Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2020

Spalte:

195–197

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kwiatkowski, Iris, u. Jörg Engelbrecht (†) [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580). Bd. II: Die räumliche und geistige Ausstrahlung der Devotio Moderna – Zur Dynamik ihres Gedankenguts. Münster: Aschendorff 2013. 250 S. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-402-13002-5.

Rezensent:

Vera von der Osten-Sacken

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Boer, Dick E. H. de, u. Iris Kwiatkowski [Hrsg.]: Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580). Bd. I: Frömmigkeit, Unterricht und Moral. Einheit und Vielfalt der Devotio Moderna an den Schnittstellen von Kirche und Gesellschaft, vor allem in der deutsch-niederländischen Grenzregion. Münster: Aschendorff 2013. 207 S. m. Abb. Geb. EUR 42,00. ISBN 978-3-402-13001-8.


Die Bochumer Mediävistin Iris Kwiatkowski, der emeritierte Groninger Mediävist Dick E. H. de Boer und der inzwischen verstorbene Kultur- und Landeshistoriker Jörg Engelbrecht führen im vorliegenden zweibändigen Sammelwerk die Ergebnisse eines Forschungsprojektes zusammen, das sich zum Ziel gesetzt hat, den werteprägenden gesellschaftlichen, ethischen und moralischen Einfluss der Devotio Moderna im geldrisch-niederrheinischen Raum im Spätmittelalter zu untersuchen. Band I ist der Einheit und Vielfalt des Gedankenguts der Devotio Moderna an den Schnittstellen von Kirche und Gesellschaft, Band II dessen räumlicher und geistiger Ausstrahlung gewidmet.
Nach einer einleitenden Übersicht von Dick H. E. de Boer über den Forschungsstand zur Devotio Moderna im deutsch-niederländischen Grenzgebiet widmet sich Nikolaus Staubach der Spannung zwischen partikularer Identität sowie der Vielfalt der Ausprägungen und universellem Anspruch der Devotio Moderna. Rita Schlusemanns sehr ansprechend bebilderter Beitrag fragt danach, ob die Region von der Ijssel bis Ostwestfalen ein »Kulturgebiet« genannt werden kann. Dafür betrachtet sie die Verbreitung von Schriften der Devotio Moderna als »›supranationale(r)‹ Textgemeinschaft« (61) im niederländisch-deutschen Gebiet und plädiert dafür, weniger nach den Beständen einzelner Klöster als eine raumorientierte Perspektive einzunehmen. Iris Kwiatkowski weist auf Parallelen in Verhalten und literarischen Äußerungen von Devotio Moderna und Kartäusern hin. Dieter Scheler untersucht den Xantener Dekan Arnold Heymerick als einen Bewunderer derselben, dessen »Frömmigkeitspraxis der ihren geradezu entgegengesetzt war« (117). Heymerick habe jedoch vor allem die »ethische, soziale und ästhetische Haltung« (130) der Devoten interessiert. Bertjaap van der Ploeg stellt Gosewijn van Halen, von 1507 bis 1530 Rektor des Brüderhauses der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Groningen, als Grenzgänger zwischen von Humanismus und Devotio Moderna vor. Viktor Wanka fragt nach der Rolle der Fraterherren im »kulturpsychologischen Transformationsprozess zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit« (195). Hierbei fragt er vor allem nach dem Erfolg der Devotio, den er in ihrer laikalen Prägung und einer gelungenen Verbindung von Tradition, Reform und Innovation (207) erkennt.
In ihrer Einleitung zu Band II stellt Iris Kwiatkowski heraus, dass die Devotio Moderna räumlich nicht nur zwischen Meuse und Rhein, sondern auch im Gebiet der heutigen Benelux-Staaten, von Nordrhein Westphalen und in Teilen Niedersachsens wirksam war. Dieter Scheler richtet sein Augenmerk auf die Ästhetik der Devotio. Am Beispiel des nordfranzösischen Benediktinerkloster Liessies arbeitet er eine scheinbar unbeabsichtigte Konzentration und Präzision heraus, die sich bei näherem Hinsehen als bewusst gewolltes Programm darstellt, das zu »friedvoller, nicht-ekstatischer Vereinigung der Seele mit Gott« (19) habe führen sollen. Matthias Bley geht auf Spurensuche nach der Devotio Moderna in Ostfriesland. Hierfür bietet er zunächst einen Forschungsstand, stellt sodann vor allem solche Quellentexte vor, die bislang wenig ausgewertet wurden, und plädiert schließlich dafür, »in der künftigen Devotio-Forschung für Ostfriesland stärker zwischen Wirksamkeit und Institutionen« zu unterscheiden (55). Auch Cornel Zwierlein befasst sich mit Ostfriesland und der religiösen Pluralität in diesem Gebiet um 1540. Die »Devotio Moderna hat keine Spuren im Ostfriesland des 16. Jh.s hinterlassen« (74), stellt er schließlich fest und leistet damit den durchaus wertvollen Beitrag eines wohlbegründeten Negativbefundes. Andreas Rüther betrachtet das Königreich Böhmen vor und nach der Reformation, das seinen eigentlichen Umbruch, wie er betont, bereits mit den Hussiten erlebt habe. Martin Biersack entfaltet den Entstehungskontext der spanischen Kirchenreform- und Observanzbewegung, der dem der Devotio Moderna in den Niederlanden recht ähnlich sei. Treibende Kräfte hinter Reformmaßnahmen in Spanien waren jedoch Vertreter der Amtskirche und die Könige (113).
Koen Goudriaan vergleicht die Devotio Moderna mit den englischen Lollarden, die als Häretiker marginalisiert wurden. Neben den stark unterschiedlichen Rahmenbedingungen für beide Bewegungen findet er signifikante ideologische Unterschiede und plädiert dafür, diese in weiteren Studien näher zu ergründen. Fiona Somerset widmet sich den Parallelen zwischen Devotio und Lollarden und wendet sich gegen allzu einseitige Interpretationen der Lollarden als »Häresie«. Michael Oberweis betrachtet die Beziehungen zwischen den Brüdern vom gemeinsamen Leben und den 1410 reformierten Kreuzherren. Besonders im Blick sind hierbei personale Überschneidungen und die damit verbundene Wissensvermittlung. Iris Kwiatkowski fragt nach der literarischen Rezeption der Devotio-Literatur durch kartäusische Schreib- und Übersetzungstätigkeit, die in dem schweigenden Orden die Stelle der Predigttätigkeit einnahm. Dies findet sie wiederum von den Devoten übernommen, so dass durchaus von einer Außenwirkung der Kartäuser gesprochen werden könne. Ulrike Hascher-Burger bereichert den Band um eine genderhistorische Perspektive auf die Weihnachtsmeditation der Devoten in ihren Liedern. Sie arbeitet eine deutlich geschlechtsspezifische Gesangspraxis heraus, die markant vom normativen Anspruch devoter Erbauungsliteratur abweicht. Dieser Befund eröffnet eine weitere Fragerichtung, die nach Meinung der Rezensentin fruchtbar mit Befunden aus vorhergehenden Jahrhunderten verknüpft werden könnte. Catrien Santing arbeitet den hohen Stellenwert lesender Gelehrsamkeit bei den Modernen Devoten am Beispiel Deventers heraus, indem sie eine enge Verbindung von Brüdergemeinschaft, Lehrpersonal und Druckern vorführt und die hohe Wertschätzung der altgriechischen Sprache deutlich macht. Mathilde van Dijk untersucht den Umgang der Devoten mit Schriften der Autoritäten, die als Hilfe zur Imitatio der Kirchenväter und dadurch zur Imitatio Christi genutzt wurden. Da die devote Rezeption die Schriften der Autoritäten an allen Stellen für gleichmäßig wahr hielt, wurden Exzerpte, Neukompositionen u. Ä. möglich. In einer abschließenden Zu­sammenfassung plädiert Bert Roest dafür, der »historischen vorstaatlichen oder vielstaatlichen Realität des Spätmittelalters« (245) stärker Rechnung zu tragen und auch den Blick der Devotio-Forschung mehr auf deren »Sitz in der Welt des Spätmittelalters« (249) zu lenken.
Die Beiträge in beiden Bänden machen an illustrativen Einzelfragen deutlich, wie sehr die Devotio Moderna in Kontinuität zu mittelalterlichen Frömmigkeitsformen stand und Teil derselben war. Damit erschließen sie weitere Bereiche eines Feldes, das noch viel Raum für Forschungsarbeit bietet. Auch einige Quellen macht das Sammelwerk leichter zugänglich, indem es eine deutsche Übersetzung, eine Edition und den Abdruck einer Quelle bietet. Es vereint deutsche, englische und niederländische Beiträge, so dass Abstracts in jeweils einer der anderen Sprachen hilfreich gewesen wären. Auch ein Register wäre wünschenswert gewesen. Alles in allem enthält das zweibändige Sammelwerk eine Reihe anregender Fragen und Perspektiven, die es durchaus wert sind, von weiteren Studien aufgegriffen zu werden. Die Rezensentin wünscht dem Werk vor allem beim mediävistischen und kirchenhistorischen Lesepublikum guten Zuspruch und weite Verbreitung.