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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

87–88

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kaufmann, Thomas

Titel/Untertitel:

Die Täufer. Von der radikalen Reformation zu den Baptisten.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2019. 128 S. m. 7 Abb. u. 1 Kt. = C. H. Beck Wissen, 2897. Kart. EUR 9,95. ISBN 978-3-406-73866-1.

Rezensent:

Peter Matheson

Die Reihe C. H. Beck Wissen liefert knappe und lesbare Übersichten zu historischen, literaturgeschichtlichen und politischen Themen. Es ist Thomas Kaufmann gelungen, in diesem kleinen Buch über die Täufer erstaunlich viel gesichertes Wissen und neue Perspektiven aufzubereiten. Die Bibliographie ist extensiv, die Abbildungen sind gut ausgewählt und für den Nichtfachmann ist die Karte zur Ausbreitung der Täufer in Mitteleuropa bis 1550 sehr hilfreich.
Die komplexe Entstehung der Täuferbewegung – Storch, Müntzer, Karlstadt und die Schweizer Dissidenten – wird in verständlicher Art dargestellt: »So sehr das Täufertum in einzelnen theologischen Motiven auch in die gärenden Formierungsprozesse der frühreformatorischen Bewegung zurückreichte – zu einem soziologischen Phänomen wurde es erst durch die rituellen Vollzüge am 21. Januar 1525.« (31) Grebels Taufe durch Blaurock ist gemeint. Weltentsagende und revolutionäre Mentalitäten rangen von An­f ang an miteinander. Das komplexe Verhältnis zwischen Bauernkrieg und den Täufern wird in der Wirkung von Hubmaier in Waldshut und Nikolsburg gestreift, dem »prominentesten Theologen des frühen Täufertums« (36). Biblizistische, mystische und apokalyptische Elemente seien aber in ihrer Widersprüchlichkeit ein Grund »ausstrahlender Dynamik« der Bewegung. Einerseits gebe es das Schleitheimer Bekenntnis (1527) als unüberwindliche Barriere gegenüber der zeitgenössischen Gesellschaft, anderseits Hans Huts kreativen Umgang mit dem Müntzerschen Erbe und – nach un­menschlicher Verfolgung vor allem in den katholischen Territo rien – das tragische Experiment des Münsteraner Täuferreiches, dessen verschiedene Phasen erklärt werden. Die Polygamie sei nicht als libertinisches Phänomen misszuverstehen (59).
In den Täufergemeinden waren Menschen aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten zu finden. Ihr Hauptziel, ein authentisches, christliches Leben in der Nachfolge ihres Herrn zu führen, wurde meistens, abgesehen von Mähren und Holland, von den weltlichen Mächten verkannt. Trotzdem schufen die Täufer einen »Erprobungsraum« der Partizipation und Gleichberechtigung und leisteten damit »einen essentiellen Beitrag zur Demoktratisierung insbesondere der nordamerikanischen Gesellschaft« (114).
Die Austerlitzer in Mähren, die Sabbatarier in Böhmen, die Hutterer zwischen Tirol und Mähren, die Schweizer Brüder, die Mennoniten in Nord- und Mitteleuropa seien »freie Gemeinschaften jenseits der Gewalt« gewesen. Trotz der bekannten »Fissiparität« der Täufer bleiben die Hauptlinien klar und leitende Gestalten wie Wilhelm Reublin, Pilgram Marpeck, Jakob Hutter und Menno Simons kommen angemessen zur Geltung. In Kapitel 5 werden die Hauptmerkmale der Täufer skizziert wie ihre Bereitschaft zum Leiden und das Ethos der Heiligkeitsgemeinschaft. Notiert werden spezielle Begrüßungsformen: »lieve bruder Godes frede sei mit iw« und die arkanen Kommunikationsmittel, zudem wird die Variabilität der Taufpraxen und des Verhältnisses zur Medienkultur betont.
Im Verlauf der Frühen Neuzeit nahm die Toleranz allmählich zu – vor allem in der niederländischen Republik. Aus dem englischen Bürgerkrieg entstanden Baptisten und die Quäker von William Fox, die alle Sakramente ablehnten. Auf mancherlei Weise interagierten sie mit den Täufern. Die Mennoniten zum Beispiel wurden von quäkerischen Missionaren und auch von den deutschen Pietisten beeinflusst.
Für die radikal-separatistischen Amischen, die pazifistischen Hutterer und andere deviante religiöse Gruppierungen bot Nordamerika seit dem 17. Jh. ein sicheres Asyl, ein religionskulturelles »Laboratorium eigener Art«. Von seinen historischen Ursprüngen her ist das Täufertum Teil jener Transformationsprozesse, die sich im Protestantismus fortsetzten. Der Versuch, das Täufertum im 16. Jh. mit religiösen Gruppen in der modernen Welt zu verbinden, ist ein ungewöhnlicher und begrüßenswerter Zug dieses Buches.
Eine Schlüsselfrage für die Täufer war immer das »Unbehagen gegenüber Obrigkeiten«. »Gegen zum Teil massive Widerstände haben sie überlebt und aus ihrer minoritären Position heraus Vorstellungen von Toleranz und freier Religionsausübung entwi-ckelt.« (113) Ihre alternativen Praktiken und Lebensformen in Bezug auf den Umgang mit Privateigentum, der Ehe und die Form des Gemeindelebens stellen ein breites Spektrum dar. Heutzutage sind die Baptisten mit 41 Millionen getauften Mitgliedern eine der großen protestantischen Denominationen. Inwieweit sie aber – angesichts ihrer oft recht konservativen politischen und sozialen An­schauungen – als die Erben der radikalen Reformation angesehen werden sollten, ist fraglich. Anders ist das bei den Mennoniten und Quäkern.