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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

48–50

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kalimi, Isaac

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur Jüdischen Schriftauslegung und Theologie. Bindung Isaaks, Geschichte Josefs und Biblische Theologie.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2018. 380 S. m. 9 Abb. Geb. EUR 39,00. ISBN 978-3-429-04478-7.

Rezensent:

Lukas Bormann

Isaac Kalimi ist Gutenberg-Research Professor of Hebrew Bible/Old Testament Studies and History of Ancient Israel an der Universität Mainz. Der hier zu besprechende Band ist die um zwei umfangreiche Kapitel erweiterte deutsche Übersetzung der Aufsatzsammlung des Autors, die unter dem Titel »Early Jewish Exegesis and Theological Controversy: Studies in Scripture in the Shadow of Internal and External Controversies«, Assen 2002, erschienen ist und von Martin Rese in ThLZ 129 (2004), 609 f. besprochen wurde. Insgesamt dient die erweiterte Publikation der hier zusammengestellten Aufsätze der Klärung der Frage, inwiefern eine jüdische biblische Theologie neben und im Gespräch mit Theologien des Alten Testaments möglich ist.
In der Einleitung bringt der Vf. zum Ausdruck, dass die Interpretation der Bibel die Grundlage für einen ernsthaften jüdisch-christlichen Dialog bilden müsse (13–24). Er geht dabei davon aus, dass die Texte der Hebräischen Bibel in ihrer vielfältigen Rezeptionsgeschichte bis hin zur rabbinischen Literatur zu untersuchen seien, um »die große Bandbreite von Auseinandersetzungen, die von zentraler Bedeutung für das Judentum sind«, zu verstehen (14). Er wählt dabei eine Perspektive, in der den Lesern deutlich werden soll, »wie die jüdische Tradition ihre Schriften liest und auslegt« (14).
Um dem gerecht zu werden, hat der Vf. ein ausführliches Kapitel zur rabbinischen Interpretation von Isaaks Bindung/Opferung, der Akedah, ergänzt, das überschrieben ist mit »Perspektiven zur Bindung Isaaks in rabbinischer Literatur und rabbinischem Denken« (88–138). Eine geschlossene rabbinische Interpretation der Akedah gebe es nicht, vielmehr stellten die Rabbinen eine Vielzahl von Perspektiven bereit, die versuchten, »die Lücken der Erzählung auszufüllen« (137). Der Vf. geht dabei nur knapp auf die von Bruce D. Chilton aufgeworfene Frage ein, inwiefern die Akedah überhaupt erst als eine rabbinische Sichtweise der Erzählung in Gen 22,1–19 entwickelt worden sei, die auf die Herausforderung des Christentums antworte (127). Er stellt vielmehr u. a. zu den drei Seiten des familialen Beziehungsdreiecks Vater, Sohn und Mutter, d. h. Abraham, Isaak und Sarah, Aussagen der Rabbinen, aber auch der mittelalterlichen jüdischen Exegese zusammen, die insgesamt den Facettenreichtum der Interpretationen der Erzählung verdeutlichen. Eine systematische Gesamtsicht der Akedah gebe es in der rabbinischen Literatur nicht (109). Einige bemerkenswerte narrative Ergänzungen, die Gen 22 in der rabbinischen Literatur erhält und die der Vf. quellenbasiert anführt, seien hier genannt: Satan habe wie im Hiobprolog Gott zur Prüfung Abrahams veranlasst (98–104). Es sei bei der Akedah viel Blut Isaaks vergossen, ja er sei getötet und auferweckt worden (124–32). Sara habe, nachdem ihr die Akedah von Satan mitgeteilt worden sei, aufgeschrien und sei gestorben (132–4).
Das zweite gegenüber der englischen Ausgabe von 2002 ergänzte Kapitel trägt den Titel »Modelle jüdisch-biblischer Theologie: Aufgabe und Herausforderungen« (197–236). In ihm führt der Vf. aus, dass es zwar keine jüdische biblische Theologie, aber doch »viele Formen theologischer Reflexion der jüdischen Bibel« gebe (205). Von besonderem Interesse ist die Übersicht über die in der letzten Dekade erschienenen Beiträge zu einer jüdischen biblischen Theologie (207–11). Es werden vor diesem Hintergrund drei Modelle für eine jüdische biblische Theologie vorgeschlagen: a) ein diachrones Modell, das die Entwicklung theologischer Aussagen innerhalb der Hebräischen Bibel untersucht und »so neutral wie möglich von säkularen, akademischen, objektiven und unkonfessionellen Standpunkten aus angegangen werden« könne (216), b) ein synchrones Modell, das die Hebräische Bibel als kanonische Einheit betrachtet und vom masoretischen Text ausgeht (220), und c) ein »konfessionelles« Modell, das die Hebräische Bibel mit der traditionellen Halacha »in Einklang bringt« (211) und »durch und durch subjektiv« sei (224). Dieses konfessionell-jüdische Unternehmen habe zudem eine Reihe von Themen zu berücksichtigen, die dem Vf. als zentral jüdisch gelten (228 f.). Der Vf. grenzt dann diese Modelle jüdisch-biblischer Theologien von einer Religionsgeschichte Israels ab und sondiert ihre jeweilige Bedeutung für das Verständnis des Judentums und den jüdisch-christlichen Dialog.
Der Vf. steckt demnach in seinen Ausführungen den Rahmen für eine Diskussion einer Theologie der Hebräischen Bibel bzw. des Alten Testaments ab. Seine Überlegungen zu diachronen, synchronen und konfessionellen Modellen biblischer Theologien sind hilfreich und machen deutlich, welche Herausforderung eine biblische Theologie für das Judentum darstellt, etwa wenn der viel beachtete Einwand von Jon D. Levenson, dass eine biblische Theologie nicht jüdisch sein könne, erörtert wird (223). Auch der jü-dische Religionsgelehrte Jacob Neusner (1932–2016) hatte ja die Ansicht vertreten, dass das dramatische Gottesverständnis der Hebräischen Bibel mit der dezidiert ungeschichtlichen Toraorientierung des rabbinischen Judentums nicht vereinbar sei. Aus protestantischer Perspektive stellt sich schließlich noch die Frage, ob eine jüdische biblische Theologie eine kritische theologische Funktion gegenüber dem Judentum der Gegenwart ausüben solle. Die beiden hier besprochenen Beiträge laden zu einem vertieften und offenen Gespräch über die damit verbundenen Fragen ein. Der sorgfältig gestaltete Band ist durch zahlreiche Register erschlossen (309–80).