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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

148–150

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schütze, Sylvia, u. Eva Matthes [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Bildungsmedien. Religion and Educational Media.

Verlag:

Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2018. 425 S. = Klinkhardt Forschung – Beiträge zur historischen und systematischen Schulbuch- und Bildungsmedienforschung. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-7815-2259-6.

Rezensent:

Harmjan Dam

Für die Erforschung von Schulbüchern ist in Deutschland das Georg-Eckert-Institut (GEI) in Braunschweig führend. Es hat sich al­lerdings lange Zeit wenig um Religion gekümmert. Desto erfreulicher ist es, dass nun dieser Band zu »Religion und Bildungsmedien« erschienen ist. Die Texte wurden geschrieben für die Jah-restagung der »Internationalen Gesellschaft für historische und systematische Schulbuch- und Medienforschung«. Sie fand 2017 an­lässlich der 500 Jahr-Feier der Reformation in Augsburg statt. Die Resonanz auf den Call for Papers war überwältigend gewesen, und so konnte dieses internationale und multidisziplinäre Buch mit 34 unterschiedlichen Beiträgen entstehen.
Der Band beginnt mit einer fundierten Einführung der beiden Herausgeberinnen (auf Deutsch und Englisch) und einer Forschungsübersicht von Zrinka Štimac (GEI) über »Religion als Ge­genstand deutschsprachiger Schulbuchanalysen« in den letzten 35 Jahren. Direkt darauf greifen zwei hervorragende Beiträge das zentrale Thema des Bandes auf: Wie hat sich die Säkularisierung und Pluralisierung religiöser Lebensformen in Europa im Horizont der Schulbuchentwicklung vollzogen? Bente Aamotsbakken be­schreibt für Norwegen, wie sich der Religionsunterricht im Spiegel von Schulbüchern verändert hat. Im 18. Jh. war er noch ganz auf Lu­thers Kleinen Katechismus fokussiert, im 19. Jh. zunächst auf biblische Geschichte und später auf Kirchengeschichte, im 20. Jh. endet er schließlich beim multireligiösen Lernen – eine Entwicklung, die in Deutschland vergleichbar verlaufen ist. Britta Juska-Bacher untersucht für die Region Bern (Schweiz) alle Erstlesefibeln, die zwischen 1680 und 1907 erschienen sind. Ihre qualita-tive Inhaltsanalyse zeigt, wie in der Anfangszeit noch mit Vaterunser, Glaubensbekenntnis und Gebeten lesen gelernt wurde. Nach der Aufklärung änderte sich das in das Lesenlernen mit moralischen und teils religiösen Geschichten. Schon am Beginn des 20. Jh.s war aber das letzte christliche Gebet aus den ABC-Büchern verschwunden. Damit unverbunden, fast wie ein Buch im Buch, sind sechs Bei-träge einer »Interessengemeinschaft Fibeln«, die sich unter der Leitung von Wendelin Sroka mit historischen Katechismusfibeln in Russland, Polen, Finnland, Österreich und Preußen im 17. bis 19. Jh. beschäftigt hat. Um Säkularisierung geht es auch in der Studie von Nicola Brauch et al. zu den Gegenwartsbezügen in Arbeitsaufträgen zu den abrahamitischen Religionen in Geschichts- und Gesellschaftslehreschulbüchern. Ein Fazit der multidisziplinären Studie lautet, dass das Christentum in diesen Büchern weitgehend fehle.
Auch wenn in dem Band verschiedene Religionen und Länder untersucht werden, sind nur wenige Beiträge komparatistisch an­gelegt. Katri Annika Wessel untersucht beispielsweise die Darstellung von Religion in Sprachlehrbücher für Migranten in Deutschland und Finnland. Sie stellte fest, dass die Förderung von religiöser Toleranz in Deutschland eher als Chance, in Finnland eher als Herausforderung gesehen werde. Péter Bagoly-Simó und Yvonne Behnke verglichen das Thema Religion in Geographiebüchern für Sek I in Deutschland, Rumänien, Bolivien und Mexiko. Auch hier spielt das Christentum im Vergleich zu anderen Religionen kaum eine Rolle. Viktoria Gräbe und Marcus Otto vergleichen Schul-bücher für das neue (explizit nichtreligiöse) Schulfach »Lebenskunde« in der Weimarer Republik und für die »Education morale« zur gleichen Zeit in Frankreich. Unerwartet spielen Religion und das Begriffspaar Immanent-Transzendent dennoch weiterhin eine Rolle.
Innovativ und methodisch anspruchsvoller als komparative Zugänge sind einige Transferstudien in dem Sammelband. Vitaly Bezrogov untersucht etwa, wie deutsche Naturkundebücher im 18. und 19. Jh. ins Russische übertragen wurden. Das Problem war, wie man mit deistischen und rationalistischen Vorstellungen von Gott und Natur umgehen sollte, weil sie nicht mit der russisch-orthodoxen Perspektive eines allmächtigen Gottes in Einklang gebracht werden konnten. Auch in dem Beitrag von Liisa Laukkanen geht es um Kulturtransfer: Wie wurde in Finnland im späten 19. Jh. Deutsch als Fremdsprache unterrichtet? Obwohl religiöse Stoffe für den Deutschunterricht eigentlich nicht vorgesehen wa­ren, wimmelt es in den Schulbüchern von religiösen Texten, weil die Bücher von dem religiös-interessierten deutschen Hermann Paul (Lehrer in Helsinki) geschrieben wurden.
Für die historische Religionspädagogik sind insbesondere die Beiträge von Silke Antoni und Werner Wiater interessant. Antoni untersuchte die Darstellung der Reformationsgeschichte in Lesebüchern für die katholischen und evangelischen Volksschulen in Bayern zwischen 1871 und 1918. Katholische Bücher bewerten die Reformation eher negativ, wie z. B. ein Lesebuch für das 5. Schuljahr aus 1871: »Völker, welche den Reformatoren Gehör gaben [wurden] unter sich in Parteien getheilt und Ströme Menschenblut vergossen. Denn die Folge dieser Glaubenstrennung der Christenheit war ein dreißigjähriger Krieg …« (192). Die evangelischen Bücher in Mittel- und Oberfranken berichteten dagegen sehr ausführlich und positiv über Luther und die Reformation. Obwohl der Volksschullehrplan das Thema Reformation für das Fach Geschichte vorschrieb, kommt es in Geschichtsschulbüchern nicht vor, weil es so umstritten war. Werner Wiater untersuchte, inwiefern reformpädagogische Ideen zwischen 1890 bis 1933 (Montessori, Petersen et al.) sich in Schulbüchern für Religion niedergeschlagen haben. Er kommt auf der Basis einiger Beispielbücher zu einem negativen Ergebnis. Allerdings ist es bedauerlich, dass in beide Beiträgen kaum religionspädagogische Studien (Heidi Schönfeld 22005; Lachmann/Schröder 2007) zur Kenntnis genommen wurden.
Fünf Beiträge betreffen Diktaturen und Länder im Übergang zur Demokratie: Russland 1920–30, Italien in der Zeit des Faschismus sowie Serbien und Albanien in jüngster Zeit. In einem weiteren Teil des Buches geht es um die Erstellung von Bildungsmedien für einen zeitgemäßen Religionsunterricht: in Kanada, in der Grundschule (katholisch) und im Islamunterricht. Auch die Chancen digitaler Medien werden in einem Beitrag (von Jens Palkowitsch-Kühl) thematisiert.
Die letzten vier Beiträge betreffen die interreligiöse Erziehung und die Bildungsmedien. Geir Winje beschreibt die Herausforderungen in Norwegen. Hansjörg Biener entlarvt das bekannte und in vielen Religions- und Ethikbücher zitierte Gleichnis von den Blindgeborenen, die einen Elefanten betasten und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Es ging Buddha dabei nicht darum, dass unterschiedliche Wahrheiten tolerant nebeneinanderstehen können, sondern dass die Blinden die eine Wahrheit Buddhas (den Elefanten) nicht sehen (393). Schließlich gehen Georg Langenhorst und Elisabeth Naurath auf die Chancen von »Heilige[n] Schriften in Kinderhand« ein und vergleichen Kinderbibel, Kinderthora und Kinderkoran.
So liefert dieses Buch zum ersten Mal einen breiten internationalen Einblick in das Thema Religion in Schulbüchern. Bedauerlich ist, dass abgesehen von den letzten fünf Beiträgen kaum evangelische und katholische Religionspädagogen an dem Projekt beteiligt waren, obwohl das Thema unmittelbar ihren Untersuchungsgegenstand berührt. Es bleibt daher zu hoffen, dass der Band nicht nur die Religionsforschung in den Bildungswissenschaften, sondern auch das Gespräch zwischen der (historischen) Religionspädagogik und Bildungsforschung anregen wird.