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Ausgabe:

März/2020

Spalte:

225–227

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Lang, Bernhard

Titel/Untertitel:

Religion und Literatur in drei Jahrtausenden. Hundert Bücher.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019. XII, 764 S. m. 2 Abb. u. 20 Tab. Geb. EUR 79,00. ISBN 978-3-506-79227-3.

Rezensent:

Konstantin Sacher

Wie verhandelt man in einer Monographie am besten ein Thema, das so vielfältig und umfangreich ist wie das von »Religion und Literatur«? Eine Möglichkeit ist, erst einmal theoretisch einen Religionsbegriff zu erarbeiten und dazu einen Literaturbegriff und dann beides auf einander zu beziehen. In Anbetracht der Schwierigkeiten, denen sich ein solches Unterfangen aussetzen würde – ist doch beides, Religion und Literatur, wiederum ein so vielfältiges und umfangreiches Feld, dass eine theoretische Ausarbeitung dieser zwei Begriffe in nur ansatzweise befriedigendem Ausmaß wohl eher eine Lebensaufgabe wäre –, erscheint die zweite Möglichkeit attraktiver: ohne sich auf eine Art des Religions- und Literaturbegriffs festzulegen, sondern anhand von Beispielen aus der Literaturgeschichte darzulegen, wo und inwiefern etwas vorkommt, das man als Religion bezeichnen könnte, und dabei auch Religion im denkbar weitesten Sinne zu verstehen. Dieses Vorgehen hat Bernhard Lang im hier vorgelegten Buch gewählt. Er umkreist das Feld von »Religion und Literatur« anhand von hundert Beispielen aus dreitausend Jahren Literaturgeschichte, was konkret so geschieht, dass er jedes der hundert Bücher nacheinander durchgeht und nach einem festgelegten Schema bespricht. Und mit dieser zweiten der vorgeschlagenen Vorgehensweisen tut L. nicht nur sich selbst einen Gefallen, indem er es vermeidet, sich auf eine Art von Literatur- und / oder Religionsverständnis festzulegen, er tut auch dem Leser einen Gefallen, muss dieser sich doch bei jedem der insgesamt hundert Beispiele aufs Neue auf eine Geschichte einlassen. So wird die Lektüre dieses monumentalen Werks, nicht anders kann man es von Umfang und Gelehrsamkeit her nennen, tatsächlich auch noch spannend. Und das gilt sowohl für die Werke aus der Literatur, die der Leser schon kennt, als auch für die, die er noch nicht gelesen hat. Bei denen, die man selbst bereits gelesen hat, bezieht sich die Spannung auf die Interpretation L.s, also auf die Frage, wo und inwiefern er im Einzelnen das Religiöse ausmacht und wie er es deutet. Bei den Werken, die man als Leser noch nicht kennt, kommt dazu die Spannung, die entsteht, wenn L. die jeweils gegebenen Inhaltsangaben der Werke liest und damit den Stoff des Buches in nuce präsentiert. L. gelingt damit etwas vermeintlich Selbstverständliches, in Wirklichkeit aber höchst seltenes: Er unterhält und lehrt zu­gleich.
Das Buch gliedert sich in Einleitung, Nachwort und acht Kapitel. Die ersten sieben Kapitel behandeln, chronologisch geordnet, sieben Phasen der Literaturgeschichte anhand von ausgewählten Werken, die, jedes einem eigenen Paragraphen zugeordnet, nacheinander durchgegangen werden. Das letzte, achte Kapitel bietet dann eine Art zusammenfassende Deutung des Präsentierten, die dem Leser, der sich vielleicht doch lieber ein Buch nach der ersten der beiden oben als möglich beschriebenen Vorgehensweisen gewünscht hätte, entgegenkommt, ohne dabei den Fehler zu begehen, sozusagen im Nachklapp doch noch einen Literatur- und Religionsbegriff to go bereitzuhalten.
In seinem Vorwort bezieht sich L. auf den US-amerikanischen Theologen und Literaturwissenschaftler Nathan Alexander Scott (1925–2006), den »Begründer der modernen theologischen Literaturwissenschaft« (IX), dessen Programm er in etwa so zusammenfasst: Religion und Literatur erläutern sich immer gegenseitig und es ist unmöglich eines unabhängig vom anderen zu verstehen. Diese Prämisse Scotts nimmt L. auf, will seinen Ansatz aber insofern über den von Scott und seinen Anhängern hinausgehend verstanden wissen, dass sie »mehr an Forschung über Gegenwartsliteratur« interessiert seien, während L. auch und besonders an »Gelehrsamkeit, an Vertrautheit mit den alten, umfangreichen Beständen der Weltliteratur« interessiert ist.
In seiner Einleitung erläutert L., wie er zu der Auswahl der hundert Bücher gekommen ist, die für ihn die dreitausend Jahre umschreiben, die er verhandelt. Diese Auswahl bezeichnet er als »kleine, sinnvolle Auswahl der vielgelesenen und lesenswerten Klassiker« (1). Insofern kann sie durchaus als in gewissem Sinne konventionell verstanden werden, finden sich hier doch kaum Werke, von denen der Literaturinteressierte noch nie gehört hat. Das gehört jedoch zu L.s Programm, der sein Buch eben auch besonders als Nachschlagewerk für Schüler und Schülerinnen, Studierende und Lehrende an Hochschulen konzipiert hat. Und in diesem Sinne ist seine Auswahl auch wirklich sinnvoll, klein jedoch nur im relativen Sinne, nämlich bezogen auf die unendliche Fülle von Werken der Literaturgeschichte. Um die hundert Werke seiner Auswahl zu ordnen. gliedert L. die 3000 Jahre, in denen sie erschienen sind, in sieben Abschnitte, die für ihn jeweils einem »bestimmten geistigen Klima« (7) entsprechen [1. »Archaisches Paradigma« und »Die Welt der Tradition« (Vorzeit), 2. »Achsenzeit« und »Neue Religionen und Philosophen« (Antike), 3. »Axiales Paradigma« und »Zeitalter des Glaubens (bis 1750)«, 4. »Aufklärung« und »Aufklärung – der große Umbruch (1750–1832)«, 5. »Konservatives Paradigma« und »Selbstbehauptung des Glaubens (1826)«, 6. »Religionskritisches Paradigma« und »Im Zeichen von Atheismus und Religionskritik (1878–????)«, 7. »Experimentelles Paradigma« und »Neue Wege von Theologie und Spiritualität (1905–????)«]. Dieses Schema wird nicht sehr detailliert begründet und ist natürlich von vielen Seiten her angreifbar. Doch mögliche Einwände werden durch das Lesen des Buches en passant selbst entkräftet, da sich das Schema L.s im Laufe seines Buches durch die Durchführung der Einteilung selbst zu begründen scheint. Und grundsätzlich gilt natürlich: Alle schematische Einteilung ist anfragbar und erhält ihre Güte vor allem durch ihre Erschließungskraft. Diese ist im vorliegenden Fall groß. Seine ausgewählten hundert Bücher kategorisiert L. außerdem in drei Gruppen (Große Werke der Dichtung, Heilige Schriften, Sachliteratur). Aus jeder Gruppe finden sich Werke in den sieben Zeitabschnitten. Jedes Werk wird dann wiederum nach einem bestimmten Schema besprochen: Zunächst werden der Autor, der Titel, die Gattung des Textes und die Entstehungszeit genannt, dann wird eine knappe Inhaltsangabe gegeben, dann werden die religiösen Aspekte des Werkes interpretiert, dann wird ein Vergleich mit ähnlichen Werke gegeben und schließlich auf die Rezeptionsgeschichte eingegangen. Anhand dieses Schemas, das gelegentlich etwas variiert wird, schafft es L., die meisten der hundert Bücher auf ungefähr sechs Seiten zu behandeln (der längste Ab­schnitt ist mit 13 Seiten der zu Dantes Göttlicher Komödie). Durch diese insgesamt, jedoch nur formal, nicht inhaltlich, sehr schematisierte Vorgehensweise eignet sich L.s Buch hervorragend als Nachschlagewerk. Ein sehr umfangreiches Register zu Personen, Themen und literarischen Figuren unterstreicht die Qualität auf diesem Gebiet noch einmal. Auch wenn L. seinem Buch selbst das Attribut von Gelehrsamkeit gibt, was auf L. bezogen ohne Frage zutrifft, macht das Buch doch eher den Eindruck, dass ein sehr belesener Erzähler am Werk ist, was vor allem an der unprätentiösen Sprache und klaren Schilderung der einzelnen Bücher liegt.
Wie fruchtbar die Beschäftigung mit dem Gebiet von Religion und Literatur insgesamt sein kann, zeigt sich schließlich im achten Kapitel, in dem L. sein Schema verlässt und über die Grenzen der Besprechung einzelner Werke hinaus auf sein Themengebiet blickt. Dabei kommt er zu einer Deutung von Religion in unserer Gegenwart, die für einen Theologen zunächst hart klingt, sich aber, nach der Lektüre seines Buches und der damit gleichsam gelieferten Religionsgeschichte unmittelbar erschließt: »Religion bedient – wie schon immer – emotionale Bedürfnisse, dagegen dient sie nicht mehr der Welterklärung; diese Funktion hat sie an die Wissenschaft abgegeben. Dementsprechend schlägt nun die Stunde des Therapeuten und Lebensberaters; die Zeit des theologischen Denkers und kirchlichen Managers ist abgelaufen.« (691)