Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

101–103

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

DeJonge, Michael P.

Titel/Untertitel:

Bonhoeffer’s Reception of Luther.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2017. 281 S. Geb. US$ 95,00. ISBN 978-0-19-879790-6.

Rezensent:

Christiane Tietz

Wie alle von Michael P. DeJonges Forschungen zu Dietrich Bonhoeffer ist auch diese von herausragender wissenschaftlicher Qualität. Das verdient deshalb hervorgehoben zu werden, weil viele Publikationen zu Bonhoeffer diesen nur als Chiffre verwenden, kurz ein Motiv aufgreifen und dann aber – zumeist mit dem An­spruch, derart »with Bonhoeffer beyond Bonhoeffer« zu gehen – eigene, nicht selten in gehöriger Spannung zu Bonhoeffer stehende Ideen entwickeln. Dieser »Heilige« des kirchlichen und politischen Widerstands wird oft nur aufgerufen, um den eigenen Anliegen die nötige Legitimität zu verleihen. Ganz anders eben die Arbeiten von D., Professor für Religious Studies an der University of South Florida.
Im hier zu besprechenden Buch schließt D. eine bedeutende Forschungslücke: Zwar gab es bislang zwei Sammelbände zu Luthers Einfluss auf Bonhoeffer (C. Gremmels [Hrsg.], Bonhoeffer und Luther. Zur Sozialgestalt des Luthertums in der Moderne, München 1983; K. Grünwaldt/Ch. Tietz/U. Hahn [Hrsg.], Bonhoeffer und Luther. Zentrale Themen ihrer Theologie, Hannover 2007). Doch eine Monographie zum neben Karl Barth für Bonhoeffer wichtigsten Theologen fehlte bislang. D.s hervorragend lesbares Buch leistet nun, was man sich von einer solchen Monographie erhofft: Es verbindet gründliche Detailanalysen von Primärtexten und historischen Kontexten mit großen thematischen Linien. D. zeigt, dass Martin Luther für Bonhoeffer durchgängig wesentlich war: »Bonhoeffer’s thinking was Lutheran and should be interpret-ed as such« (6).
Das erste Kapitel widmet sich Bonhoeffers Beziehung zur Luther-Renaissance in Gestalt seines Berliner Lehrers Karl Holl. »From Holl he learned the centrality of justification in Luther as well as that doctrine’s necessary connection to the church-community. But he criticized Holl for undermining those Lutheran commitments by tying justification to the dynamics of conscience.« (13) Stärker von der Notwendigkeit eines Getroffenwerdens von außen überzeugt, betonte Bonhoeffer statt Holls letztlich selbstreflexiver Gewissensorientierung die Christusbegegnung, so dass ihn fortan eine »robust christology« (23) prägte.
Läge es von hier aus vielleicht nahe, Bonhoeffer als »Barthianer« einzuordnen, so zeigt Kapitel 2, dass Bonhoeffers Christologie durch und durch lutherisch ist. Ausgangspunkt ist die Auseinandersetzung um das finitum (in)capax infiniti, das in der Bonhoeffer-Forschung erstmals von Eberhard Bethge zum entscheidenden Differenzpunkt des Gottesverständnisses von Bonhoeffer und Barth ausgerufen wurde – eine These, der Andreas Pangritz widersprochen hat. Durch einen nuancierten Blick auf Luthers Christologie, dessen Aussagen »dieser Mensch, Jesus, ist Gott«, »dies ist mein Leib« sowie die Ausbildung der Formel in der zweiten eucharistischen Kontroverse des 16. Jh.s erarbeitet D., dass Bethges Urteil zwar zutrifft, aber nicht derart grundsätzlich. Es stimmt nur in Bezug auf deren konkreten christologischen und sakramentstheologischen Ort. Von Zwinglis »dual-agent christology of the divine and human natures« grenzt sich Luther – und Bonhoeffer folgt ihm darin – mit einer »single-agent […] christology, focused on the person of Christ« (50; Hervorhebung C. T.) ab. Nur in Christus seien Endliches und Unendliches eins und komme es zur Idiomenkommunikation. Insofern macht die lutherische Formel auch keine – wie von Karl Barth behauptet – Aussage über eine grundsätzliche Eignung des Menschen zur Vergöttlichung.
In den folgenden Kapiteln setzt sich D. mit der von etlichen englischsprachigen Bonhoeffer-Interpreten vertretenen Ansicht auseinander, Bonhoeffer stehe, nachdem er die Zwei-Reiche-Lehre anfangs vertreten habe, in seinen späteren Texten in kritischer Distanz zu ihr. Durch eine Erinnerung an die Vieldimensionalität von Luthers »two-kingdoms thinking« und einen Durchgang durch oft vernachlässigte Texte Bonhoeffers belegt D., dass dieser jenem Denken zeit seines Lebens angehangen hat. Abgelehnt hat Bonhoeffer aber lutherische Entwicklungen, die dem weltlichen Reich »Eigengesetzlichkeit« zuerkannten.
Haftpunkt von Bonhoeffers Zwei-Reiche-Denken ist der göttliche Auftrag an die Kirche, das Wort zu predigen. Diesen hat der Staat mit seinem göttlichen Auftrag, für Recht und Ordnung zu sorgen, zu schützen. Auch ein so prominenter Text wie »Die Kirche vor der Judenfrage« (1933) ist nur vor dem Hintergrund dieses Denkens zu verstehen. Die Kirche ist keine humanitäre Organisation, sondern ihr Auftrag ist die Predigt des Evangeliums – auch wenn das Evangelium ethisches Handeln aus sich heraussetzt. Sie hat keine Detailkritik an staatlicher Gesetzgebung zu üben, muss aber den Staat an seinen Auftrag erinnern. Die berühmte Formel »dem Rad in die Speichen fallen« erläutert D. im Anschluss an Florian Schmitz von hier aus als Kritik am Staat durch das Wort, wenn dieser zu wenig oder zu viel Recht und Ordnung realisiert; die Formel meint aber nicht gewaltsamen Widerstand. Eine Provokation ge­genüber vielen Aktivitäten, die sich auf Bonhoeffer berufen, ist die Konsequenz: »From Bonhoeffer’s point of view, the progressive call for church activism marks a lack of faith.« (117) Auch Bonhoeffers Kritik in der »Ethik« an einem Denken in zwei Räumen darf nicht mit einer Kritik an der Zwei-Reiche-Lehre verwechselt werden. Vielmehr sehe man in Bonhoeffers Unterscheidung von Letztem und Vorletztem »Bonhoeffer’s two-kingdoms thinking in full flight« (138).
Kapitel 5 untersucht die u. a. von Stanley Hauerwas vertretene These, Bonhoeffer positioniere sich bei der Friedensfrage ganz ähnlich wie der mennonitische Theologe John Howard Yoder, sei er doch der Gewaltlosigkeit verpflichtet. Während diese These Mühe damit hat, Bonhoeffers Beteiligung an der politischen Verschwörung gegen Hitler einzuordnen, und auch durch Yoders Distanzierung von Bonhoeffer konterkariert wird, kann D. zeigen, dass von Bonhoeffers Zwei-Reiche-Denken her Frieden nicht der Kern des Evangeliums ist, sondern nur dessen Hören ermöglichen soll. Frieden ist eine vorletzte Erhaltungsordnung der sündigen Welt. Es gibt Situationen, in denen Gewalt die Welt besser bewahrt. Die Kirche muss im verantwortlichen Urteil klären, was jeweils passender ist.
Die beiden abschließenden Kapitel 6 und 7 diskutieren die etwa von John de Gruchy aufgestellte Behauptung, dass Bonhoeffer sich auf jeden Fall bei seinem kirchlichen und politischen Widerstand von der lutherischen Tradition entfernt habe, weil diese in ihrer Obrigkeitshörigkeit einen solchen nicht vorsehe. Dazu führt D. vor, inwiefern Luther und die lutherische Tradition Widerstandsmöglichkeiten kennen und was Bonhoeffer davon wohl wahrgenommen hat. So kann er schließlich von Luthers Zwei-Reiche-Denken her auch Bonhoeffers unterschiedliche Widerstandsformen Anfang der 30er Jahre im ökumenisch- kirchlichen Bekennen, Mitte der 30er Jahre im leidenden Gehorsam der Nachfolge und zum Ende seines Lebens in der persönlich zu verantwortenden politischen Verschwörung erklären.
Insgesamt zeigt D.s Buch überzeugend: »Bonhoeffer was a creative, dynamic participant in the Lutheran theological tradition.« (261) Eine Lesart Bonhoeffers, die dieses konfessionelle Profil unterläuft, führt zu grundlegenden Missverständnissen.