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Ausgabe:

März/2020

Spalte:

201–202

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Traxler, Christina

Titel/Untertitel:

Firmiter velitis resistere. Die Auseinandersetzung der Wiener Universität mit dem Hussitismus vom Konstanzer Konzil (1414–1418) bis zum Beginn des Basler Konzils (1431–1449).

Verlag:

Göttingen: V & R unipress (Vienna University Press) 2019. 547 S. = Schriften des Archivs der Universität Wien, 27. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-8471-0976-1.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

In der Monographie, einer Dissertation an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien 2018, geht es um die Frage, »wie die Wiener Universität und ihre Gelehrten im ersten Drittel des 15. Jh.s auf die Häresie der Hussiten reagierten« (483). Christina Traxler wertet dabei – zum Teil ungedruckte – Quellen aus, vor allem theologische Traktate, die sich mit den Fragen um den Laienkelch und die Vier Prager Artikel befassen. Dabei fällt auf, welch dominierende Rolle der Landesfürst (Herzog Albrecht V. von Österreich) eingenommen hat.
Im 1. Kapitel wird das antihussitische Engagement der Wiener Universität zur Zeit des Konstanzer Konzils dargestellt (19–80). Doch schon »1410 machte die Wiener Universität erstmals nachweislich als Gegnerin des Wyclifismus auf sich aufmerksam« (86). Bereits im November 1414 beauftragte Johannes XXIII. die facultas theologica mit der Beratung dogmatischer Fragen, vor allem der causae Wyclif und Hus. Obwohl Wyclifs Anschauungen schon mehrfach verurteilt wurden, gewannen diese durch Hus erneut Brisanz. Doch »weder bei der Verurteilung der Wyclifschen Artikel noch im Prozess gegen Jan Hus ist eine Beteiligung der Wiener Gelehrten nachweisbar« (34). Aber schon zu Beginn der Auseinandersetzung mit den Artikeln sind zwei Schriften erschienen, die Confutatio Jacobi di Misa von Peter von Pulkau und die Conclusiones doctorum, offenkundig das Ergebnis von Beratungen einer Kommission (36). Sie befassen sich mit dem Problem des Laienkelchs. Peter »war der erste, der ein konzilsinternes Arbeitspapier gegen den Laienkelch ausarbeitete«, das wohl einen »Expertenbericht« für die Theologische Fakultät darstellte (484). Er richtet sich konkret gegen Jakobell von Mies. Peter wirft ihm vor, seine Argumente als unumstößliche Beweise vorzubringen, dabei aber die Autoritäten sinnentstellend darzulegen, denn die Kirche und ihre Gewohnheit sei die entscheidende Größe. »Ausgehend vom Zugeständnis, dass in der Urkirche die Kommunion unter beiden Ge­stalten gespendet wurde, liegt sein Fokus darauf, aufzuzeigen, dass daraus keine immerwährende Verpflichtung abgeleitet werden kann und die Kirche diesen Brauch vernünftigerweise abzuändern berechtigt war« (44). In allen folgenden Streitschriften ist die Ge­wohnheit die entscheidende Instanz, so dass die auctoritas scripturae in den Hintergrund gerät.
Als 1417 die Prager Universität fest in hussitischer Hand ist, formulierte sie »eine Schrift über die Notwendigkeit des Laienkelchs als einheitliches theologisches Programm der Hochschule« (58). Darauf bekräftigte das Konstanzer Konzil umgehend das Kelchdekret von 1415. Darauf wiederum verfasste Nikolaus von Dinkelsbühl seinen Traktat, der mit den Worten beginnt »Barones regni Bohemie«, und vertieft darin die Argumentation des Peter von Pulkau. Standen zunächst für die Universitäten andere Themen (Schisma, Benefizien, universitäre Jurisdiktion) im Vordergrund, wurde schnell erkannt, dass die Frage nach dem Laienkelch die entscheidende hussitische Forderung war (60 ff.).
Im 2. Kapitel werden die Wiener Bemühungen nach den amtlichen Quellen dargestellt (81–179). Es zeigt sich, dass die Wiener Universität »nicht nur als ›Informationsbörse‹, auch als Schiedsstelle fungierte« (112) und oftmals mit der Pariser Universität kooperierte. Sie schärfte dabei ihr antihussitisches Profil. Auf dem Basler Konzil wirkte später Thomas Ebendorfer als offizieller Universitätsvertreter. Die Universität bekräftigte gegen ihren Vertreter das Verbot, »den Hussiten bei der Kommunion unter beiderlei Gestalten irgendwelche Zugeständnisse zu machen« (162).
Im 3. Kapitel geht es um die Beteiligung von Wiener Gelehrten an den Provinzial- und Diözesansynoden zwischen den beiden Universalkonzilien (181–233). Dabei wird dem Sachverhalt nachgegangen, inwieweit die verkündeten Canones sich konkret durchsetzen ließen. So sollte Canon 32 »dem Pfarrvolk an jedem Sonn- und Feiertag in der Muttersprache« erklärt werden (232).
Im 4. Kapitel wird das theologische, diplomatische und militärische Ringen um eine Einigung mit den Hussiten beschrieben (235–327), vor allem geht es darum, wie die Wiener Gelehrten sich in Traktaten gegen den Laienkelch und die Vier Prager Artikel gewandt haben. Vieles wird wiederholt, was schon mehrfach dargestellt wurde. Es zeigt sich, dass »der Hussitismus, und dieser Umstand ist auch theologisch wichtig«, sich definierte »von der Verkündigung des Wortes Gottes her. Der Verkündigungsauftrag überragte die Kirchenstruktur.« Zwar war der Laienkelch das gemeinsame Symbol aller Hussiten, aber im Eucharistieverständnis bestanden zwischen den einzelnen Gruppen erhebliche Differenzen (263 f.). Die Vier Prager Artikel werden als »hussitisches ›Kompromissprogramm‹« angesehen (267). Gegen sie richten sich die anonymen Responsiones ad quattuor articulos datos domino duci Austrie per illos de Praga; sie werden im Anhang ediert (493–497). Überlegungen, wer sie verfasst haben könnte, bleiben ohne Ergebnis. Während Papst Martin V. die militärische Auseinandersetzung favorisierte, bemühten sich die Wiener um den Ausgleich in verschiedenen Streitgesprächen und -schriften (310).
Das 5. Kapitel befasst sich mit dem Wiener Tractatus contra quattuor articulos Hussitarum (329–482), der umfangreichsten und am weitesten verbreiteten Wiener Schrift gegen die Hussiten; 56 Handschriften sind bekannt. Auch in ihr steht die Widerlegung des Kelchartikels im Mittelpunkt. Sie wirft den Böhmen vor, »die Worte der hl. Schriften nur oberflächlich, den Buchstaben gemäß […] ohne Beiziehung irgendeiner Auslegung« zu verstehen, um damit die simplices zu beeindrucken (336). Damit würden sie deren Heil gefährden. So wendet sich die Schrift gegen die Forderung nach Armut des Klerus, nach freier Predigt und nach der Laienkommunion unter beiderlei Gestalt.
Seltsam erscheint die Aussage zur geistlichen Kommunion: »Mit dem Empfang der Taufgnade sei das Gebot Christi, geistlich zu kommunizieren, erfüllt.« (389) War wirklich zur Zeit Innozenz’ III. die Kommunion nur unter der Brotgestalt allgemein verbreitet, wie der Traktat behauptet (401)? Wer ihn verfasst hat, bleibt im Dunkel, Teile müssen bereits aus der Zeit des Konstanzer Konzils stammen (436). Waren die Wiener zunächst auf Ausgleich bemüht, so wurde ihr Ton gegen die Hussiten nach 1420 zunehmend scharf. Es zeigt sich, Teile des Traktats müssen aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Autoren stammen. – Bibliographie und Personenregister sind beigegeben.
T. legt eine sehr umfangreiche, breit geschriebene Untersuchung vor, der eine deutliche Straffung gutgetan hätte; teilweise schweift sie auf andere Themen ab, auch wiederholt sie sich häufig. Widersprüchlich erscheinen die Aussagen darüber, ob es sich bei den militärischen Auseinandersetzungen seitens der Hussiten nun um Angriffs- oder um Verteidigungskriege handelt. Unüblich ist, dass die Gelehrten häufig nur nach ihrem Herkunftsort genannt werden (z. B. Dinkelsbühl, richtiger: der Dinkelsbühler). Doch insgesamt macht die Arbeit einen soliden Eindruck. Die Quellen werden stellenweise reichlich in den Anmerkungen zitiert, was angesichts der Tatsache, dass sie weithin bis heute nur handschriftlich vorliegen, sehr erwünscht ist.