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Ausgabe:

März/2020

Spalte:

220–222

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Ackermann, Erich

Titel/Untertitel:

Die Persönlichkeit des Joseph Beuys als Modell einer Plastischen Theologie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 420 S. Kart. EUR 88,00. ISBN 978-3-374-06024-5.

Rezensent:

Eugen Blume

Es war längst überfällig, das Werk und die Person Joseph Beuys aus theologischer Sicht zu beurteilen. Damit ist nicht die Rezeption der dezidiert als christlich erkennbaren Werke aus seiner frühen Schaffensphase gemeint, sondern das zu hinterfragen, was der Künstler beabsichtigte, wenn er den erweiterten Kunstbegriff als seinen wichtigsten Beitrag zum Christusbild verstand. Joseph Beuys ist nicht nur katholisch aufgewachsen, sondern hatte zeit seines Lebens Berührung mit Theologen und konfessionell gebundenen Menschen, die seine Werke ausgestellt und über sie geschrieben haben, etwa mit Monsignore Otto Mauer in Wien, dem Jesuitenpater Friedhelm Mennekes in Köln, dem katholischen, an der Düsseldorfer Akademie lehrenden Philosophen Walter Warnach bis zu dem mit ihm befreundeten Schriftsteller katholischen Glaubens Heinrich Böll. Was die Kunstgeschichte bisher über eine herkömmliche Beschreibung seiner ablesbar christlich intendierten Werke und Zeichen weitgehend ausklammerte, ist, dass Beuys über die frühe Hinwendung zu christlichen Bildtraditionen hinaus der Christusfigur eine substantielle Rolle in seinem Denken und Handeln einräumte. Auch diese Figur unterliegt bei ihm der Transformation, dem plastischen Prinzip, der Formung im Sinne der Freilegung ihrer von den »Kirchenbetrieben« (Beuys) verfremdeten Ge­stalt. Beuys fundamentale Hinwendung zu Christus ist eine der originellsten Annäherungen im Diskurs über die kulturelle Rolle des spirituellen Denkens. Sich dezidiert mit diesen Momenten theologischer Fragen auseinanderzusetzen, fehlte in der Beuys-Literatur bisher, obwohl das von Friedhelm Mennekes 1996 postum veröffentlichte Gespräch »Christus denken« geradezu elektrisierend wirkt.
Im Titel des nun von dem Theologen Erich Ackermann vorgelegten umfassenden Buches ist »plastische Theologie« ein bisher in der Beuys-Literatur nicht vorkommender Begriff, der für das Begreifen der komplexen Ideen von Beuys erhellend ist. Um die von A. dicht an die Persönlichkeit von Beuys gelagerte plastische Theologie als ein Modell, als eine vor-bildliche und exemplarische Aktion auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse hin zu verstehen, führt A. den Leser durch das Leben des Künstlers und zitiert ausführlich die umfangreiche Beuys-Literatur. Da es er­staunlicherweise bisher nur wenige gelungene Versuche einer ausgeglichenen und kritischen biographischen Annäherung gegeben hat, ist sein Buch neben dem eigentlichen Thema eine wohltuende, von hagiographischen und politischen Polemiken freie Darstellung des Lebenslaufes. Von Anbeginn wird der Bezug zum Christ lichen als ein wesentliches Moment jener Transformationsprozesse herausgestellt, die aus der 1964 vollzogenen radikalen und modellhaften Gleichsetzung von Lebens- und Werklauf hervorgegangen sind. A. korrigiert die eigenartig anmutende Behauptung von Beuys, die geistigen Wurzeln des Christentums bei den Germanen und Kelten und nicht »in der nomadischen Tradition der Wüste« zu sehen, und beschreibt eingehend den Um- bzw. Rückweg des vom vorkonziliaren niederrheinischen Katholizismus ge­prägten Beuys über Rudolf Steiner in eine transkonfessionelle Chris-tusidee.
Mitunter wünscht sich der Leser über die ausführlichen Zitate aus der Beuys-Literatur hinaus noch ausführlicher die kritische Meinung A.s zu hören. Die Aktionen, die zweifellos wichtige Demonstrationsformen einer zuvor in der Kunst nicht vorkommenden Hinwendung zum Christusimpuls sind, werden aus meiner Sicht nicht ausreichend auf diese von der Kunstgeschichte weitgehend gemiedenen Felder oder auch auf ihren unbewussten Reflex auf die kirchliche Liturgie untersucht. Etwa den als Schlüssel-Aktion gedeuteten Auftritt von Beuys 1964 im Rahmen eines FLUXUS-Festivals in Aachen auf die Reaktion auf den Angriff eines Studenten zu reduzieren, übergeht die bisher wenig beachteten, aber für das Thema zentralen Beziehungen zu dem bei Rudolf Steiner wichtigen Rosenkreuzer-Mythos. Nur nebenher, Beuys er­wärmte nicht Fettbarren, sondern hantierte mit Säure, deren Spritzer die Kleidung des aufgebrachten Studenten beschädigten. Natürlich ist die für Edinburgh entwickelte, das Keltische im Titel führende Aktion, besonders in der Basler Fassung mit Fußwaschung und Taufelement lohnend für das Thema, aber es fehlt der Bezug zu den vorchristlichen Kelten, die Beuys in auf Tafeln ge­schriebene Zeichen anspricht, und die sogenannte Speersequenz, die nichts mit »Langeweile« zu tun hat, wie zitiert wird, sondern eine von den Schamanen übernommene Trance-Session war, während der eine Bewusstseinsebene angestrebt wird, die im »rationalen« Christentum verloren ist. M. E. hat die zweite, von A. beispielhaft gewählte Aktion »Der Chef, The Chief, Fluxusgesang« nicht unmittelbar mit christlichen, sondern ebenfalls mit bewusstseinsverändernden atavistischen Ritualen zu tun. Die Utensilien der Aktion, etwa die beiden toten Hasen am Fuß- und Kopfende der Filzrolle, in der Beuys acht Stunden eingewickelt lag, die von A. nur summarisch erwähnt werden, sind ein deutlicher Hinweis auf vorchristliche geistige Wandlungen. Dem mit »Ein in Szene gebrachtes Grübeln über die unberührbar schweigende Anwesenheit des Herrn« zitierten Augenzeugen Franz Joseph van der Grinten muss widersprochen werden. Beuys hat das Wort Chef von seinen lateinischen Wurzeln her als caput, der Kopf, verstanden, nicht als Herrn. Beuys hat, wie A. an anderer Stelle ausführt, den Christusimpuls mit den spirituellen Fähigkeiten magischer Kulturen verbunden, die er nicht als einen im Monotheismus bzw. der christlichen Kirche überwundenen Aberglauben verstand. Beuys ist energetisch gesehen, Christ und Schamane in einer Person und in dieser Doppelfigur Pädagoge, Politiker und Künstler. Dass A. Eurasienstab und Manresa (nur erwähnt) als für sein Thema wichtige Aktionen nicht bespricht, ist schade. In Manresa ist nicht nur der Ort der Wandlung, der – für Beuys wichtigen – Initiation des Kriegers zum gottgläubigen Priester und Begründer des Jesuitenordens angesprochen, sondern theologisch lohnenswert ist das in diesem Zu­sammenhang zentral gesetzte halbierte Kreuz, dessen revolutionäre Idee im Buch zu kurz kommt, und vor allem die während der Aktionszeit gestellte Frage nach dem Element 3, nach der »Fähre« zur Utopie. Das halbe Kreuz signalisiert bei ihm nicht nur den Abfall und die Wiedergewinnung christlicher Tugenden, sondern ist Universalzeichen für die Forderung nach Auflösung des Schis mas nicht nur der christlichen, sondern der Weltreligionen, die sich aber nicht in einer gemeinsamen Kirche, sondern in einem neuen, weltumfassenden spirituellen Denken, in der sozialen, von allen Menschen getragen Plastik finden sollen. Deshalb steht bei Beuys das halbierte Kreuz auch im Zusammenhang mit dem Begriff Eurasia. Die Aktionen Manresa und Eurasienstab zeigen gleichsam die weltumspannende universelle »Physik« seiner plas-tischen Theologie.
A. tritt mit den ihm nahen Auffassungen von Beuys in einen kritischen, theologischen Disput mit der gegenwärtigen Kirche ein. Mit exegetischer Genauigkeit entkräftet er vorschnelle Ressentiments. Er sieht die in eine plastische Theologie mündende Chris-tologie des Joseph Beuys als ein Vademekum zur Wiederbelebung der ermüdeten Kirchen. Der ungetrennte Werk-/Lebenslauf von Beuys ist für A., wie der Titel ausweist, eine exemplarisch gelebte Freiheitstheologie. Mit diesem Buch ist eine Lücke in der Beuys-Rezeption geschlossen.
Ich bin mir sicher, dass A. als Hochschulpfarrer den schöpferischen Furor dieses singulären Lebens- und Gesellschafts-Modells jungen Menschen als Widerspruch gegen einen kalten, als totalitär herrschende Ökonomie auftretenden Materialismus nahezubringen versteht. Sein reiches Buch ist nicht nur Kunsthistorikern und Theologen, sondern allen an der Veränderung der Welt interessierten kritischen Zeitgenossen zu empfehlen.