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Ausgabe:

März/2020

Spalte:

240–241

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

[Schöndorf, Harald]

Titel/Untertitel:

Wort und Wahrheit. Fragen der Erkenntnistheorie. Festschrift für Harald Schöndorf SJ. Hrsg. v. U. L. Lehner u. Ro. K. Tacelli.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2019. 255 S. = Münchener philosophische Studien. Neue Folge, 35. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-17-034986-5.

Rezensent:

Harald Seubert

Dieser Band erschien als Festschrift aus Anlass des 75. Geburtstags von Harald Schöndorf SJ. Schöndorf war in den Jahren 1973–2014 Professor an der Hochschule für Philosophie in München. In vorbildlicher Weise werden die charakteristischen, ein ausgeprägtes Forschungsprofil bildenden Lebensthemen von Schöndorf, die Verschränkung von Erkenntnistheorie, Metaphysik und Geschichte der Philosophie aufgenommen. Dadurch entsteht ein dichter Gesprächsfaden, der das Problemfeld einer metaphysisch orientierten Erkenntnistheorie an entscheidenden Paradigmen durchmisst.
Der erste Teil des Bandes widmet sich »Grundfragen der Er­kenntnistheorie«. Ausgewählte grundlegende erkenntnistheoretische Fragen werden – ganz im Sinn von Schöndorf – aus einem engen Diskussionsfeld gelöst, in dem sie heute zumeist debattiert werden. Damit verlieren auch Dogmen von Empirismus und Szientismus einerseits, Dekonstruktivismus andrerseits ihre Verbindlichkeit. Erkenntnistheorie wird in fundierten Deutungen von klassischen Topoi und in systematischer Absicht rekonstruiert. Besonders hervorzuheben ist Markus Enders’ Studie über die Sachadäquatheit des korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriffs (29–39), die u. a. für Tarskis These einer logischen Äquivalenz zwischen Sachverhalt und dessen propositionalem Gehalt als Wahrheitsbegriff argumentiert. Damit formuliert Enders u. a. prägnante Standards der Unabhängigkeit der Wahrheit von bloßem Fürwahrhalten, bzw. der Sprachunabhängigkeit der Wahrheit (38). Rolf Schönberger erläutert in einem luziden Beitrag sodann die Begründungsstruktur des Platonischen Anamnesis-Begriffs (51–61). Von der Anamnesis her legt sich nahe, Wiedererinnerung als wesentliches Konzept von Erkenntnis zu erfassen. Norbert Fischer schließt an eigene frühere Publikationen zum metaphysischen und theologischen Gehalt Kantischen Denkens mit einer souveränen Zusammenschau von Erkenntniskritik und Gottesfrage bei Kant an (62–77). Die Verbindung bildet dabei die Begründung des Sittengesetzes, so dass das gegenüber Marcus Herz fixierte Selbstverständnis kantischen Denkens als einer »Metaphysik der Metaphysik« in eine stimmige Korrespondenz mit dem kantischen Konzept der Moralmetaphysik tritt.
Der zweite Hauptteil geht dann in konsequenter Fokussierung dem Profil der Erkenntnistheorie im Spannungsfeld zwischen Metaphysik und Ethik nach. Unter anderem findet man hier einen Beitrag von Johannes Herzgsell SJ über Edith Steins Explikation von Wesenserkenntnis und Wesensentfaltung (111–121). Herzgsells umsichtige Überlegungen sollten Anlass geben, dass die heute wohlfeile Abwehr »essentialistischer« Begründungsformen ihrerseits der Begründung bedarf. Nach dem Wesenswas von Phänomenen zu fragen, ist keineswegs obsolet. Auch Josef Schmidt SJ wendet sich einem oft übersehenen Themenkomplex zu (77–97): der Er­kenntnis von Intersubjektivität, die er in ihrem transzendental-metaphysischen Grund bei Fichte, Hegel und Schelling rekonstruiert. Besonders hervorzuheben sind außerdem die Studien von Ruben Schneider (121–131) und Bernd Goebel (151–171). Schneider legt ein konzises Plädoyer für den semantischen Realismus im Sinn der mengentheoretischen Plausibilität einer größten möglichen Extension des esse commune vor. Der Begriff des »Seins selbst« (esse ipsum) indes könne mengentheoretisch nicht mehr erfasst werden. Ein neuer ontologischer Realismus in er jüngeren Philosophie hat, wie Schneider zeigt, gute Evidenzen. Er ermöglicht es, Seins- und Gottesfrage näher in den Blick zu nehmen. Bernd Goebel entwi-ckelt anschließend an dem Aristoteles-Forscher W. D. Ross das Konzept von Wissen als »intrinsischem Gut«. Ross plädierte für die Vergleichbarkeit solcher intrinsischen Güter, was vor allem für den Kontrast von »Wissen« und »wahrer Meinung« relevant ist.
Der dritte Hauptteil konzentriert sich auf den Gipfelpunkt klassischer Metaphysik seit Platon und Aristoteles: auf die Gottesfrage selbst. Jörg Disse steuert eine umsichtige Studie zur »Epistemologie des Wunders« bei, die Richard Swinburne mit seinem Antipoden David Hume ins Gespräch bringt (171–193). Offenbarkeit und Ge­heimnis Gottes treten in den verschiedenen Beiträgen dieser Abteilung in fruchtbare Spannungsverhältnisse ein. Christina Schneider legt brillant die Beweisauffassung und Semantik von Anselms unum argumentum dar (233–244). Anselm behaupte gerade nicht, dass Gott all das ist, was von ihm geglaubt wird. Schneiders Lesart mündet in die in jedem Fall anregende und diskutierenswerte These, dass Anselm zeige, »dass Gott ist, wie wir glauben« (243). Das unum argumentum sei also ein formaler Beweis, der sich darauf begrenze zu zeigen, dass »unsere« Begriffsschemata in der Gottesfrage kohärent sind. Dies wirft die Frage nach der Reichweite natürlicher Gotteserkenntnis insgesamt auf. Felix Resch sucht ihre Spuren bei Jacques Maritain (193–203), der die natürliche Gotteserkenntnis als allgemein menschliche Disposition begreift, die sich in der Linie des Bergsonschen Elan vital in der Erfahrung Gottes als des absoluten Seins einstellt. Existenzielle und metaphysische Gotteserkenntnis ergänzen einander also: eine Linie, die Bernard Knorn SJ auf Franciscso Suarez’ theologische Erkennntnistheorie und ihre deutliche Unterscheidung zwischen theologischer und philosophischer Er­kenntnis zurückverfolgt (211–223). Jörg Splett zeigt in einem starken Schlussvotum, was es heißt, begrifflich in die Verborgenheit Gottes vorzudringen (245–255). Es bedeutet, dass Gott Tabu und Geheimnis bleibt. Das Bilderverbot der hebräischen Bibel lichtet sich aber in der Erscheinung Gottes im Menschsein des Menschen: So wird der Mensch als genuines Bild Gottes erkennbar. Präfiguriert wird dies durch die Studie des Mitherausgebers Ronald K. Tacelli SJ über Pascals Reflektionen zur divine Hideness (203–211).
Dieser bemerkenswerte Band ist sehr gut geeignet, die in jüngerer Theologie und Philosophie begegnende Furcht vor der Metaphysik ihrer Irrationalität zu überführen. Kritische Philosophie seit Kant, Phänomenologie und logisch-semantische Analyse bilden freilich das Nadelöhr und den Begründungsengpass, durch den ein neuer metaphysischer Realismus hindurch gehen muss. Vor diesem Hintergrund erweist sich Harald Schöndorfs Lebensthema als ausgesprochen fruchtbar für künftige theologisch-philosophische Grundlagendebatten.