-Hymnen (326–333), Leidener Amun-Hymnus (333–342), Hymnen des P. Leiden I 350 (342–350), Hymnen des P. Berlin 3049 (350–362), Amun-Hymnus des Hibis-Tempels (363–380), Herrschaftstitulatur des Amun-Re im thebanischen Gottesstaat (380–384), Amarnahymnen (385–397), Berliner Ptah-Hymnus (398–408), Denkmal Memphitischer Theologie (409–416) und einen Text zur osirianischen Theologie (417–420).
Teil 4 thematisiert Hymnen und Klagen. Die Reihe enthält Ta­geszeitenlieder (423–437), den Sonnenhymnus im memphitischen Grab des Haremhab (438–442), Amun-Re-Hymnen in thebanischen Gräbern (443–455), Osirishymnen (456–475), Hymnen an andere Götter (476–489), Königshymnen (490–501) und P. Berlin 3008 (502–508).
In Teil 5 werden Weisheitsliteratur und Schriftquellen zur Persönlichen Frömmigkeit dokumentiert. Die Liste baut sich aus der »Lehre des Amenope« (511–531), privaten Bitt- und Dankgebeten (532–543), biographischen Inschriften (544–553) und Votivstelen aus Deir el-Medineh (554–560) auf.
Im Kommentar werden theoretische Erörterungen entfaltet. In Ägypten herrscht die Vorstellung von der Entstehung der Welt aus einem göttlichen Anfang vor (563). Die Idee von der Fortdauer des Urzustandes in der geschaffenen Welt kehrt ebenfalls häufig wieder (565). Die exklusive Erklärung der Tefnut als Göttin des Feuers (566) ist zu kurz gegriffen, der Aspekt der Feuchtigkeit fehlt. Die »Flutkatastrophe« taucht als Metapher für die Hellenisierung der antiken Welt auf (577). Die spätägyptische Angst vor dem Untergang der eigenen Religion drückt sich am deutlichsten im 25. Kapitel des hermetischen Traktats Teleios logos aus (578). Das altägyp-tische Maat-Konzept ist durch die enge Verbindung mit der politischen Macht charakterisiert (580).
Der Stellenkommentar geht auf Einzelheiten in den zuvor übersetzten Texten ein. Der angebliche Vergleich der seitwärts ausgestreckten Armen des Priesters bei der Proskynese mit der Haltung der Extremitäten bei der katholischen Priester-/Bischofweihe (614) ist durch nichts bewiesen. Das angeblich unbekannte Wort »heneg« (665) lässt sich mit »bezahnt (vom Mund)« wiedergeben. Im Apophis-Buch ist eine der ausführlichsten Darstellungen der ägyp-tischen Weltentstehungslehre zu finden, während das Ritual zur Abwehr und Vernichtung des Seth die kompletteste Darstellung des mythischen Gerichtsprozesses um die Thronfolge des Osiris verkörpert (689). Die solare Konnotation des Widders (716) ist auch in anderem Kontext nachzuweisen. In Ägypten muss zwischen impliziter Theologie mit den Vorstellungen vom Göttlichen und expliziter Theologie mit dem Diskurs über Gott und Götter ge­trennt werden (809). Die Komposition »König als Sonnenpriester« kann wegen der Prominenz ihrer frühen Aufzeichnungsorte in den Sonnenheiligtümern des Neuen Reiches zu den kanonischen Texten gezählt werden (816). Der ursprüngliche »Sitz im Leben« des zu den Unterweltsbüchern gehörigen »Amduat« ist wohl im Sonnenkult zu suchen (816). Die radikalste Änderung der Theologie der Amarnazeit besteht im Wegfall des ehemaligen Sonnenfeindes (887). Das Hervorgehen der Zeit aus der Sonne markiert einen weiteren revolutionären Zug der Amarnatheologie (896). Die Bibliographie (1060–1084) sorgt für den formalen Abschluss des Buches.
Das folgende Urteil erscheint dem Rezensenten am adäquatesten: Der Nichtfachmann bekommt einen zuverlässigen Einblick in die Thematik geboten. Die Übersetzungen machen einen ausgewogenen Eindruck, der inhaltliche Kommentar deckt die nötigen Informationen ab. Die Textauswahl ist recht durchdacht, wobei zum Teil auch eine andere Gliederung möglich wäre. Die Zugehörigkeit der Weisheitsliteratur zu diesem Corpus kann von zwei Seiten betrachtet werden. Die wenigen Redundanzen, z. B. bei dem Einschlürfen des Wassers durch Apophis und der Entkleidung der Sonne von den anthropomorphen Merkmalen unter Echnaton, vermögen das gute Bild nur leicht zu stören.