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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

141–144

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Braun, Judith

Titel/Untertitel:

Dietrich Bonhoeffers gemeindepädagogisches Wirken im Rahmen seines Kirchenverständnisses.

Verlag:

Göttingen: V & R Unipress 2019. 350 S. = Arbeiten zur Religionspädagogik, 67. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-8471-0868-9.

Rezensent:

Claudia Kohli Reichenbach

Judith Braun hat 2017 mit einer Arbeit zu Bonhoeffers gemeindepädagogischem Wirken im Rahmen seiner Ekklesiologie an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig ihre Dissertation vorgelegt. Betreut wurde die Arbeit auch von theologischer Seite durch Peter Zimmerling. Nach geringfügiger Überarbeitung wurde die Untersuchung in der Reihe »Arbeiten zur Religionspädagogik« bei Vandenhoeck & Ruprecht publiziert. B. ar­beitet zurzeit als Lehrerin für Evangelische Religionslehre und Be­triebswirtschaftslehre in Mannheim.
B. kann an Forschungsbeiträge zu Bonhoeffers Ekklesiologie (u. a. von E. Lange und J. von Soosten) und Praktischer Theologie (u. a. S. Bobert-Stützel und P. Zimmerling) anknüpfen. Durch ihren Fokus auf das gemeindepädagogische Wirken bietet sie in vielerlei Hinsicht nochmals eine neue Perspektive auf Bonhoeffers Schriften und das in ihnen verdichtete, engagierte Leben von diesem »Lehrer des Glaubens« (14): Einerseits weitet B. gegenüber anderen Forschungsbeiträgen den Blickwinkel, indem sie im Sinne eines um­fassenden Verständnisses von Gemeindepädagogik nicht nur einzelne altersgruppenspezifische Angebote wie beispielsweise den Religionsunterricht untersucht, sondern alle Altersgruppen und – kirchlich betrachtet – periphere Kontexte im Blick hat. Zudem be­leuchtet B. nicht nur eine einzelne Phase von Bonhoeffers Wirken, sondern zeigt Entwicklungslinien in einem größeren Zeitraum auf (1925–1943).
B. macht gleich zu Beginn klar, dass sie keinen umfassenden Entwurf einer Gemeindepädagogik Bonhoeffers vorlegen wird (18) (zumal eine Verwendung des Begriffs »Gemeindepädagogik« als Konzept in der ersten Hälfte des 20. Jh.s eher fraglich wäre, wird er doch in der Fachdiskussion erst in den 1970er Jahren populär). Wie für die »Ekklesiologie« ist es nicht möglich, eine mehr oder weniger durchkomponierte Konzeption herauszudestillieren. Vielmehr ist die Forscherin gefordert, gemeindepädagogische und ekklesiologische Stränge in Bonhoeffers Werk und Biographie zu orten, zu analysieren und – das gelingt B. besonders überzeugend – je nach gesellschaftspolitischem Kontext zu interpretieren. B. macht es sich insgesamt zur Aufgabe, die Parallelität zwischen Bonhoeffers gemeindepädagogischem Wirken und seinem Kirchenverständnis zu veranschaulichen (19). Methodisch verfolgt sie einen historischen Ansatz und wählt dazu eine biographische Analyse. Dabei geht B. zunächst chronologisch vor (Kapitel 3 und 4), bevor sie an­hand von bestimmten Themen das Ineinandergreifen von Ge­meindepädagogik und Ekklesiologie mithilfe von Konkretionen beleuchtet (Kapitel 5).
B. untersucht in einem ersten Schritt »Stationen von Bonhoeffers gemeindepädagogischem Wirken« (Kapitel 3) und setzt dabei beim christlichen, aber insgesamt kirchenfernen Elternhaus ein. Bereits für die Studienjahre kann sie geltend machen, dass gemeindepädagogisches Engagement als Prediger im Kindergottesdienst mit ekklesiologischem Nachdenken vor allem während seiner Ar­beit an seiner Dissertation »Sanctorum Communio« einherging. Die Anlage der Arbeit bringt es mit sich, dass B. teils über weite Strecken Inhalte von Bonhoeffers Schriften referiert. Spannend sind die jeweiligen Kommentare zu Schriften Bonhoeffers, so beispielsweise die Beurteilung der Vorträge während des Vikariats. Zum einen wird ein »Lehrer« sichtbar, der mit großem Einsatz seinen Kreis der Zuhörenden im Blick hatte, der mit Kirchenkritik herausforderte und Aktualität engagiert diskutierte, der bisweilen seine Gemeinde aber auch überforderte (94). Für die Thematik der Arbeit besonders ergiebig sind die Erfahrungen des Seminardirektors Bonhoeffer während der Phase der Illegalen Theologenausbildung. B. bietet eine fundierte Zusammenfassung der Schriften, die während dieser Zeit entstanden sind (u. a. Katechetik-Vorlesung).
Auch die »Stationen des Kirchenverständnisses von Bonhoeffer« (Kapitel 4) stellt B. chronologisch dar. Wiederum steht sie vor der Herausforderung, dass sie sich nicht auf Schriften explizit zur Thematik beschränken kann, sondern einen großen Textkorpus untersuchen muss, in dem sich für das Kirchenverständnis Bonhoeffers relevante Äußerungen finden. Das Kapitel hat erneut primär analytischen Charakter, wobei insbesondere Bonhoeffers ökumenische Ausrichtung deutlich wird. Grundlage für diese ist »ein sehr enges und andererseits ein sehr weit gefasstes Verständnis des Kircheseins: Eng ist Bonhoeffers Kirchenverständnis in dem Sinne, dass er wahres Kirchesein daran festmacht, ob eine Kirche das Wort Gottes hat. Sehr weit wird Bonhoeffers Kirchenverständnis, wenn dieses zentrale Kriterium erfüllt ist.« (147) B. zeichnet nach, wie Bonhoeffer im Lauf seines Lebens im Kirchenkampf »genau zwischen diese Fronten seines Kirchenverständnisses« (147) gerät, indem er der Reichskirche Daseinsberechtigung abspricht und auf der anderen Seite seine Verankerung in der Ökumene stärkt. Eine andere Linie, die B. in diesem Kapitel herausarbeitet, ist Bonhoeffers dringliche Frage nach der Wirkung des Wortes in der »Welt«.
Schließlich führt B. die beiden untersuchten Perspektiven in verschiedenen »Konkretionen« (Kapitel 5) zusammen, indem sie thematische Überschneidungen zwischen Bonhoeffers gemeindepädagogischem Wirken und seinem Kirchenverständnis eruiert. So widmet sie sich beispielsweise der ekklesiologischen Begründung christlicher Erziehung. Dass das Taufhandeln der Gemeinde grundlegend ist, schreibt Bonhoeffer bereits in »Sanctorum Communio« und wiederholt es in der »Katechetik-Vorlesung« Jahre später. Allerdings hat sich – und das zeigt B. eindrücklich auf – aufgrund des Kirchenkampfes und des damit einhergehenden Vertrauensverlusts in die Kirche die Argumentation dafür verschoben: War in der Dissertation noch selbstverständlich vom Zusammenhang zwischen Taufe und Erziehungsauftrag ausgegangen worden, wird nach den Erfahrungen im Kirchenkampf die »Würde der Kirche« betont, »die sich nicht im Kampf um die Jugend gegen den Staat zu behaupten meinen muss« (211). Das ändert nichts am kirchlichen Auftrag, aber die Begründung ist eine andere.
B. zeigt das Ineinandergreifen von Bonhoeffers gemeindepädagogischen Bemühungen im Rahmen seiner Ekklesiologie an weiteren Themen auf (Abendmahl, Vergemeinschaftung, Katechumenat) und verweist auf gemeinsame Grundlagen wie Bibel, Bekenntnis oder Diakonie. Sie kann bei dieser Verschränkungsleistung auf das in den vorangehenden Kapiteln sorgfältig Erarbeitete zurückgreifen. Die Leserin ist bisweilen gefordert, B.s Rückbezügen zu folgen.
Im Schlusskapitel (Kapitel 6) bettet sie Bonhoeffers gemeindepädagogisches Wirken im wissenschaftlichen Kontext seiner Zeit ein. B. diskutiert Bonhoeffers christologischen Fokus vor dem Hintergrund der Liberalen Religionspädagogik von R. Kabisch, wobei sie es offenlässt, ob Bonhoeffer mit der Liberalen Religionspädagogik bewusst gebrochen hat oder ob sein eigener theologischer Weg als »Entwicklung« gedeutet werden muss (277). Spannend ist auch der Vergleich mit der Reformpädagogik von E. Key. B. macht deutlich, dass im Denken kaum Überschneidungen zu finden sind, dass B onhoeffers Umgang mit Kindern und Jugendlichen sehr wohl aber reformpädagogische Ansätze aufwies (286). Deutlich ist die Nähe Bonhoeffers zur sogenannten »Evangelischen Unterweisung«, vertreten u. a. durch O. Hammelsbeck.
Im Resümee (Kapitel 7) wird das Verdienst von B.s Arbeit nochmals deutlich. Es ist ihr überzeugend gelungen, Bonhoeffers gemeindepädagogisches Wirken im Rahmen seines Kirchenverständnisses zu veranschaulichen. B. bietet abschließend anhand von vier Dimensionen (biographisch bedingte, methodische, soziale und ekklesiologische Dimension) einen hilfreichen, orientierenden Überblick über die Erkenntnisse ihrer Arbeit. Immer wieder hat sie es geschafft, mit lebendigen Schilderungen auch den »Menschen« Bonhoeffer zum Vorschein kommen zu lassen. So wird dessen Kinderfreundlichkeit an verschiedenen Stellen sichtbar, sein Engagement, das weit über Anstellungen hinausging, beispielsweise in der Erzählung von den Ferientagen mit ehemaligen Konfirmanden im elterlichen Ferienhaus (111 f.).
Am Schluss widmet B. zehn Seiten ihres 350-Seiten starken Buches einem Ausblick, in dem sie nach Impulsen fragt, die Bonhoeffers Reflexionen für die heutige Gemeindepädagogik geben könnten. So sieht B. bei Bonhoeffer beispielsweise durchaus Inspiration für heutige kirchliche Arbeit mit Jungen und jungen Männern. Im Rahmen der Arbeit war es nur sehr beschränkt möglich, den Transfer in den gegebenen postsäkularen Kontext zu machen. Diverse im Buch bearbeiteten Diskursfelder bieten aber eine sehr gute Grundlage, um dringliche Fragen nach einer zeitgemäßen Ge­meindepädagogik weiter zu bearbeiten.