Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2020

Spalte:

282–283

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bernhardt, Reinhold

Titel/Untertitel:

Inter-Religio. Das Christentum in Beziehung zu anderen Religionen.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zü­rich 2019. 463 S. = Beiträge zu einer Theologie der Religionen, 16. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-290-18212-0.

Rezensent:

Heinrich Balz

»Inter-Religio«, das geheimnisvolle, lateinisch anmutende Titelwort ist aufzulösen als »Interreligiosität«, die sich ihrerseits an »Interkulturalität« sowohl anlehnt als auch abgrenzend konturiert. »Inter« steht durchgängig gegen »über« oder »meta«: Eine Über-, eine Metaebene gibt es in der Beziehung des Christentums zu den Religionen nicht. Dieser antihierarchische Impuls wirkt sich bis in die Anlage des Buches aus: Reinhold Bernhard will eine auch als Lehrbuch geeignete Übersichtsdarstellung und zugleich seine eigene Position zur Theologie der Religionen geben, aber nicht so, dass diese die Kapitelfolge bestimmt, welche eher der Moderation einer großen Gesprächsrunde gleicht. Dem hat sich auch die Rezension anzupassen. Wichtige Themen werden in den einzelnen Kapiteln dargeboten und diskutiert, so ruhig und ausgewogen, dass der Leser sogar lernen kann, seine eigene abweichende Position leidenschaftslos zu artikulieren. Der Vf. unterstellt den konservativen Kritikern nicht, wie Dialogfreunde dies zuweilen tun, unlautere Motive oder schiere Oberflächlichkeit. Dies macht die Lektüre des ganzen Bandes interessant. Er bringt auf neue Ge­danken auch im Widerspruch.
Kapitel 1 und 2 handeln parallel von Kultur und Religion, wie sie heute zu verstehen sind, jeweils verbunden mit dem neuen Leitwort der Beziehung: »Kultur und Interkulturalität«, dann das Wichtigere »Religion und Interreligiosität«. Alles an Religion hat seine Kultur-Seite, aber nicht alle Kultur hat mit Religion zu tun. In der Religion sind Multireligiosität, Interreligiosität und Transreligiosität gegeneinander abzugrenzen. In der Sache geht es um ein genaueres Verständnis von unterschiedenen interreligiösen Beziehungsgestalten, die in der Praxis zu sieben verschiedenen »Agenden« der Begegnung und des Dialogs zwischen Anhängern verschiedener Religionen führen: Es kann Kooperation oder Verstehen das Ziel des Dialogs sein, das Verstehen kann rational, auf spirituelle Erfahrung oder auf spezifisch theologische Erkenntnis ausgerichtet sein. Hier spricht der Vf. erkennbar aus eigener Er-fahrung. Strittiger sind die anschließenden Ausführungen über »Transreligiosität«: Gemeint ist das Entstehen von Hybriden, also von religiösen Identitäten, die zwei Religionen umgreifen nicht durch Konversion von der einen zur anderen, sondern durch ein Leben – bildlich ein »Wohnen« – in beiden gleichzeitig, was exemplifiziert wird an Swami Abishiktananda, R. Panikkar, P. F. Knitter und Hyun Kyung Chung, die nach der Weltmissionskonferenz von Canberra 1991 zu Unrecht als eindeutig christlich gedeutet wurde. Der Vf. stellt solche »Brückenmenschen« dar ohne eigenes Werturteil, verteidigt sie nur gegen vorschnelle Verurteilungen und be­tont, dass »Synkretismus nicht gleich Relativismus« ist.
Das nächste Kapitel »Paradigmenwechsel« handelt knapp die sich wandelnden westlich christlichen Einstellungen zu Judentum, Islam und Christentum und Christentum seit der Aufklärung ab. Paradigmen sind dabei im weiteren Sinne verstanden, nicht in dem präzisen einst von T. Kuhn in die Wissenschaftsgeschichte eingebrachten. Die Ausschließung der Religionen schriftloser Kulturen aus dem Wandel der Einstellungen wird nicht be­gründet.
Die folgenden drei Kapitel handeln eingehender von »Beziehungsgestaltung« und »Beziehungsbestimmung« in der Begegnung der Religionen. Kapitel 4 stellt »Dialog« allgemein und »interreligiöse Gastfreundschaft« im Besonderen nebeneinander und weist die philosophischen Wurzeln beider auf: M. Buber für den Dialog, E. Lévinas, J. Derrida und P. Ricœur für die Gastfreundschaft. Beide Programme erfahren Würdigung und Kritik. Was der Vf. für nicht entbehrlich hält und gegen Kritik von verschiedenen Seiten (H. Wrogemann, C. Danz) verteidigt, ist eine »Theologie der Religionen«, die das Dreierschema: Exklusivismus – Inklusivismus – Pluralismus hinter sich lässt, ohne ihm darum heuristischen Wert abzusprechen. Verworfen wird auch der neue philosophische »Zentrismus« von F. M. Wimmer.
Es folgt in Kapitel 6 eine intensive Einlassung mit drei Modellen – hier nicht mehr Paradigmen genannt –, erstens der pluralistischen Idee von der Einheit aller Religionen im Grund, neuerlich vertreten durch P. Schmidt-Leukel, zweitens der abrahamischen Ökumene von Judentum, Christentum und Islam, auf die K. J. Kuschel und B. Klappert sich berufen, sowie drittens der »Komparativen Theologie«, wesentlich von F. X. Clooney und K. von Stosch. Sie alle genügen nicht den theologischen und methodischen Ansprüchen, die der Vf. an eine Theologie der Religionen stellt, haben aber alle, am meisten die Komparative Theologie, gute Ansätze und Ergebnisse in dem, was sie praktisch tun: Erst im Gespräch mit ihnen wird das Profil der Auffassung des Vf.s von »Theologie der Religionen« konkret. Das kurze Schlusskapitel 7, »Theologische Begründungen interreligiöser Offenheit«, hat Programmcharakter in Gestalt einer Auseinandersetzung mit der gesamten Tradition, welcher solche Offenheit fehlt. Glaubens- und Wahrheitsgewissheiten, nicht Wahrheitsansprüche sind die Ge­stalt, in welcher christliche Universalität in der Zeit der interre-ligiösen Begegnung erhalten bleibt und zu vertreten ist. Solche Glaubensgewissheit im Unterschied zu wissenschaftlicher Wahrheit ist aber nicht, wie man bei dem Vf. vor einem Jahrzehnt noch las, mit K. Jaspers’ philosophischem Glauben zu erläutern, sondern kommt theologisch vom Erbe Luthers her.
Der Vf. informiert den Leser in einem umfassenden weiten Horizont. Er bringt ihn auf Gedanken, zustimmende wie nachfragende. Dass der neue Dialog das Verständnis von Religion überhaupt vertiefen kann, ist zugestanden. Aber gilt dasselbe nicht auch, außer dem Dialog, für das Hören auf den Monolog von christlichen Konvertiten, die in sich die alte verlassene Religion noch sprechen hören? Für afrikanisches Christentum und seine Theologen, für den jüngst verstorbenen E. B. Idowu etwa, ist dieser Monolog oder innere Dialog vorrangig vor den Antworten, die sie auf westliche Fragen geben. Dies führt auch zu Fragen an die diagnos-tizierte Zeitlage: Es hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur das Verhältnis vom Christentum zu den Hochreligionen verändert, sondern auch die religiöse Landkarte, wo sich, durch das Zeugnis der Mission vermittelt, neue christliche Kirchen gebildet haben, auf die es ebenfalls zu hören gilt. Und schließlich: Der Dialog ist nicht selber systembildend, sondern findet seinen Ort neben anderem Wichtigen im Ganzen christlicher Lehre und christlichen Lebens. Wie notwendig ist der Dialog der Religionen in der Gemeinde: Muss der Frauenkreis, wie manche sagen, seine regelmäßigen Bibelstunden unterbrechen, um sich über andere Religionen belehren zu lassen, oder muss er nicht? Auch darüber möchte man den Systematischen Theologen einmal hören.