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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1326–1327

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Witzenbacher, Marc

Titel/Untertitel:

Geeint in Jesus Christus. Das Ökumeneverständnis Walter Kaspers.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2018. 624 S. = Theologie im Dialog, 22. Kart. EUR 58,00. ISBN 978-3-451-38058-7.

Rezensent:

Burkhard Neumann

Nicht nur als Theologe und Bischof, sondern auch und vor allem durch seine Zeit zunächst als Sekretär und sodann als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen hat Walter Kardinal Kasper in den vergangenen Jahrzehnten die Ökumene der römisch-katholischen Kirche wie kaum ein Zweiter geprägt. Welches Verständnis von Ökumene diesem Wirken zugrunde liegt und wie es den ökumenischen Dialog befördert hat und weiterhin befördern kann, das untersucht diese umfangreiche Studie, die 2017 von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar als Dissertation angenommen wurde. Ihr Autor Marc Witzen-bacher ist der damalige Referent der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der Ökumenischen Centrale, der Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland.
Nach einer Einleitung (17–42), die die Arbeit u. a. auch in die gegenwärtige ökumenische Situation einordnet (28 ff.), folgt eine wohl weitgehend an Kaspers Selbstdarstellungen orientierte Biographie (43–88), die, was nicht nur hier, sondern auch in den anderen Kapiteln auffällt, eigenartigerweise kaum auf seine Mitgliedschaft in verschiedenen Dialoggruppen wie etwa dem Ökume-nischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen eingeht. Das dritte Kapitel stellt die »Grundzüge der Theologie Walter Kaspers« (89–142) vor, wobei vor allem der im Folgenden immer wiederkehrende Bezug zur katholischen Tübinger Schule und speziell zu Johann Adam Möhler hervorgehoben wird. Nachdem Kapitel 4 »Grundlagen und Zielsetzungen der Ökumene bei Walter Kasper« (143–162) vorgestellt hat, geht das fünfte Kapitel seiner »Rolle in der ökumenischen Bewegung« (163–216) nach, wobei verständlicherweise sein Wirken im Einheitsrat im Vordergrund steht. Im sechsten Kapitel werden »Themen der Ökumene im Werk Walter Kaspers« (217–431) dargestellt, und zwar konkret die Themen Kirche, Taufe, Eucharistie, Amt, Petrusamt, Rechtfertigung, Schrift und Tradition, um dann im folgenden siebten Kapitel nach »Perspektiven für die Ökumene aus Walter Kaspers Theologie« (433–538) zu fragen. Hier werden ausführlich die Communio-Theologie sowie die geistliche Ökumene (mit einem sehr hilfreichen Abschnitt zur geistlichen Kommunion: vgl. 501–508) und das Problem der Rezeption behandelt. Dabei geht der letzte Punkt konkret der in den 1980er Jahren diskutierten Frage einer Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses durch die römisch-katholische Kirche nach sowie der vom Einheitsrat erstellten und von Kasper veröffentlichten Studie »Die Früchte ernten«, wobei eine Reihe von Themen nochmals aufgenommen werden, die in den vorherigen Kapiteln bereits behandelt worden sind. Das achte Kapitel behandelt »Die Vision Walter Kaspers für die ökumenische Zukunft« (539–559). Abgeschlossen wird die Studie schließlich mit einer kurzen kritischen Würdigung (561–571). Ein umfangreiches und sorgfältig gegliedertes Literaturverzeichnis (573–623), das nicht nur im Blick auf die Werke Kaspers, sondern auch auf die verwendeten Quellen und ökumenischen Dokumente sehr hilfreich ist, schließt den Band ab.
Der Studie gelingt es so tatsächlich, Walter Kasper als einen »der wichtigsten Vertreter und Impulsgeber der Ökumene an der Wende vom zweiten zum dritten Jahrtausend« (561) darzustellen und zu würdigen und dies bewusst mit der Zielsetzung, damit Mut zu machen, den Weg der Ökumene weiterzugehen.
Neben kleineren Punkten, die man, wie nicht anders zu erwarten, diskutieren könnte, stellen sich dem Rezensenten zwei grundlegende Fragen. Zum einen hätte man Kaspers Theologie wesentlich mehr in die gegenwärtige katholische Theologie einordnen können bzw. sollen. Es wird dadurch nicht immer deutlich, wie sehr Kasper wesentliche Aussagen und Anliegen gegenwärtiger katholischer Theologie und Dogmatik teilt bzw. aufnimmt. Das gilt beispielsweise für die Debatte über das »subsistit« aus Lumen gentium 8 (vgl. 224–231), über den Opfercharakter der Eucharistie (vgl. 290–292.295) oder auch den Ablass (vgl. 408–411). Manchmal kann man, auch wenn das sicherlich nicht gewollt ist, den Eindruck gewinnen, als stellten Kaspers theologische Positionen innerhalb der katholischen Theologie eine Einzelmeinung dar. Eine Ausnahme bildet hier aber das umfangreiche Kapitel über die Kirche als communio, das Kaspers Position breit einordnet in die theologische und ökumenische De­batte zu dieser Thematik (vgl. 433–487).
Die zweite Anfrage betrifft die Frage nach Kontinuität und Wandel in Kaspers Aussagen wie auch in seinen Funktionen innerhalb der Ökumene. Auch wenn W. wohl zu Recht von einer grundlegenden Kontinuität ausgeht und festhält, dass sich »keine wesentlichen Brüche oder völlig veränderte Sichtweisen in Kaspers Denken ausmachen« (429) lassen, so stellt sich doch die Frage, ob der Bischof oder Kardinal alle Aussagen wiederholen würde, die der Theologieprofessor etwa zur Anerkennung der evangelischen Ämter oder zur Bewertung des Augsburger Bekenntnisses gemacht hat. Hier hätte man bei der Darstellung deutlicher machen können, in welcher Funktion Kasper sprach bzw. spricht, und stärker auf mögliche Veränderungen bzw. implizite Korrekturen achten sollen.
Unbeschadet dieser Anfragen hat W. eine Studie vorgelegt, die nicht nur das ökumenische Wirken Kaspers in seiner ganzen Breite darstellt, sondern die auch dazu ermutigt, auf den hier eröffneten Wegen weiterzugehen und die Möglichkeiten wahrzunehmen, die Kaspers trinitarisch verankerte communio-Theologie so­wie die darin begründete Vision einer »Einheit in der Vielfalt« bieten. Wenn ein evangelischer Theologe das ökumenische Bemühen eines katholischen Theologen, Bischofs und Kardinals so um­fassend darstellt und würdigt und sich dabei auch nicht scheut, die damit gegebenen Anfragen an die eigene Kirche ernst zu nehmen, dann ist das ein gelungenes und zum Weiterdenken anregendes Beispiel für eine »Ökumene der Gaben« und damit dafür, wie das ökumenische Miteinander die Kirchen tatsächlich auf allen Ebenen bereichert. So kann diese Arbeit tatsächlich dazu beitragen, wie es W. im Vorwort wünscht, »den ökumenischen Dialog weiter zu intensivieren und den Austausch der Gaben zu befördern« (16).