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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

82–84

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Vranic, Vasilije

Titel/Untertitel:

The Constancy and Development in the Christology of Theodoret of Cyrrhus.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2015. I–XIII, 245 S. = Vigiliae Christianae. Supplements, 129. Geb. EUR 116,00. ISBN 978-90-04-28995-6.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Theodoret von Cyrrhus war wahrscheinlich der bedeutendste an­tiochenische Theologe des 5. Jh.s. Es ist üblich, den christologischen Streit in erster Linie als eine Kontroverse der beiden Patriarchen Nestorius von Konstantinopel und Kyrill von Alexandria zu betrachten. Aber angesichts der Tatsache, dass Nestorius recht bald nach dem Ausbruch des Streits verurteilt und in die Verbannung geschickt wurde, waren es seine moderateren Unterstützer, die für die weitere Profilierung der antiochenischen Richtung verantwortlich waren. Unter diesen kam Theodoret wegen seiner umfassenden Bildung, seines klaren theologischen Urteils und seiner un­zweifelhaften rhetorischen Begabung die Hauptrolle zu. Insofern was das Konzil von Chalkedon, auf dem der alexandrinische Triumph des Ephesinums von 431 zumindest für eine Zeit im an­tiochenischen Sinn moderiert wurde, der große theologische und kirchenpolitische Erfolg des Theodoret und ein Zeichen für seine diplomatischen Fähigkeiten, auch wenn er für seine Haltung von den konsequenteren Antiochenern, wie etwa dem Nestorianer Jo­hannes von Aegaea, scharf kritisiert wurde.
Man darf allerdings diesen Erfolg nicht überbewerten. Lange Zeit war es üblich, die Formel von Chalkedon als einen salomo-nischen Kompromiss von alexandrinischer und antiochenischer Christologie zu betrachten, in der das Wahrheitsmoment beider Traditionen aufgehoben war. Es waren dann erst die Konflikte des 6. Jh.s, die das Pendel einseitig zu Gunsten der Alexandriner ausschlagen ließen bis hin zur offiziellen Verurteilung der wichtigsten Antiochener, einschließlich Theodorets, auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahr 553. Diese Sichtweise aber ist historisch problematisch und daher zu Recht in jüngerer Zeit kritisiert worden. Wenn das Konzil von Chalkedon ein Triumph Theodorets war, dann nur in dem Sinne, dass seine vorherige Verurteilung aufgehoben wurde. Diese Entscheidung aber war nicht das Resultat einer konziliaren Würdigung seiner antiochenischen Theologie, sondern seiner zähneknirschenden Bereitschaft, sich explizit von Nestorius loszusagen. Was immer die miaphysitischen Antichal-kedonenser dem Konzil später vorwarfen, nach ihrem Selbstverständnis versuchten die Konzilsväter von 451 keinesfalls eine Ba­lance von kyrillischer und antiochenischer oder gar nestorianischer Theologie zu normieren; vielmehr galt ihr Bemühen einem Friedensschluss mit den Antiochenern auf Grundlage der in Ephesus anerkannten kyrillischen Christologie.
Wie genau hat man in diesen wechselhaften Zeitläufen die chris-tologische Position Theodorets zu verstehen? Dies ist die Frage, der die hier zu besprechende Studie von Vasilije Vranic, basierend auf einer an der Marquette University angenommenen Dissertationsschrift, nachgeht. Genauer gesagt stellt sie die Frage von vornherein in einer bestimmten Zuspitzung: Hat sich Theodorets Christologie im Laufe der jahrzehntelangen Kontroverse verändert und wenn ja in welchem Sinn? Die Arbeit ist mit viel Sympathie für den Bischof von Cyrrhus verfasst, aber es ist doch klar, dass über ihr der Schatten der lehramtlichen Verurteilung hängt. Das Problem, das sich für den Vf. stellt, lässt sich insofern so beschreiben: Theodoret muss 451 orthodox gewesen sein, da er ansonsten nicht vom Konzil anerkannt worden wäre. Wie kann er aber dann 20 Jahre zuvor ein erbitterter Gegner Kyrills gewesen sein, gegen dessen Kritik er den unzweifelhaft heterodoxen Patriarchen Nestorius in Schutz nahm? Die Frage nach der theologischen Entwicklung Theodorets, die sich auf verschiedene Weisen artikulieren ließe, ist damit von vornherein innerhalb der Kategorien von Orthodoxie und Heterodoxie exponiert.
Um die Frage zu beantworten, nimmt der Vf. hintereinander drei zentrale Texte Theodorets in näheren Augenschein: Zunächst untersucht er als Zeugen für den frühen Theodoret seine Darstellung des rechten Glaubens (Expositio rectae fidei) und seine Verwerfung (Refutatio) der zwölf Anathematismen, die Kyrill seinem dritten Brief an Nestorius angehängt hatte. Während die Datierung der Refutatio unproblematisch ist, liegen die Dinge bei der Expositio komplizierter. Hier handelt es sich um einen in den Handschriften nur unter dem Namen des Justin erhaltenen Text, dessen Zuschreibung an Theodoret zwar inzwischen allgemein anerkannt ist, über dessen Ort im Schaffen des Bischofs von Cyrrhus wir aber nichts wissen. Die Datierung in die Zeit vor dem nestorianischen Streit ist zwar plausibel, beruht aber bereits auf einem Urteil über die darin enthaltene Christologie des Verfassers. Wenn die Schrift nun als Grundlage einer Untersuchung der theologischen Entwicklung Theodorets herangezogen wird, besteht zweifellos die Gefahr eines Zirkelschlusses. Die dritte Schrift, die vom Vf. detailliert untersucht wird, ist Theodorets antikyrillischer Dialog Eranistes, der wahrscheinlich in die Jahre unmittelbar vor dem Konzil von Chalkedon zu datieren ist.
Das Resultat dieser detaillierten, auf gründlicher Kenntnis der Quellen und eingehender Diskussion der älteren und neuen Se­kundärliteratur beruhenden Untersuchung ist, dass Theodoret in seiner Christologie sich im Wesentlichen selbst treu blieb. In allen Texten, so zeigt es der Vf., spricht sich eine im besten Sinne antiochenische Position aus, für die das Dogma von der Menschwerdung verbunden werden muss mit der axiomatischen Annahme von Gottes unveränderlichem Wesen. Aus diesem Grund waren Theodoret die paradoxalen Äußerungen, in denen sein alexandrinischer Gegner die Einheit der hypostatischen Union herausstellte, zu­tiefst suspekt. Gleichwohl war Theodoret kein Nestorianer; seine langjährige Verteidigung des abgesetzten Patriarchen, so der Vf., beruhte vielmehr auf seiner tiefen Überzeugung, dass dem Nestorius von seinem unversöhnlichen Feind ein Unrecht angetan worden sei, das nicht einfach hingenommen werden dürfe.
Das Buch des Vf.s revolutioniert unser Verständnis der Chris-tologie Theodorets nicht, aber es bestätigt und ergänzt wichtige Details und Nuancen seiner Position und leistet somit einen wichtigen Dienst für die nach wie vor schwierige Rekonstruktion einer der wichtigsten theologischen Schulen des 4. und 5. Jh.s, von der durch die reichskirchenpolitischen Entwicklungen der Zeit nur noch Bruchstücke erhalten sind.