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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1268–1271

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spener, Philipp Jakob

Titel/Untertitel:

Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686. Bd. 6: 1682–1683. Hrsg. v. U. Sträter u. J. Wallmann in Zus.-Arb. m. C. Drese u. K. vom Orde.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XXXIII, 924 S. Lw. EUR 209,00. ISBN 978-3-16-156679-0.

Rezensent:

Wolf-Friedrich Schäufele

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Spener, Philipp Jakob: Briefwechsel mit Adam Rechenberg. Bd. 1: 1686–1689. Hrsg. v. U. Sträter in Zus.-Arb. m. C. Neumann. Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XXXVIII, 736 S. Lw. EUR 199,00. ISBN 978-3-16-156678-3.


Abermals sind zwei neue Bände aus der Edition des Briefwechsels von Philipp Jakob Spener anzuzeigen. Das Großprojekt, das vor gut drei Jahrzehnten von Johannes Wallmann begründet wurde und seit 2012 unter Leitung von Udo Sträter an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist, umfasst fünf Module, von denen zwei – die vierbändige Edition der Briefe aus der Dresdener Wirkungsperiode (1686–1691) und die nur einen Band umfassende Edition des Briefwechsels mit August Hermann Francke (1689–1704) – bereits abgeschlossen sind. Der erste Band des auf fünf Bände kalkulierten Moduls zur Berliner Zeit (1691–1705) ist in Vorbereitung.
Vom ersten Modul mit den Briefen der Frankfurter Zeit (1666–1686) liegt nun auch der sechste von acht Bänden fertig vor. Der siebente Band wird in kurzer Frist folgen. Ein achter Band soll die nicht sicher datierbaren Briefe dieser Periode versammeln und ein Sachregister bieten. Der vorliegende Band 6 enthält 204 Briefe Speners aus den Jahren 1682 und 1683. Nachdem der Vorgängerband mit 158 Briefen allein das eine Jahr 1681 abgedeckt hatte, ist damit ein verringertes Briefaufkommen festzustellen. Dieses erklärt sich plausibel durch eine längere Erkrankung Speners im Frühjahr 1683 und durch die zeitaufwändige Arbeit an der 1684 im Umfang von bald 1.600 Seiten gedruckten Schrift »Die evangelische Glaubens-gerechtigkeit«. Spener erläuterte und verteidigte darin in Ausein- andersetzung mit den Angriffen des Frankfurter Priesters und Dompredigers Johann Breving ausführlich die evangelische Rechtfertigungslehre. Eine Nebenabsicht der Publikation war die De­monstration der eigenen Rechtgläubigkeit in Abgrenzung vom Separatismus einiger seiner Freunde; zwischen ihm und Johann Jakob Schütz kam es darüber in dieser Zeit zum offenen Bruch.
Auch in Speners Briefen dieser Jahre schlägt sich das gespannte Verhältnis zum Katholizismus nieder. Den Plänen des Franziskaners und Titularbischofs von Tina Cristóbal de Rojas y Spinola zu einer Reunion der Protestanten mit der römischen Kirche begegnet er mit großer Skepsis. Rojas hatte Spener im Sommer 1683 unter falschem Namen besucht und mit ihm drei Stunden lang über seine Pläne konferiert. Der zum Katholizismus konvertierte Herzog Ernst von Hessen-Rheinfels hatte ihm anschließend verschiedene Dokumente zukommen lassen, darunter das Gutachten der Braunschweiger Theologen um Gerhard Wolter Molanus. Spener hält das Projekt angesichts der grundlegenden Differenzen in der Rechtfertigungslehre für unmöglich, fürchtet aber, dass sich einzelne Evangelische zu einem unbedachten Vorpreschen verleiten lassen und die Position des eigenen Lagers schwächen könnten (vor allem Briefe Nr. 164.183).
Die Auseinandersetzungen mit den Frankfurter Separatisten haben nur indirekt Spuren im Briefwechsel hinterlassen. Dafür treten anlässlich der von Johann Georg Gichtel vorbereiteten Amsterdamer Werkausgabe Jakob Böhmes Speners Vorbehalte gegen dessen Schriften wieder ans Licht: Er wünscht eine großangelegte Untersuchung von Böhmes Rechtgläubigkeit, um förmlich festzustellen, ob er ein »lucis an tenebrarum doctor« gewesen sei (Nr. 64).
Erhellend sind auch hier wieder die Äußerungen über die Juden. Spener bekennt sich weiterhin zu seiner Hoffnung auf eine endzeitliche Judenbekehrung (Nr. 28) und fordert nachdrückliche Anstrengungen in dieser Richtung, wozu auch die Zulassung von Missionspredigten durch den Magistrat gehört (Nr. 64); er selbst hat innerhalb von zwei Jahren zwölf Juden getauft. Während er der Neuansiedlung jüdischer Gemeinden distanziert gegenübersteht, bejaht er die Tolerierung bestehender Judengemeinden und ihres Synagogengottesdienstes und lehnt Zwangstaufen jüdischer Kinder ab (Nr. 103).
Mit der Erlaubnis zur Verlegung des Collegium pietatis in die Barfüßerkirche, das er bisher trotz hoher Teilnehmerzahlen in seinem Pfarrhaus gehalten hatte, war 1682 ein langjähriger Wunsch Speners in Erfüllung gegangen. Er erhofft sich davon größere Er­bauung, vor allem aber auch eine Eindämmung der bisherigen Anfeindungen und Verleumdungen (Nr. 29.39.48). Gegenüber auswärtigen Amtsbrüdern gibt er aufschlussreiche Einblicke in seine Praxis des Katechismusunterrichts. Demnach soll man Jugendlich e– von einer Verpflichtung Erwachsener zur Teilnahme hält Spener nichts – dazu gewinnen, in Erkenntnis des Nutzens für ihr Leben freiwillig zur Katechismuslehre zu kommen. Außer Luthers Kleinem Katechismus sollen, anders als etwa in Württemberg, weitere katechetische Schriften nicht auswendig gelernt, sondern zur sachlichen Vertiefung gebraucht werden; das Ziel ist die Wiedergabe der Glaubensinhalte in eigenen Worten (Nr. 34.59).
Vereinzelt finden sich auch längere theologische Ausführungen, so etwa zum Unterschied von Wiedergeburt (Regeneration) und Heiligung (Renovation). Danach geschieht auch in der Wiedergeburt bereits eine wirkliche Veränderung und Neuschöpfung des Menschen, doch ist sie nur der Anfang des neuen geistlichen Lebens, der sich in der Heiligung als unaufhörlichem geistlichen Wachstumsprozess fortsetzt, ohne in diesem Leben zur Vollkommenheit zu gelangen (Nr. 86). Ein bedeutendes seelsorgerliches Anliegen ist der Umgang mit Glaubensanfechtungen, die manchmal auch durch körperliche Gebrechen verursacht werden und in denen Spener ein Indiz für ein aufrichtiges und ernstes Christsein sieht (Nr. 132.201).
Der zweite hier anzuzeigende Band eröffnet das Modul mit dem Briefwechsel zwischen Spener und Adam Rechenberg (1642–1721). Er beginnt im Sommer 1686, als Spener Oberhofprediger des sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. in Dresden und Rechenberg Professor an der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig war. Den Anlass der Bekanntschaft und damit der Korrespondenz bot der Wunsch des bereits dreimal verwitweten Rechenberg, Speners älteste Tochter Susanna Katharina (1665–1726) zu ehelichen. Mit der im Oktober 1686 erfolgten Vermählung wurde Rechenberg Speners Schwiegersohn – angesichts des geringen Altersunterschiedes zwischen beiden blieb die Briefanrede »Frater et Fili venerande« (Nr. 6) Episode, gewöhnlich schrieb Spener »Frater et Gener« – und ein enger Freund und Vertrauter. Die Korrespondenz dauerte bis zu Speners Tod im Jahr 1705. Insgesamt sind rund 1.150 Briefe zwischen den beiden Männern überliefert – überwiegend in Form der Autographen, die aus dem Nachlass von Rechenbergs Sohn (und Speners Enkel) Karl Otto Rechenberg (1689–1751) in die Univer-sitätsbibliothek Leipzig kamen. Sie sollen in sechs Bänden ediert werden. Wie beim Spener-Francke-Briefwechsel werden, anders als beim Gros der Briefedition, in diesem Modul nicht nur die Schreiben Speners, sondern auch die Rechenbergs abgedruckt werden. Allerdings sind gerade Letztere nicht lückenlos überliefert. Das macht sich im vorliegenden ersten Band eklatant bemerkbar: Un­ter den 199 durchweg lateinischen Briefen der Jahre 1686 bis 1689 ist nur ein einziger Brief Rechenbergs. Im Übrigen folgt das Rechenberg-Modul den gleichen bewährten editorischen Prinzipien wie die bisherigen Module und ist wie die bislang vorliegenden Bände mit großer Sorgfalt gearbeitet.
Angesichts der Dichte der Korrespondenz und der Vertrautheit der Korrespondenten bietet der Spener-Rechenberg-Briefwechsel einzigartige Einblicke in die unterschiedlichen, aber auch wieder vielfältig verknüpften Wirkungskreise der beiden Korrespondenten am Hof bzw. der Universität und ist eine erstrangige Quelle nicht nur für die Kirchen- und Theologiegeschichte, sondern auch für die Landes-, Universitäts- und Kulturgeschichte. Weniger Grundsätzliches, dafür mehr Biographisches und Alltägliches findet sich auf seinen Seiten. Allerdings stellte die Edition die Bearbeiter vor besondere Herausforderungen. Mitunter war es nicht möglich, oft nur beiläufig erwähnte Personen oder Ereignisse zu identifizieren; im Zeitraum bis 1989 wurde die Aufgabe noch dazu durch das Fehlen der Briefe Rechenbergs erschwert. Andererseits profitiert die Kommentierung von der fertig vorliegenden Edition des Dresdener Spener-Briefwechsels, die auf manche Details im Rechenberg-Briefwechsel Licht wirft (und umgekehrt).
In den ersten sechs Briefen des Bandes – davon fünf aus dem August 1686 und einer aus dem Oktober – steht beherrschend die Hochzeitsangelegenheit im Mittelpunkt. Wir erfahren, dass Su-sanna Katharina Spener gerne noch länger ledig geblieben wäre und vor allem große Bedenken hatte, sich von ihren Eltern zu trennen, woran schon in Frankfurt Ehepläne gescheitert waren. Sie ließ sich aber schließlich doch zur Zustimmung bewegen. Spener war der angehende Schwiegersohn, von dem er, unter anderem durch seinen Schwager Horb (Brief Nr. 1), viel Gutes gehört hatte, willkommen, und er beruhigte ihn auch hinsichtlich des beachtlichen Altersunterschiedes von 23 Jahren. Die förmliche Brautwerbung übernahm Samuel Benedikt Carpzov. Die Hochzeit wurde am 5. Oktober 1686 in Dresden gefeiert; kurz darauf besuchten Spener und seine Frau das junge Paar – Spener fand es anschließend angebracht, sich bei Rechenberg für die Unerfahrenheit seiner Tochter in der Haushaltsführung zu entschuldigen – für einige Tage in Leipzig (Nr. 6). Immer wieder kommen im Folgenden brieflich beiläufig die persönlichen Verhältnisse des Ehepaares Rechenberg zur Sprache. Eine wichtige Rolle spielen sodann vor allem berufliche Angelegenheiten, namentlich Fragen der Personal-, Kirchen- und Universitätspolitik sowie das Wirken Speners am Dresdener Hof. So berichtet Spener im Januar 1687, dass er in seiner Wohnung mit einem zunehmend besser besuchten Katechismusunterricht be­gonnen habe (Nr. 19). Der spektakulärste Brief an Rechenberg vom 14.3.1689 (Nr. 136) beschreibt aus Speners Sicht in allen Details das Zerwürfnis mit dem Kurfürsten, um anderslautenden Gerüchten zuvorzukommen; Spener zeigt sich hier bereit, Kursachsen zu verlassen, und hofft, künftig nicht mehr als Beichtvater des Kurfürs-ten fungieren zu müssen.
Der Fortgang der pietistischen Bewegung in Deutschland spiegelt sich verschiedentlich in den Briefen. So berichtet Spener vom Hamburger Opernstreit (Nr. 57) und von den Pietisten an der Universität Gießen (z. B. Nr. 197). Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen natürlich die pietistischen Unruhen in Leipzig, über deren Verlauf und Akteure der Briefwechsel wertvolle Nachrichten enthält. Spener hört mit Sorge von den Anschuldigungen gegen August Hermann Francke und empfiehlt ihm, sich mit Rechenberg und Veit Ludwig von Seckendorff zu beraten (Nr. 167). Dass Leipziger Studenten ihre Vorlesungsmitschriften zur Metaphysik verbrannt haben, missbilligt er; allerdings sei die Metaphysik zwar für die konfessionelle Polemik von Nutzen, für angehende Landpfarrer aber entbehrlich (Nr. 158). Der in Leipzig verwendete Schmähname »Pietisten« sei im Übrigen schon anderthalb Jahrzehnte zuvor in Frankfurt für die Teilnehmer des Collegium pietatis gebraucht worden (Nr. 162). Auch die Frage der Rechtgläubigkeit des Leipziger Juristen Christian Thomasius kommt wiederholt zur Sprache (Nr. 85.128).
Der einzige Brief Rechenbergs im vorliegenden Band (Nr. 134, vom 10.3.1689) enthält vor allem die von Spener erbetene (Nr. 133) Auskunft über Charakter und Begabung des Jenaer theologischen Ordinarius Philipp Müller (1640–1713), den Spener für die Besetzung einer Theologieprofessur in Rostock zu empfehlen gedachte (481, Z. 38 muss es natürlich »raptim« heißen).