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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1316–1317

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Jung, Stefan, u. Thomas Katzenmayer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Lebendige Kirchen. Interdisziplinäre Denkanstöße und praktische Erfahrungen.

Verlag:

Göttingen: V & R Unipress 2018. 227 S. m. 4 Abb. = Management – Ethik – Organisation, 5. Geb. EUR 40,00. ISBN 978-3-8471-0827-6.

Rezensent:

Sabrina Müller

Stefan Jung, der an der CVJM-Hochschule in Kassel Professor für Management und Organisation ist und das »Evangelische Bank Institut für Ethisches Management« leitet, und Thomas Katzenmayer, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Bank in Kassel, sind die beiden Herausgeber des Sammelbandes »Lebendige Kirche«. Mit dem Buch bezwecken sie zweierlei: Sie wollen Interessierten und Engagierten Denkanstöße zu Formen, Chancen und Grenzen der Vitalisierung und Revitalisierung von Kirche aufzeigen und veranschaulichen, wie vielfältig Aufbrüche hin zu einer lebendigen Kirche sein können. So hat, gemäß den Herausgebern, dieses Buch explorativen Charakter und ist an zwei Adressatenkreise gerichtet. Der Sammelband soll einen Beitrag zum akademischen Diskurs im Bereich der Kirchentheorie leisten, noch viel mehr richtet er sich aber an Praktikerinnen und Praktiker, welche sich für und in neuen kirchlichen Aufbrüchen engagieren. Diesem An­spruch wird der Autoren- und Autorinnenkreis gerecht: Es sind Menschen aus dem akademischen und praktischen Umfeld, wobei die Praktikerinnen und Praktiker überwiegen und auch die theoretischen Reflexionen angereichert sind mit vielen Einblicken in die Praxis.
Das 227-seitige Buch gliedert sich in zwei Teile, einen ersten theoretischen Teil, der interdisziplinäre Denkanstöße gibt, und einen zweiten, in dem vorwiegend von vielfältigen praktischen Erfahrungen von vitaler Kirche erzählt wird. Definiert wird der Begriff »lebendig« gleich zu Beginn von Jung selbst. »Lebendig« ist eine Kirche dann, wenn folgende vier Faktoren zusammenfallen: (1.) Wenn sich Engagierte regelmäßig treffen, (2.) sich gut kennen und dennoch offen für neue Menschen sind, (3.) die meisten Aufgaben von Ehrenamtlichen übernommen werden, (4.) die Teilnehmenden spirituelle Erfahrungen machen.
Diese vier Punkte finden sich implizit in vielen Beiträgen des Sammelbandes wieder. So beispielsweise Punkt eins und vier im Einleitungsartikel von Michael Herbst zur »Eventualität«, in dem der Frage nachgegangen wird, wie in den Gemeinden eine Eventhaltung überwunden werden kann. Im Beitrag von Christoph Wiesinger wird vorwiegend auf Punkt vier eingegangen. Der Autor erörtert, wie »Glaubensräume« zustande kommen, die Orte bieten, an denen spirituelle Erfahrungen gemacht werden können. Chris-tian Hennecke fragt danach, was es braucht, damit selbstbewusste Laien Gemeinde gestalten. Er kehrt dazu die Funktion der Hauptberuflichen um und sieht diese als Ermöglicher des Allgemeinen Priestertums, zudem betont er die Bedeutung einer gemeinschaftlichen Glaubenspraxis. Hennecke spricht vor allem Punkt drei und im Fazit auch noch Punkt vier an. Die Praxisbeispiele im zweiten Teil bilden eine große Vielfalt ab, so wird beispielsweise über die Lutherfigurenaktion während des Reformationsjubiläums, die Kulturarbeit als Brücke zum Glauben, Fresh Expressions of Church oder City- und Migrationskirchen berichtet. In diesen Erfahrungsberichten finden sich die vier Punkte und zusätzlich die Themen »neue (Glaubens-)Räume« und »alternative Handlungsweisen« wieder.
Das Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Sammelband – ein Mosaik an Reflexionen und Geschichten, dem manchmal etwas die Konsistenz fehlt. In manchen Kapiteln scheinen Begriffe wie Spiritualität, Glaubenspraxis, Nachfolge usw. einfach gesetzt zu sein. Hier würde man sich an manchen Stellen vertiefte Überlegungen über die verwendete Programmatik in Bezug auf die spätmoderne Gesellschaft wünschen. Gerade bei der Reflexion zu »lebendiger Kirche« wäre eine fundiertere Grundlegung wünschenswert. Praktisch-theologisch genügt es nicht, »Lebendigkeit« als reine Metapher zu bezeichnen und sie so der Messbarkeit und Evaluation zu entziehen.
Inwiefern der Sammelband dem selbstgesteckten Ziel, einen Beitrag zum akademischen Diskurs zu leisten, gerecht wird, bleibt offen. Dies zum einen, da die Autorinnen und Autoren ähnliche Kirchenbilder und Denkhorizonte vertreten und so das kritische, spannungsvolle und widersprüchliche Element etwas zu kurz kommt. Zum anderen, weil der theoretische Teil doch vielmehr vielfältige »Denkanstöße« als einen kohärenten Theorierahmen bietet. Von der Grundintention ist das Buch ja aber für engagierte Praktikerinnen und Praktiker geschrieben und erfüllt für dieses Zielpublikum durchaus die Erwartungen. M. E. sind die vielen theoretischen und praktischen Anregungen durchaus dienlich für engagierte Ehrenamtliche, Pfarrpersonen, Diakone und Kirchenvorstände. Zudem erfüllt der Sammelband noch eine andere wichtige Funktion, er ist sozusagen ein Zeitzeuge für die Entwicklungen und die Suchprozesse, die im Moment in der Praxis diskutiert und gelebt werden. In diesem Sinne kann ich die Lektüre dieses Mosaikes gerne weiterempfehlen.