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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1324–1326

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Werner, Gunda [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gerettet durch Begeisterung. Reform der katholischen Kirche durch pfingstlich-charismatische Religiosität?

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2018. 264 S. = Katholizismus im Umbruch, 7. Kart. EUR 26,00. ISBN 978-3-451-38087-7.

Rezensent:

Dirk Spornhauer

Dieser Sammelband setzt sich das Ziel, über die aktuelle Situation und Forschung zu pentekostalen Gruppen zu informieren und sich auf die dadurch gegebenen Herausforderungen für einen Katholizismus im Umbruch zu konzentrieren (10). Zudem ist dieser Band als Reaktion auf einen Tagungsband des Instituts für Weltkirche und Mission der Deutschen Bischofskonferenz zu sehen (Keßler/ Rethmann [Hrsg.], Pentekostalismus, 2012). Dort war u. a. die Kraft der Pfingstbewegung gerade nicht in der theologischen Reflexion gesehen worden. So wurde dort auch kein Grund gesehen, »mit Neid und Ressentiments« auf die Pfingstbewegung zu schauen, sondern es gehe darum, souverän zu bleiben und die Pastoralgemeinschaften zu stärken. Der vorliegende Sammelband reagiert darauf in vier Themenkomplexen. Bereits bei deren Vorstellung zeigt sich eine konzeptionelle Schwäche dieses Bandes, der sich zu sehr in die Rolle eines Gegenentwurfes gegen den erwähnten Ta­gungsband drängen lässt.
Der erste Themenkomplex besteht gleich aus zwei Themen. Giovanni Maltese und Jörg Haustein geht es um die theologische Reflexionskraft weltweit tätiger Pfingsttheologen und Bernhard Sven Anuth um die kirchenrechtliche Situation der »Bewegungen« (movimenti) in der römisch-katholischen Kirche, von denen die Charismatische Bewegung eine ist. Beide Beiträge stehen jedoch thematisch unverbunden nebeneinander. Der zweite (Hermeneutik) und dritte Themenkomplex (Dogmatik) sind erkennbar jeweils den Themen des ersten Komplexes zugeordnet. So wird im zweiten Komplex auf die movimenti Bezug genommen, im dritten Komplex auf die pneumatologische Ekklesiologie.
Eher unverbunden daneben steht der vierte Komplex zu Fragen der pfingstlichen Gottesdienstpraxis und den damit verbundenen Anfragen. Maltese und Haustein geben einen Überblick über die pentekostale Theologie und stellen Ansätze zu wichtigen Themenfeldern vor. Hierzu gehören das Verhältnis von Exegese und Hermeneutik, die Verortung von Pneumatologie und Soteriologie im Sys-tem der Theologie, die Frage von Geisterfahrung und Glossolalie und andere. Gleichzeitig räumen sie ein, dass die dargestellten Entwürfe n ur ein liberales Spektrum der Bewegung erfassen, andere Flügel aber vernachlässigen und kaum repräsentativ seien. Auch stehe die Vermittlung in gemeindliche Lehre und Praxis noch aus (42). Der Beitrag schließt mit dem Appell, auch in Deutschland die internationale Pfingsttheologie zur Kenntnis zu nehmen. Als Adressat ist hier die spezialisierte (Universitäts-)Theologie auszumachen.
Anuth erörtert in seinem Beitrag die Rechtsverhältnisse von kirchlichen Bewegungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche. Die umfassende Erörterung ihrer Rechtsstellung gipfelt in der Aufforderung an die Diözesanbischöfe, allen vom Heiligen Stuhl anerkannten Bewegungen gemäß ihrem Auftrag als Bischöfe be­sondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Allein es fehlt der innere Grund hierfür. Dieser ergibt sich nur aus dem Widerspruch zu der Position des Tagungsbandes gegenüber der kirchlich anerkannten Charismatischen Bewegung.
Dies führt Gunda Werner in ihrem Beitrag zum zweiten Themenkomplex weiter aus und plädiert, ausgehend von der veränderten Haltung in den Abschlussdokumenten der lateinamerikanischen Bischofssynoden von 1968 bis 2007, für eine Binnencharismatisierung der katholischen Kirche. Diese müsse über eine Reformbereitschaft der äußeren Gestalt der Kirche hinausgehen und die komplexe Wirklichkeit äußerer und spiritueller Kirche neu denken. Dies könne anhand der neuen Grundgestalt des Christseins geschehen, wie es in pentekostal-charismatischen Gruppierungen gelebt werde (143 f.).
Ähnlich argumentiert Thomas Schärtl-Trendel unter dem be­sonderen Blickwinkel der Existenz der Kirchen in einer (post)-modernen Gesellschaft und dem von dieser erzeugten Druck auf Religion im öffentlichen Bereich. Dies führe bei Kirchenmitgliedern u. a. zum Rückzug in separiert-öffentliche Räume im Privaten oder zur Integration in Gruppen Gleichgesinnter, die eine Ent-lastung des Einzelnen gegenüber dem gesellschaftlichen Druck bedeuten könnten. Hier seien evangelikale und pfingstlich-charismatische Denkmuster geeignet, ein starkes, innerkirchliches Forum gegen den gesellschaftlichen Druck zu bilden. So plädiert er für eine Synthese evangelikal-charismatischer Elemente mit klassischer katholischer Identität der Vermittlung des Heils im sakramentalen Geschehen (115). – In diesen Beiträgen wird der Versuch unternommen, Anuths formale Aufforderung an die Bischöfe mit charismatischem Leben zu füllen.
Im dritten Themenkomplex möchte Paul Murray in der Diskussion mit Karl Rahners Schriften zu Charisma und Institution so-wie zu Geist und Kirche einen Entwurf für ein pneumatologisch begründetes Nachdenken über eine Theologie des kirchlichen Dienstamtes entwickeln, der den Gegensatz von geweihtem Amt und Laienamt überwindet. Er fasst den Geist als die Energie und Handlung Gottes, die, wie Vater und Sohn, umfassend und vollständig Gott ist. Hierin sieht er eine für Rahners Ansatz passende pneumatologische Grundlegung, um das Verhältnis von Charisma und Amt neu zu denken. So wird erkennbar der Versuch unternommen, unter Berufung auf einen anerkannten Theologen der römisch-katholischen Kirche eine Reformulierung der Pneumatologie vorzubereiten, die dann in Diskussion mit pneumatologischen Entwürfen der aktuellen Pfingsttheologie treten kann.
Ebenfalls aus systematisch-theologischer Perspektive möchte Margit Eckholt bereits bestehende Ansätze innerhalb der katholischen Theologie neu fruchtbar machen. Sie richtet dabei den Blick auf die Herausforderungen durch den Pentekostalismus in Mittel- und Südamerika. Ihr geht es um eine Wiederaufnahme befreiungstheologischer Ansätze. Hier sei es bereits an vielen Stellen um die Bedeutung des Heiligen Geistes für eine Erneuerung der Kirche gegangen. Wenn Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium diese Gedanken aufgreife, dann habe »die befreiungstheologische Relektüre der Konzilsekklesiologie weltkirchliche Bedeutung erhalten« (189). So soll Pfingsttheologie auch mit kirchlicher Lehrbildung ins Gespräch gebracht werden.
Im vierten Themenkomplex analysieren Stefan Böntert und Michael Schüßler die charismatisch-pentekostale Gottesdienst-praxis und benennen Herausforderungen für die katholische Kirche mit ihren vorgeprägten liturgischen Abläufen. Während Böntert einen religionssoziologischen Zugang wählt, schaut Schüßler auf die theologisch-liturgischen Unterschiede. Kritisch merkt Böntert an, dass in den Gottesdiensten der Pfingstbewegung die Klage zu wenig Raum habe. Falle aber Klage und Zweifel aus der Liturgie heraus, so drohe letztlich auch die Hoffnung als Glaubenshaltung zu verschwinden (213 f.). Schüßler sieht die Gefahr eines Offenbarungsfundamentalismus, der »ganz oder gar nicht« kenne und keinen Raum lasse für das Schweigen Gottes und für eine Unsicherheit, die zur Begegnung mit Gott dazugehöre (241). So fallen diese beiden Beiträge mit ihren verhaltenen bis kritischen Schlussfolgerungen auch inhaltlich aus der Reihe der übrigen Beiträge heraus .
Insgesamt leidet dieser Sammelband darunter, dass die Herausgeberin sich ihre Tagesordnung praktisch hat vorgeben lassen. Damit wirkt als Eindruck der Beiträge in den ersten drei Themenkomplexen – auch bei positiver Anerkennung der jeweiligen Argumentationen – doch der appellative Charakter eher negativ. Eine Zustimmung zu einer als richtig und wichtig erkannten Sache um ihrer selbst willen wird so erschwert. Gerade die kritischen Stimmen des vierten Themenkomplexes verstärken diesen Eindruck.
Der Aufbau einer Argumentationsstruktur, die die bestehenden Ambivalenzen von vornherein reflektiert und die Beiträge danach auswählt und anordnet, hätte die Leser anders mit auf den Weg zu eigenen Bewertungen und Schlussfolgerungen genommen. Dies wäre der Sache dienlicher gewesen.