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Ausgabe:

März/2020

Spalte:

188–189

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Despotis, Athanasios [Ed.]

Titel/Untertitel:

Participation, Justification, and Conversion. Eastern Orthodox Interpretation of Paul and the Debate between »Old and New Perspectives on Paul«.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. X, 435 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 442. Kart. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-154140-7.

Rezensent:

Robert Vorholt

Die Debatte um Treffsicherheit und Stellenwert der sogenannten »New Perspective on Paul« beschäftigt die exegetische Zunft nun schon seit einigen Jahren. Die Frage nach Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zwischen der »Neuen Paulus-Perspektive« und einer traditionellen griechisch-orthodoxen Paulusrezeption blieb dabei allerdings bislang nahezu unangetastet. Die von Athanasios Despotis herausgegebene wissenschaftliche Untersuchung »Partci-pation, Justifikation, and Conversion« will das ändern. Sie versammelt die Forschungspositionen einiger orthodoxer Exegeten zur paulinischen Theologie und bringt sie ins Gespräch sowohl mit Vertretern traditioneller Paulusexegese als auch mit Vertretern der »New Perspective«. Die entscheidenden Leitfragen der Erörterungen lauten: Welche innere Beziehung besteht zwischen den zwei grundsätzlichen paulinischen Vorstellungen von Teilhabe/Parti-zipation und Rechtfertigung aufgrund von Glaube? In welchem Verhältnis stehen die beiden Konzeptionen zur Lebenswende des Apostels und welche Rolle spielen sie im Glaubensprozess der frühen Christinnen und Christen? Der Aufbau der Studie orientiert sich an der Weite dieser Fragehorizonte. Die drei Beiträge des ersten Teils (11–85) thematisieren grundlegend die zentralen paulinischen Topoi von Glaube, Gerechtigkeit, Christusgemeinschaft und Mission. Im zweiten Teil (87–312) bieten acht Autoren repräsentative orthodoxe Exegesen einschlägiger paulinischer Texte. Der dritte Teil (313–399) unternimmt in drei Anläufen den Versuch, den konstruierten Gegensatz von westlicher und östlicher, alter und neuer Paulusrezeption zu überwinden.
Michael Wolter (1–27) analysiert die paulinische Konzeption von Glaube in unterschiedlichen Konnotationen. Er zeigt, dass das, was Paulus »Pistis« nennt, nicht losgelöst werden kann von der ureigenen Christophanie, die dem Apostel im Ereignis seiner Berufung zuteilwurde. Die Bekehrung des Apostels begründet seinen Glauben wie umgekehrt sein Glaube die erste Konsequenz seiner Bekehrung ist. Wolter führt den Nachweis, dass Paulus das gesamte Heilsereignis in Christus unter dem Terminus pistis Christou subsummieren kann. Glaube und Erlösung gehören untrennbar zusammen.
Athanasios Despotis (29–57) bemisst den theologischen Stellenwert des zentralen paulinischen Gerechtigkeitsbegriffs. Dabei konzentriert er sich auf einen Vergleich von Röm 6,7 (»Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde«) mit 1Kor 6,11 (»Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes«) und Gal 3,24 (»So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus hin, damit wir durch den Glauben gerecht würden«). Vor diesem Hintergrund gelingt es ihm, nachzuzeichnen, wie sehr Paulus unter »Gerechtigkeit« einen dynamischen Prozess spiritueller Wandlung versteht, der mit der Taufe beginnt und bis in die eschatologische Vollendung reicht. Gerechtigkeit wird den Glaubenden im Sakrament der Taufe zugesprochen und realisiert sich entsprechend in der ontologischen Transformation.
Jacobus Kok und John Anthony Dunne (59–85) verorten den Begriff der »Teilhabe« im Kontext der paulinischen Rede von der Rechtfertigung. Gezeigt wird zudem, dass das Metathema Teilhabe für Paulus durchgängig auch den Aspekt der Christusgemeinschaft umfasst. »Teilhabe« beschreibt insbesondere, dass der Apostel das Evangelium nicht nur im Munde führt, sondern auch existentiell veranschaulicht und verbürgt.
Konstantinos Nikolakopoulos (89–106) bespricht die paulinische Rechtfertigungskonzeption aus einer christologischen und soteriologischen Perspektive und postuliert mit Verweis auf 1Kor 1,30 (»Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und Erlösung«) die Priorität menschlichen Glaubens als Voraussetzung göttlicher Rechtfertigung.
Stelian Tofana (107–123) widmet sich wiederum dem Topos der Teilhabe und reflektiert ihn im Licht von 2Kor 4,7–11, wo Paulus das Evangelium lichtmetaphorisch und sein eigenes tatsächliches Leiden exemplarisch für alle Glaubenden als tatsächliche Partizipation am Leiden Christi auslegt. Paulinische Anthropologie gewichte alle Glaubenden vor diesem Hintergrund nicht bloß als passive Heils- und Gnadenempfänger, sondern – auf der Linie orthodoxer Tradition – als Glieder des Leibes Christi, deren Berufung es ist, heilig zu sein. Diese Sichtweise gelte es, in die »new perspective on Paul« zu integrieren.
Edith Humphrey (125–157) untersucht am Beispiel patristischer Auslegung von 2Kor 5,16–21 die Leistungsfähigkeit »alter« und »neuer« Paulusexegese. Anhand orthodoxer Interpretationsmuster weist sie zudem auf, wie die paulinischen Konstrukte von Teilhabe und Rechtfertigung zusammengedacht werden können.
Vasile Mihoc (159–178) führt eine kritische Auseinandersetzung mit der »neuen Paulusperspektive« um eine sachgerechte Interpretation von Gal 2,15–21.
Sotirios Despotis (179–200) kommentiert Gal 3,6–9.23–29 und will zeigen, dass Paulus hier die Taufe als äußersten Erweis von ontologischer Wandlung und Christusgemeinschaft auffasst. Die Transformation sei die Basis der Rechtfertigung, deren Vollendung sich eschatologisch realisiert.
Jack Khalil (201–241) analysiert Röm 3,21–26 klassisch als Schlüsseldokument paulinischer Rechtfertigungstheologie. Dabei grenzt er sich deutlich von den exegetischen Positionen James D. G. Dunns und Nicholas T. Wrights ab. Stattdessen sucht er den Schulterschluss mit Johannes Chrysostomos und seiner Paulusdeutung.
Michael Azar (243–271) sucht auf der Basis seiner Interpretation von Röm 7,1–6 den Ausgleich zwischen westlicher und östlicher Auslegungstradition. Dabei hebt er vor allem auf seine orthodoxe Sicht der paulinischen Gesetzestheologie ab, die weniger auf die Überwindung des Gesetzes ziele denn auf seine Transformation hin zu einer Tora des Geistes.
James B. Wallace (272–313) unternimmt einen Vermittlungsversuch zwischen einer »neuen« und einer klassischen griechisch-orthodoxen Exegese von Röm 8,14–17.28–30. Wallace verbindet die Konzepte von Rechtfertigung, Teilhabe und Bekehrung und erklärt, warum sie sich wechselseitig bedingen. Hinsichtlich des vermeintlichen Widerstreits von »New Perspective« und orthodoxer Paulusrezeption urteilt er ausgleichend, dass die eine die Kontinuität des Heilswillens Gottes betone, während die andere die Tiefe und Weite der gerechten Liebe Gottes bedenke.
Michael Gorman (315–347) formuliert sieben Thesen im Blick auf Gal 2,15–21. Grundlegend für das Verständnis von Rechtfertigung und Bekehrung sei die Fülle der Liebe Christi. Gerade sie reiße die trennenden Mauern zwischen neuer und herkömmlicher Paulusexegese nieder.
Athanasios Despotis beleuchtet in einem zweiten Beitrag (349–369) den Zusammenhang von paulinischer Ethik und dem Ereignis der Berufung des Apostels.
Am Ende des Bandes steht Rikard Roittos (371–399) linguistische Analyse der paulinischen Rede von Erlösung als soziale Erkenntnis.
Der Band ergänzt die Habilitationsschrift des Herausgebers »Die New Perspective on Paul und die griechisch-orthodoxe Paulusinterpretation« (2014) um eine Sammlung von Tagungsbeiträgen, die eine bunte Reihe von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt zusammenführt. Sie alle erhellen die in der gegenwärtigen Paulusforschung oft nur am Rande notierte griechisch-orthodoxe Paulus-rezeption. Freundlich vermittelnd und stets um Ausgleich bemüht entfaltet die Vielfalt der Stimmen eine große Integrationskraft im Ringen um herkömmliche und neue Paulusperspektiven. Natürlich bleibt diese wissenschaftliche Untersuchung ein Werk für Feinschmecker. Diese werden die eigentlich unentbehrliche Diskussion um den Stellenwert der Tora im Denken des Apostels als Bewertungsmassstab der Treffsicherheit einer »New Perspective on Paul« vermissen. Doch auch solchen Leserinnen und Leser, die einfach »nur« Freude an der Beschäftigung mit paulinischer Theologie haben, wird dieser Band eine gut gefüllte Schatztruhe sein.