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Ausgabe:

März/2020

Spalte:

245–247

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Eberlein-Braun, Katharina

Titel/Untertitel:

Erkenntnis und Interpretation. Kritisches Denken unter den Voraussetzungen der Moderne bei Theodor W. Adorno und Karl Barth.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIII, 321 S. = Dogmatik in der Moderne, 3. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-150968-1.

Rezensent:

Wolfgang Schoberth

Auch 50 Jahre nach seinem Tod bleibt Adorno eine Herausforderung für die Theologie, die noch wenig bearbeitet wurde. In ihrer Marburger Dissertation versucht Katharina Eberlein-Braun eine theologische Rezeption Adornos, indem sie einen Vergleich mit Karl Barth unternimmt. Ihr »Verdacht, dass beide eine gewisse Ähnlichkeit verbindet« beruht darauf, dass bei beiden »der Gedanke eines starken Anderen als grundlegend verstanden werden kann.« (1) Diese Linie wird konsequent verfolgt, indem aber nicht die materialen Ausführungen der beiden Autoren in Beziehung gesetzt werden, sondern das »Verfahren« – dies ist geradezu der Leitbegriff der Studie. Wie kann das Andere, das ja auch das Andere des Denkens ist, überhaupt gedacht werden? Oder, mit Blick auf die kritische Ausrichtung des Denkens Adornos wie Barths: Wie kann eine Kritik am Ganzen möglich sein, wenn doch die Kritik selbst Teil des Kritisierten ist? Die Vfn. stellt heraus, dass dieser scheinbare Widerspruch von beiden Autoren selbst nicht nur intensiv diskutiert wurde, sondern dass die Bearbeitung dieser Dialektik geradezu das Grundmoment ihres Denkens ausmacht; die (auch theologisch) verbreitete Kritik an Adorno und Barth geht also ins Leere.
Obwohl die Vfn. mit Recht betont, dass »sich Inhalte und Verfahren bei Adorno und Barth nicht trennen lassen« (303), wird im weiteren Vorgehen die Sachhaltigkeit, auf die beide Autoren alles abstellen, aber nicht weiter zu Geltung gebracht; vielmehr soll die Gemeinsamkeit von Adorno und Barth in einer formalen Bearbeitung des Problems, das die Vfn. als ein »schon klassisches Problem der Moderne« (3) benennt, dargestellt werden. Dazu werden drei Grundbegriffe aufgesucht, die dann auch die Hauptteile des Bu­ches gliedern. Es sind dies »Erfahrung« (31–116), »Freiheit« (117–209) und »Versöhnung« (210–293). Das sind ohne Zweifel für beide Autoren zentrale Begriffe, die bei ihnen freilich eine jeweils sehr eigentümliche Fassung erhalten. Das gewählte formale Verfahren er­laubt aber nicht, der inhaltlichen Bestimmung der Kategorien, die bei beiden jeden einzelnen Zug bestimmen, nachzugehen. Stattdessen wird die Argumentation »umgestellt« auf die Begriffe der »Deutung« und »Interpretation«, die freilich so abstrakt-allgemein sind, dass sie das Spezifische der beiden behandelten Autoren gerade nicht erfassen können.
Insbesondere bei der Behandlung Adornos fällt auf, dass die Arbeit sehr selektiv rezipiert, was wohl ihrer strikten Ausrichtung geschuldet ist, und ganz auf die »Negative Dialektik« abstellt, die als »Hauptwerk« wahrgenommen wird – die Kategorie ist für Adornos Schriften kaum angemessen – und nur solche frühere Texte heranzieht, die sich dem Interpretationsansatz fügen. Aber auch sachlich findet die Verschränkung auch der »Negativen Dialektik« < /span>mit Adornos Gesellschaftsanalyse und der ästhetischen Theorie nur ansatzweise Beachtung. Damit wird Adorno in einen Strang philosophischer Theoriebildung eingeordnet, dessen Kritik ein wesentliches Movens seines Denkens ausmacht. Das bringt es mit sich, dass die spezifische Prägung der Grundbegriffe bei Adorno blass bleibt und stattdessen die Wiederholung der im Interpretationsansatz gegebenen Bestimmungen auf die Texte gelegt wird – ganz im Gegensatz zur erklärten Absicht der Vfn., die immanent zu argumentieren beansprucht. Dieser Widerspruch durchzieht Anlage und Durchführung der Arbeit.
Er manifestiert sich auch darin, dass jedes Kapitel mit der Vorstellung einer These einsetzt, die die folgende Interpretation dominiert. Darum kommen auch die teilweise treffenden Einzelbeobachtungen nicht zu dem ihnen zukommenden Gewicht. Für den Rezensenten ergibt sich der Eindruck, dass die Leseerfahrung der Vfn. immer wieder gegen das oktroyierte Verfahren rebelliert, dabei aber letztlich einer Fragestellung unterliegt, die den behandelten Autoren nicht nur fremd ist, sondern das Verständnis ihres Denkens eher verstellt als eröffnet. Die Vfn. stellt zwar mit Recht fest, dass auch der Nachweis, dass Barth (und wohl auch Adorno) solche Strukturen, wie sie in der Arbeit behauptet werden, nicht beabsichtigt habe, nicht bedeute, dass es solche Strukturen nicht gibt (21). Die zuversichtliche Behauptung aber, dass »keine fremden Elemente als Deutungsschlüssel herangetragen werden«, was durch die »Wechselseitigkeit von Verfahren und zentralen Begriffen« (ebd.) erreicht werde, bleibt bloße Absicht, die in der Durchführung nicht eingelöst wird.
Das zeigt sich an den drei Leitbegriffen, die jeweils in einer formalen Abstraktion bearbeitet werden, die beiden Autoren widerstrebt. Der Verzicht auf den von Barth wie Adorno eingeschärften Vorrang der Erfahrung der Sache führt dazu, dass sich die wichtigsten Einsichten fast durchweg in den Fußnoten finden. Schon »Erfahrung« ist bei Adorno keine Grundbestimmung der Erkenntnistheorie, gegen die sich sein Denken ohnehin sehr reserviert zeigt, sondern ein Berührtsein durch den Gegenstand; der aber ist das falsche Ganze, wie es sich in den einzelnen Phänomenen niederschlägt. Darum ist »Deutung« bei Adorno auch nicht, wie im gegenwärtig theologischen Gebrauch, eine Ermäßigung des Wahrheitsanspruchs in einer Wolke von Interpretationsangeboten, sondern seine Verschärfung: Seine psychoanalytische Grundierung, die wie die ästhetische Dimension bei Adorno fast vollständig übergangen wird, zielt auf die Entschlüsselung des falschen Ganzen durch das, was am signifikanten Einzelnen den Verblendungszusammenhang blitzartig durchbrechen kann.
Der Gewinn der Arbeit ist, dass das Thema einer theologischen Rezeption Adornos neu gestellt wird und mit Recht die Theologie Barths als sachgemäßer Gesprächspartner aufgesucht wird. Die Dominanz eines Ansatzes, der die kritische Bewegung beider in einen traditionellen philosophischen und theologischen Rahmen einpasst und damit letztlich neutralisiert, ist aber nicht nur interpretatorisch fragwürdig, sondern lässt auch die theologische Relevanz kaum erkennen; so kommen auch etliche treffende Einsichten im Einzelnen leider wenig zur Geltung.