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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

58–61

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

McKenzie, Steven L.

Titel/Untertitel:

1 Kings 16 – 2 Kings 16.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2018. 566 S. = International Exegetical Commen-tary on the Old Testament. Geb. EUR 109,00. ISBN 978-3-17-034040-4.

Rezensent:

Michael Pietsch

Der jüngste Band des international und ökumenisch ausgerichteten Kommentars widmet sich der Geschichte der beiden Staaten Israel und Juda, wie sie in den biblischen Königebüchern erzählt wird. Den Vorgaben der Reihe gemäß gliedert sich die Auslegung der einzelnen Textabschnitte in jeweils fünf Arbeitsschritte. Am Beginn steht eine Übersetzung des von Steven L. McKenzie kritisch (re-)konstruierten Ausgangstextes, die mittels unterschiedlicher Drucktypen zugleich die vermutete literarische Wachstumsgeschichte der Passage kenntlich macht. Die ›Textual Notes‹ begründen die textkritischen Entscheidungen des Vf.s, erläutern die sprachliche Struktur des Textes (Grammatik/Syntax) und geben Hinweise zu den Personen- und Ortsnamen (inkl. Topographie). In der synchronen Textanalyse legt der Vf. – im Unterschied zum kritischen Ausgangstext der Übersetzung (!) – die masoretische Textform in ihrer kanonischen Endgestalt zugrunde und analysiert deren narrative Struktur und Pragmatik unter Hinzuziehung li-teraturwissenschaftlicher und theologischer Hermeneutiken (z. B. G ender Studies). Im Anschluss daran folgt eine Analyse der Ge­schichte des Textes, seiner überlieferten Form und geprägten Denkmuster, die teilweise Beobachtungen der synchronen Text-betrachtung aufnimmt, diese jedoch unterschiedlich interpretiert. In methodischer Hinsicht dominieren in diesem Abschnitt die konventionellen Fragestellungen historisch-kritischer Bibelauslegung. Den Abschluss des Auslegungsvorgangs bietet eine Synthese, in der teils Beobachtungen der vorausgegangenen Arbeitsschritte gebündelt werden, aber vor allem nach möglichen Applikationen gefragt wird, die den modernen Bibellesern eine (un-)mittelbare Begegnung mit den Textwelten der Königebücher ermöglichen.
Der Auslegung der Einzeltexte ist eine ausführliche Einleitung vorangestellt (16–47), die vor allem über die text- und literaturgeschichtlichen Voraussetzungen der Kommentierung informiert. Die narratologische Struktur des Mittelteils der Königebücher (1Kön 12– 2Kön 17) ist durch das synchronistische Darstellungsprinzip be­stimmt, in dem die judäischen und israelitischen Herrscher jeweils im Wechsel erscheinen. Stilistisch wird der Übergang durch die Rahmenstücke markiert, die einen Abschnitt eröffnen bzw. beschließen. Stoffe, die außerhalb dieses Strukturprinzips stehen (z. B. 2Kön 2!), werden unter synchronen Gesichtspunkten besonders betont, in diachroner Perspektive könnte darin ein Indiz für den Nachtragscharakter dieser Stücke gesehen werden – was jedoch für 2Kön 2,1–18 nicht recht passen will, wenn die Sukzessorerzählung die Elia- und Elisaüberlieferung bereits vor deren Einfügung in die Königebücher miteinander verknüpft hat, wie der Vf. annimmt.
Was die Herausgeber der Reihe bewogen hat, die Auslegung dieses Teilbandes mit 1Kön 16 (genauer: 1Kön 15,33) beginnen und mit 2Kön 16 enden zu lassen, bleibt hingegen rätselhaft und wird auch im Kommentar nicht erläutert, dessen Hinweise zur Kompositionsstruktur der Königebücher den hier behandelten Textabschnitt mit überzeugenden Gründen dem Mittelteil in 1Kön12–2Kön 17 zuordnen.
Der Kommentar legt einen gewissen Schwerpunkt auf die Re­konstruktion der vermutlich ältesten Textgestalt der Königebücher, die besonders die Ergebnisse der jüngeren Septuagintaforschung aufnimmt. Im Unterschied zur Annahme einer generellen Priorität der ältesten griechischen Textform (OG = LXXB/LXXL), die sich in jüngster Zeit steigender Beliebtheit erfreut, votiert der Vf. jedoch mit guten Gründen für ein eklektisches Verfahren, das die jeweiligen Varianten gesondert beurteilt. Dieses Vorgehen liegt nicht zuletzt deshalb nahe, weil sowohl die chronologischen Angaben (vgl. 1Kön 16,21; 2Kön 1,17; 8,16) als auch die umfangreichen Zu­wächse in der griechischen Textform (vgl. 1Kön 16,28; 2Kön 1,18; 10,36) rezensionellen Charakter besitzen und als spätere Interpretamente beurteilt werden müssen. Vor allem in jenen Fällen, in de­nen kein gezieltes Interesse die Variantenbildung begünstigt hat, plädiert der Vf. häufig für eine Priorität des Septuagintatextes. Ob dieses Kriterium Gültigkeit besitzt, ist jedoch bekanntlich häufig diskutabel.
Unter der Überschrift ›Composition‹ diskutiert der Vf. das literaturgeschichtliche Modell, das der diachronen Analyse im Kommentar zugrunde liegt. Im Kern identifiziert er zwei literarische Formationsphasen in 1Kön 16 – 2Kön 16, denen jeweils älteres Überlieferungsmaterial vorlag und die ihrerseits mehrfach redaktionell erweitert wurden, ohne dass diese Bearbeitungen eine übergreifende literarische Konzeption erkennen lassen. Die erste strukturbildende Formationsphase wird vom Vf. mit dem ›Label‹ DtrH be­zeichnet. Er versteht darunter eine literarische Konzeption, die dem Modell eines ›Deuteronomistischen Geschichtswerks‹ im Sinne M. Noths verpflichtet ist, nur dass er dessen textlichen Umfang deutlicher geringer veranschlagt. Die Geschichtstheologie, die den dtr Passagen in 1Kön 16 – 2Kön 16 innewohnt, sucht den Untergang Samarias sowie die Fortexistenz der davidischen Dynastie in Jerusalem zu begründen, wozu einerseits das Motiv der ›Sünde Jerobeams‹ (vgl. 1Kön 12,26–32), andererseits der wiederholte Rekurs auf die Dynastieverheißung an David (2Sam 7, vgl. 1Kön 15,4 f.; 2Kön 8,19) dient. – Ob der bekannte Wechsel in der sprachlichen Formulierung der Bestattungsnotiz der judäischen Könige ab Hiskia allein damit erklärt werden kann, dass die dynastische Kontinuität, die mit der Bestattung der Könige »in der Stadt Davids« signalisiert wird, nach dem Untergang Samarias nicht mehr betont werden brauchte, bleibt jedoch fraglich.
Als mögliche ›Quellen‹ für die dtr Geschichte der Könige in Israel und Juda rechnet der Vf. mit einem ›synchronistischen Exzerpt‹ zweier ursprünglich selbstständiger Königslisten Israels und Ju­das, dem DtrH die organisierenden Angaben zur Regentschaft der einzelnen Herrscher entnahm, und einigen wenigen Einzelerzählungen (vgl. 2Kön 9 f.*11*) bzw. versprengten Notizen. Obwohl im untersuchten Textbereich belastbare Indizien für diese Annahme fehlen, setzt der Vf. die Entstehung der dtr Grunderzählung in exilischer Zeit an, vor allem weil er das ›synchronistische Exzerpt‹ mit C. Levin in die späte Königszeit datiert.
Im Unterschied zum sogenannten ›Göttinger Modell‹, dem die Sichtweise des Vf.s ansonsten nahesteht, stellt er heraus, dass in 1Kön 16 – 2Kön 16 keine weitere dtr Kompositionsstufe erkennbar ist. Dies betrifft auch die zweite Formationsphase des Textes, in der ein Grundbestand der prophetischen Erzählungen hinzugefügt wurde, die das narratologische Gefüge des Abschnitts auf der Endtextebene über weite Strecken prägen, und die vom Vf. als ›Pro-phetic Narrative/Narrator‹ (PN) etikettiert wird. Darin kommt einerseits zum Ausdruck, dass diese Erzählungen stilistisch und konzeptionell eigenständig sind und kaum dtr Sprachmerkmale besitzen, andererseits betont der Vf. in Abgrenzung gegenüber Noth den nachdtr Charakter der Texte. Dem ›Prophetic Narrator‹ lagen teils ältere, legendarische Prophetenerzählungen vor, die er redaktionell erweitert hat (vgl. Elisaerzählungen). Vor allem den Eliazyklus gestaltete er (teils nach Vorbildern der Elisaüberlieferung, vgl. 1Kön 17*) zum Paradigma der ›klassischen‹ Unheilsprophetie um (in Anlehnung an das Gerichtswort gegen Ahab, vgl. 1Kön 21,20–24* DtrH), wobei ihm dessen Verbindung mit Elisa bereits vorgegeben war. Mit Hilfe der Umstellung der Aramäerkriegserzählung in 1Kön 22, die ursprünglich im Anschluss an 2Kön 13,14–25* ihren Platz gehabt hatte, deutet er den Tod Ahabs als Folge des prophetischen Gerichtswortes aus 1Kön 21. Die Nähe zur jeremianischen und ezechielischen Prophetie und die ›monotheis-tische‹ Gotteskonzeption (vgl. 1Kön 18; 2Kön 5) sprechen für eine perserzeitliche Einordnung dieser zweiten Formationsphase in 1Kön 16 – 2Kön 16.
Der Kommentar bietet kompakte und trotzdem eingehende Analysen zu den einzelnen Textabschnitten, die stets den aktuellen Diskurs der Forschung aufnehmen und eine umsichtige und be­gründete selbständige Texterklärung bieten, die neben philologischen und historischen Erörterungen stets an theologischen und (vor allem in der Synthese) homiletischen Reflexionen interessiert sind. Die Auslegung verbindet im Sinne der Kommentarreihe europäische und außereuropäische, ökumenische Forschungsperspektiven auf höchstem Niveau, selbst wenn bei der Lektüre bisweilen der Eindruck entsteht, dass unterschiedliche Auslegungsinteressen mehr additiv nebeneinandergestellt als integrativ miteinander verbunden werden.