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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1280–1282

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Apsel, Benjamin

Titel/Untertitel:

Geeinte Vielfalt – Versöhnte Menschheit. Die Ekklesiologie Wolfhart Pannenbergs in anthropologischer, gesellschaftspolitischer und ökumenischer Perspektive.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 356 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 163. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-525-57074-6.

Rezensent:

André Munzinger

Die Ekklesiologie Wolfhart Pannenbergs ist umstritten. Das Spektrum der Urteile ist breit angelegt – und zwar sowohl in konfessioneller als auch in schulischer Differenzierung. In dieser Arbeit stellt Benjamin Apsel eine Auseinandersetzung mit ihr in Aussicht. Die Untersuchung ist die leicht veränderte Fassung einer Dissertation, die bei Christine Axt-Piscalar in Göttingen entstanden ist. Die Arbeit macht geltend, dass nach Pannenberg die geeinte Vielfalt der Kirchen entscheidend ist. Sie greift der Einheit der Menschheit vorweg. Kirche ist der eschatologische Vorbote der Erneuerung der Menschheit im Reich Gottes.
Die Arbeit ist in zwei Hauptteile mit insgesamt sieben Kapiteln gegliedert. Der erste Hauptteil (Teil A) stellt die Situation des Menschen als Ausgangspunkt der ekklesiologischen Überlegungen Pannenbergs vor, der zweite Hauptteil (B) verschränkt daraufhin die Erläuterung der Bestimmung der Kirche mit der Darstellung der versöhnten Menschheit. Insofern sind von der Gesamtarchitektur her Anthropologie und Ekklesiologie auf das Engste verbunden.
Die Erörterung des ersten Hauptteils führt argumentativ durch Fragen der anthropologischen Bestimmung (Kapitel 2) und durch eine Analyse der säkularisierten Moderne (Kapitel 3). Im zweiten Hauptteil wird die Ekklesiologie erläutert (Kapitel 4), werden Einheit und Pluralität der Kirche ausführlich in ein Verhältnis gesetzt und die Kirche(n) im Horizont des Erwählungshandelns Gottes bedacht (Kapitel 6). Schlussbetrachtungen auf über 40 Seiten schließen die Arbeit ab (Kapitel 7).
Ziel der Interpretation ist nach Einschätzung des Vf.s, dem Objekt des Verstehens weitestgehend gerecht zu werden, indem sie das eigene Urteil zunächst zurückstellt. Erst zum Schluss der Arbeit tritt die Meinung des Vf.s hervor. Vielmehr will er sich im Denken von Pannenberg schulen lassen – und weist mit dieser Absicht auf die Bedeutung Pannenbergs hin, die eine solche Schulung legitimiert (16).
Im ersten Hauptteil (Kapitel 2 und 3) erinnert die Arbeit an die sozialphilosophische Leistung Pannenbergs. Dieser hatte eine Analyse der Möglichkeitsbedingungen menschlicher Entwicklung betrieben. Die Identität des Menschen wird im Horizont personaler Bildung und kultureller – damit eben institutionell verfasster – Ordnungen bedacht. Es leuchtet ein, dass der Vf. diese fundierenden Arbeiten Pannenbergs der Kirchentheorie vorlagert. Unterdessen steht die genetische Analyse bei Pannenberg im Horizont einer normativen Zeitdiagnose, mit der er das Legitimationsdefizit der säkularen Kultur behauptet und die Emanzipation von ihren religiösen Wurzeln als eine Entfremdung darstellt. Als wichtiger Einfluss auf Pannenberg wird hier Peter Berger herausgestellt.
Die Grundlagenarbeit bereitet den Boden für die Ekklesiologie. Die Kirche wird als entscheidende Instanz eingeführt, die auf die Pathologien und Aporien der Moderne hinweist. Dazu ist aber die Kirche selbst nur in der Lage, wenn sie zur Einheit in der Vielfalt gelangt.
Im zweiten Hauptteil wird nun das Zentrum der Ekklesiologie Pannenbergs entfaltet: »Die Kirche ist vorauslaufendes Zeichen der künftigen, vollendeten Gemeinschaft im Reich Gottes.« (101) Dabei wird deutlich, wie Pannenberg auf die biblische Apokalyptik rekurriert, um eine einheitliche Eschatologie zu entwickeln. Die Dimension des Gesamtwerkes kommt hier verständlich zum Vorschein. Pannenberg greift auf eine weitreichende Geschichtsdeutung zu­rück, um den einzelnen Gläubigen, die Kirche, den Staat und das Reich Gottes in das Gefüge seiner Theorie zu passen. Darin stellt der Vf. Taufe und Eucharistie heraus, um die Bedingungen für die Neukonstitution des Einzelnen in der Gemeinschaft zu erläutern.
Das Lebenszentrum der Kirche ist das Abendmahl. Durch Anamnese und Epiklese, die nicht auf die Eucharistie zu beschränken sind, sondern im gesamten eucharistischen Gottesdienst stattfinden, wird Christus in Erinnerung gerufen. In Brot und Wein ist er gegenwärtig, die Gemeinde wird »hineingezogen in das Opfer Christi […], das heißt in den Dienst am Nächsten und die Bezeugung der Gottesherrschaft« (153). Dabei weiß sich die jeweilige Orts­gemeinde als Teil der weltweiten Ökumene einzuordnen. Das singuläre Erleben wird als eine Gemeinschaftserfahrung mit der gesamten Christenheit gedeutet – bzw. bezeichnet und be­wirkt.
Wie lässt sich gegenüber dieser Einheitserfahrung nun die Pluralität begründen? Entscheidend ist, so führt der Vf. weiter aus, die Strittigkeit Gottes. Eine theologische Position lässt sich nicht absolut setzen, die Bewahrheitung Gottes steht aus. Die Strittigkeit Gottes als Ansatz bei Pannenberg ist selbst umstritten. Hier werden für Interessierte vor allem die Seiten 190 ff. mit den Diskussionen in den Fußnoten weiterführend sein. Jedenfalls wird die Strittigkeit nicht für sich stehen müssen. Vielmehr wird sie vom Vf. durch den Diskurs um die Ökumene und das kirchliche Amt flankiert. Sie münden in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Erwählungsgedanken bei Pannenberg (253 ff.). Entscheidend dabei ist die Verschränkung der Bestimmung Einzelner mit der Berufung der Kirche und der Menschheit insgesamt.
Überzeugend ist die Darstellung der Gesamtarchitektonik des Werkes Wolfhart Pannenbergs. Diese Arbeit bringt eine weitverzweigte theologische Denkkarriere zum Vorschein. Somit wird gleichzeitig der systematische Anspruch Pannenbergs, aber eben auch des Vf.s deutlich. Besonders hervorzuheben ist, wie der Vf. die anthropologischen, ekklesiologischen und ethischen Aspekte miteinander verwebt. Systematische Theologie wird hier als einheit-liche Denkbewegung vorgestellt. Wie der Pluralismus bei Pannenberg genau zu bewerten ist, bleibt aus meiner Sicht offen. Sicherlich hat der Vf. eine wichtige, bisher unterbelichtete Spur in das Werk Pannenbergs gelegt. Aber wie stark die Pluralität aus prinzipiellen Gründen zu würdigen ist, ist gegenüber den starken Einheitsfiguren im Werk Pannenbergs weiter zu diskutieren.
Zielführend wäre eine ideengeschichtliche Verortung der Hauptthese. Die Arbeit ist auf die Primärliteratur fokussiert. Zwar werden u. a. Hegel, Erikson, Mead, Blumenberg und Berger in ihrer Wirkung auf Pannenberg genannt. Aber hier sind weitere Vertiefungen zu erkunden. Auch die gezielte Kontextualisierung in die Fragestellungen des Graduiertenkollegs »Transformationsprozesse im neuzeitlichen Protestantismus«, in dem die Arbeit gefördert worden und entstanden ist, wäre von Bedeutung. Vor allem die Querverbindungen zu theologischen Denkern der Zeit werden nur ge­streift (z. B. zu Trutz Rendtorff, 297).
Insgesamt macht der Vf. die Bedeutung der Ekklesiologie für das Verständnis von Pannenbergs Gesamtwerk nachdrücklich fassbar. Darüber hinaus leistet diese Arbeit einen wesentlichen Beitrag dazu, die in geeinter Vielfalt gedachte Kirche (insbesondere die Gemeinschaftsdynamik der Eucharistie) als Kernelement ökumenischer, aber auch interkultureller Ethik in das Blickfeld zu rücken und zu diskutieren.