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Ausgabe:

März/2020

Spalte:

238–239

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kirkpatrick, Kate

Titel/Untertitel:

Sartre and Theology.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2017. 224 S. = T & T Clark Philosophy and Theology. Kart. £ 16,99. ISBN 978-0-567-66449-5.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Jean-Paul Sartre ist vielleicht der bis heute bekannteste Vertreter des Existentialismus, wie er in der Mitte des 20. Jh.s unter Philosophen und Theologen populär war. Sein Verhältnis zur Theologie jedoch ist bislang kaum gewürdigt worden – am ehesten kann man noch an die 2010 veröffentlichte Arbeit von Thomas Ebinger denken (besprochen in ThLZ 135 [2010], 1371–1372). Ebinger jedoch hatte sich eine spezielle Fragestellung gewählt, Sartres Freiheitslehre. Das hier vorzustellende Buch der am King’s College London lehrenden Philosophin Kate Kirkpatrick zielt auf eine Gesamtsicht. Das aber nicht in dem Sinn, dass sie beansprucht, Sartres Publikationen komplett heranzuziehen – bei einem durchschnittlichen Output von 20 Seiten pro Tag über viele Jahrzehnte wäre das auch wenig realistisch –, sondern im Bemühen darum, das Theologische an Sartres Denken in seiner Breite in den Blick zu bekommen.
Dieser Versuch wird in drei Teilen angegangen: Zunächst einmal wird Sartres geistiges Herkommen verortet. K. schreibt hier über Zusammenhänge, die ebenso faszinierend wie unbekannt sind – zumindest außerhalb Frankreichs. Zur Sprache kommt die Diskussion um »christliche Philosophie«, an der sich maßgebliche Philosophen der 1930er und 40er Jahre beteiligten, aber auch die Verwurzelung des neueren französischen Denkens in der mystischen Tradition der École française de spiritualité vertreten von Autoren wie Pierre de Bérulle. K. überschreibt ein zentrales Kapitel »Sartre’s theological formation: In philosophy« und bringt so elegant zum Ausdruck, dass im säkularen französischen Bildungssystem Disziplingrenzen oft anders verlaufen als in Deutschland oder auch in Großbritannien. Um Sartres Verhältnis zur Theologie auf die Spur zu kommen, so zeigt es K., muss diese eigenartige Konfiguration in den Blick genommen werden.
Ebenso wichtig ist die theologische Grundierung der französischen Literatur im frühen 20. Jh., der K. in einem weiteren Kapitel nachgeht. Hier ist es besonders die Frage nach der Sünde, mit der sich Autoren wie Mauriac, Bernanos und Claudel intensiv beschäftigten und die in ihren Werken ihren Niederschlag fand. Beide Kontexte sind für den Philosophen und Literaten Sartre von offensichtlicher Relevanz, und so zeigt K. überzeugend, wie in Sartres eigener Entwicklung theologische Fragen und Themen von vornherein eine wichtige Rolle spielten; die Frage nach seinem Verhältnis zur Theologie, deren scheinbare Implausibilität sie gleich am Beginn des Buches offen anspricht, ist damit als berechtigt und zielführend erwiesen.
Im zweiten Teil wird dann Sartres eigenes Denken behandelt. Im Vordergrund steht in vielleicht nicht überraschender Weise Sartres existentialistisches Verständnis von negativen Phänomenen wie Angst, Täuschung und Entfremdung einerseits, seine positive Betonung der Freiheit andererseits. An diesen Phänomenen lässt sich in der Tat Sartres Hintergrund in einer jedenfalls ursprünglich christlichen Existenzphilosophie beispielhaft zeigen. In einem weiteren Abschnitt behandelt K. den ebenso einflussreichen wie umstrittenen Vortrag »Der Existentialismus ist ein Humanismus« von 1945. Zwar ist sie sich bewusst, dass Sartre selbst diesem Text distanziert gegenüberstand, aber er nahm doch bald eine kanonische Position in der Rezeption seiner Philosophie ein. Für die Frage nach dem Verhältnis Sartres zur Theologie ist er in jedem Fall einschlägig, da in ihm pointiert einem atheistischen Existentialismus das Wort geredet wird. Liest man Sartre von diesem Text her, muss man den Eindruck gewinnen, dass er selbst es als seinen wichtigsten Beitrag zur Weiterentwicklung der existentialistischen Tradition betrachtete, diesen von allen theistischen Spuren getilgt zu haben.
Angesichts dessen könnte der Leser nun meinen, die Frage des Verhältnisses von Sartre zur Theologie sei letztlich doch eindeutig im Sinne einer Antithese gelöst, aber an genau diesem Punkt zieht K. sozusagen ihre letzte Trumpfkarte. Denn wie sie im dritten und letzten Teil des Buches zeigt, schieden sich an Sartre die theologischen Geister gerade, insofern er die atheistischen Konsequenzen seines Existentialismus so provokant benannte und in den Vordergrund rückte. Denn es war natürlich möglich, in diesem Bekenntnis eine glatte Absage an die theologische Tradition zu finden; man konnte freilich ebenso gut argumentieren, dass der Philosoph auf bemerkenswerte Weise die Gottlosigkeit der aus sich selbst heraus verstandenen Welt artikulierte, die zu bejahen es ebenso gute theologische Gründe gab. Erstere Position findet sich z. B. bei Sartres Landmann Gabriel Marcel, letztere hingegen u. a. bei Paul Tillich. K. behandelt systematisch Sartres Rezeption unter protestantischen, katholischen und orthodoxen Autoren und gibt so einen Eindruck von der Breite und Vielfalt der theologischen Reaktionen, zu denen Sartres Denken Anregung gegeben hat.
Insgesamt liegt der Schwerpunkt des vorgestellten Buches in seinen kontextuellen Abschnitten: Unter den drei Teilen ist der zweite, der Sartres eigene Ideen behandelt, bei weitem der kür-zeste. Das liegt allerdings wohl kaum daran, dass K. hierzu nichts zu sagen hat, da zeitgleich mit dem hier besprochenen Werk ihre umfassende Untersuchung zu Sartre on Sin erschien (Oxford: OUP, 2017). Die beiden Bücher sollten zusammen gelesen werden, wenn man K.s Einsichten zu Sartre voll gerecht werden will. Sartre and Theology geht es primär darum, die bemerkenswerten Fäden aufzuzeigen, mit denen das Werk dieses atheistischen Existentialis-ten mit der Tradition der christlichen Theologie verknüpft war und ist.