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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

105–107

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Pol, Frank van der [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Doctrine of Election in Reformed Perspective. Historical and Theological Investigations of the Synod of Dordt 1618–1619.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 258 S. = Refo500 Academic Studies, 51. Geb. EUR 80,00. ISBN 978-3-525-57070-8.

Rezensent:

Kai-Ole Eberhardt

Frank van der Pol hat einen bemerkenswert gut komponierten Tagungsband zur reformierten Erwählungslehre der Dordrechter Synode, ihrer Vorgeschichte und Wirkung herausgegeben. Den hier versammelten Beiträgen gelingt es weitgehend, vertiefende Forschungsfragen so geschickt mit einführenden Grundlagen zu verbinden, dass nicht nur die Erträge eines spannenden Expertensymposiums gebündelt werden, zu dem die Forschungsgruppe »Early Modern Reformed Theology« (EMRT; 2012–2017) der theologischen Universitäten Apeldoorn und Kampen 2014 nach Emden in die Johannes a Lasco Bibliothek eingeladen hatte, sondern zudem ein sehr nützlicher, passagenweise geradezu handbuchartiger Überblick über ein zentrales Thema der reformierten Theologiegeschichte entstanden ist.
Die überwiegend englischsprachigen Aufsätze beleuchten zum einen den Verlauf der Dordrechter Synode und die Rezeption der auf ihr formulierten Canones historisch, zum anderen erschließen sie in großer Breite das darin fixierte Prädestinationsdogma dogmengeschichtlich. Der Tagungsort Emden ist innerhalb des Bandes immer wieder präsent, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil dort die Acta der Dordrechter Synode ediert werden, woran auch Beiträger des Bandes aktiv beteiligt sind. Eine Würdigung Emdens von Herman J. Selderhuis ist, einem Corollarium gleich, einleitend den übrigen Aufsätzen des Bandes vorangestellt worden (13–22). Selderhuis widmet sich nicht den Leitfragen der Tagung, sondern bespricht in einer (allerdings bereits andernorts veröffentlichen) Abfolge von fünf Schlaglichtern auf die Stadtgeschichte des 16. Jh.s die »Bedeutung Emdens für den Niederländischen Calvinismus«. Die weiteren Beiträge des Tagungsbandes lassen sich, wie die Einleitung (7–11) verdeutlicht, in drei Sektionen unterteilen (8–10).
Die erste Sektion ist der Vorgeschichte der Dordrechter Prädes-tinationslehre gewidmet. Günter Frank eröffnet sie mit einer »einführende[n] Übersicht« zu Spielarten der mittelalterlichen Erwählungslehre (23–38). Ausgehend von Augustin (23–25) werden vor allem die Positionen von Thomas von Aquin (27–32) und franziskanischer Theologie (33–36) vorgestellt. Frank schließt mit dem Konzil von Trient (1545–1563), das bereits auf die gnadentheologischen Streitpunkte am Ausgang des 16. Jh.s verweist (36). Daran knüpft Erik A. de Boer mit einer Analyse von Johannes Anastasius Veluanus (Jan G. Versteghe) und seinem 1554 publizierten Der leken wechweyser an. Er gibt damit einen exemplarischen Einblick in die Diskussion der Prädestination im 16. Jh. und beantwortet die Frage »Who are ›Predestinatores‹?« (39–63). De Boer bespricht nicht nur die Rezeption altkirchlicher und reformatorischer Theologie in Veluanus’ Schrift (45–50), die er im Übrigen mustergültig bibliographisch erschließt (57–60), sondern auch ihre Bedeutung für die Remonstranten (52–56). Dabei zeigt er auf, wie präsent die Debatte zwischen dem niederländischen katholischen Mathematiker und Theologen Albert Pighius und Johannes Calvin über die Prädestinationslehre für Veluanus gewesen ist (56). Ihr wiederum widmet sich Antonie Vos im folgenden Aufsatz und legt dabei einen besonderen Fokus auf die Perspektive von »Pigge and Calvin on the Will of God« (65–93). Vos würdigt beide Positionen ausführlich und analysiert sie, auch mit einem Blick auf das Verhältnis der reformierten Orthodoxie zu Calvin, im Rückgriff auf Darstellungsformen der Logik. Mit Calvin ist eine wesentliche Bezugsgröße für die reformierte Orthodoxie sowie ihrer Bewertung durch die folgenden Epochen erschlossen.
Die zweite Sektion ist der Prädestinationslehre von Dordrecht selbst gewidmet. Fred van Lieburg wirft darin einen Blick auf die wirkmächtige Rede des Präses der Synode Johannes Bogerman, in welcher dieser die Remonstranten des Saales verwiesen und so ihre Verurteilung, »Dordrecht’s Own Decretum Horribile«, bekräftigt hatte (95–113). Er greift für eine möglichst detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse auch auf die emotionalen Facetten dieses »D-Day« (101) der Remonstranten zurück. Dazu führt er in die Strukturen und Abläufe der Synode grundlegend ein, bietet Skizzen ihrer politischen und kirchlichen Rahmenbedingungen (97–102) und widmet sich sodann Bogermans Schlussworten nach den Überlieferungen von Wortlaut (103 f.) und affektiven Elementen (104–107) sowie deren Bedeutung für die Synode (107–109). Im Zentrum des Bandes steht der Beitrag von Donald Sinnema, der die Entstehung der »The Doctrine of Election at the Synod of Dordt« in grundlegender Form rekonstruiert (115–135). Präzise zeichnet er die Etappen der Urteilsbildung über die remonstrantische Position (118–127) bis zur Formulierung der Canones nach (127–133; nebst praktischer Übersicht, 135). Für die dogmengeschichtliche Erschließung dieser zentralen reformierten Bekenntnisschrift sind Sinnemas konzise und durch herausragende Quellenarbeit gestützte Aus-führungen überaus nützlich. Als Mitherausgeber der in Emden besorgten kritischen Edition der Akten und Dokumente zur Dordrechter Synode verfügt er über die entsprechenden Einblicke, so dass sein Beitrag implizit auch auf den hohen Ertrag der Edition dieser wichtigen Quellensammlung verweist.
Der Band schließt mit fünf rezeptionsgeschichtlichen Beiträgen, die unterschiedlich eng mit den Dordrechter Canones verbunden sind, aber alle die Wirkung der hier fixierten Prädestinationslehre illustrieren. Dordrecht erweist sich dabei wie zu erwarten als die zentrale Richtschnur für die Beurteilung der Prädestinationslehre in der reformierten Orthodoxie. Albert Gootjes beginnt diese letzte Sektion, indem er mit John Cameron einen unter Arminianismusverdacht gestellten Theologieprofessor in Saumur vorstellt und dessen erst postum in vollem Umfang bekannt gewordenen, mit den Canones im Widerspruch stehenden Heilsuniversalismus detailliert bespricht (137–164). Nur lose mit der Dordrechter Synode verbunden ist die Untersuchung der Legitimation der Prädesti-nationslehre in Heinrich Altings Theologia Historica durch den jüngst promovierten Thomas Klöckner (165–184). Die sorgfältig gearbeiteten Ausführungen machen aber sehr neugierig auf des-sen 2020 erscheinende Dissertation zu Alting. Frank van der Pol be-legt in seinem Beitrag die starke Konstanz in der Polemik gegen Remonstranten vor und nach der Dordrechter Synode (185–213). Am Beispiel von Simon Oomius, einem Vertreter des niederländischen reformierten Pietismus (»Nadere Reformatie«), wird insbesondere die Parallelisierung von Remonstranten mit Sozinianern in der theologischen Polemik herausgestellt. Durch einen Vergleich der Position von Oomius mit dem im Vorfeld der Dordrechter Synode gegen Remonstranten argumentierenden Hieronymus Vogellius kann er zeigen, wie ähnlich die Argumentationsmuster und die Wahrnehmung der Remonstranten geblieben sind. Die ab­schließenden rezeptionsgeschichtlichen Beiträge führen über das 17. Jh. hinaus. Warum Friedrich Schleiermacher die Prädestinationslehre von Dordrecht ebenso negativ bewertet wie den frühneuzeitlichen Calvinismus insgesamt, zeigt Henk van den Belt in einer anregenden Auseinandersetzung mit Schleiermachers zentralen Texten zur Erwählungslehre in Gegenüberstellung mit Quellen aus der reformierten Orthodoxie und Calvin (215–234). Der Band schließt mit einem spannenden und sorgfältig bibliographierten Blick auf die Geschichte der Editionen der Dordrechter Canones im 17., 18. und 19. Jh. durch Erik A. de Boer (235–255).
Insgesamt darf der Band damit als ein Beleg dafür gesehen werden, dass die niederländische Forschungsgruppe EMRT eine ausgezeichnete Arbeit an der Schnittstelle zwischen historischer und theologischer Forschung geleistet hat.