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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1250–1252

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Covington, Eric

Titel/Untertitel:

Functional Teleology and the Coherence of Ephesians. A Comparative and Reception-Historical Approach.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XVIII, 268 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 470. Kart. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-156075-0.

Rezensent:

Christine Gerber

Seit einiger Zeit meine ich, eine »Kontinentaldrift« zwischen der Ar­beitsweise exegetischer Studien eher deutscher und meist englischsprachiger Provenienz zu beobachten. Vereinfachend gesagt: Während Arbeiten hierzulande meist von den neutestamentlichen bzw. frühchristlichen Texten ausgehen und deren Inhalte unter Einbeziehung der damaligen Enzyklopädie zu rekonstruieren versuchen, setzen Studien aus dem anglophonen Kontext oft gekonnt bei antiken Konzepten an und interpretieren die frühchristlichen Texte in diesem Rahmen. Beide Zugangsweisen, von Texten oder den Konzepten aus, haben m. E. ihr Recht, wenn sie nicht einseitig bleiben.
Das Buch von Eric Covington, das auf eine in St. Andrews eingereichte Doctoral Thesis zurückgeht, geht in der Interpretation des Epheserbriefes dezidiert den »anglophonen« Weg: Es nimmt das Konzept der »functional teleology«, das antike Diskurse präge, als »Linse«, um den Epheserbrief durch diese wahrzunehmen (so 213 u. ö.). Der Ausdruck steht für ein Denksystem, das das Wesen der Dinge von ihrer Funktion aus definiert, die auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist, etwa die Eudaimonie. Teleologische Ethik ist mithin die Reflexion der Erreichung dieses funktionalen Zieles. Aufgenommen wird damit die Wiederentdeckung der Tugendethik als des Antike und Mittelalter prägenden Ethik-An­satzes durch Alisdair MacIntyre (s. After Virtue. A Study in Moral Theory, 2. Aufl. 1985). Es gelte, dieses mit der Aufklärung erodierte Konzept für die Aus-legung des Eph zu repristinieren statt der vorherrschenden deon-tologischen Perspektive, die etwa die Haustafel Eph 5,22–6,9 als Pflichtenethik interpretiert (19). Damit soll ein Beitrag zur Rekonstruk-tion der neutestamentlichen Ethik geliefert werden (vgl. das Forschungsreferat, 21 ff., sowie Schlussfolgerungen, 226–229).
Vor allem aber sollen Auslegungsfragen nach Zweck und Kohärenz des Eph gelöst werden. Sie stellen sich angesichts des Fehlens von Bezügen der pseudepigraphen Schrift auf eine aktuelle Situation und wegen der unklaren Beziehung zwischen Ekklesiologie, kosmischer Christologie und Ethik (vgl. 5–16 zur Forschung). Ziel der Studie ist zu zeigen, dass das Denksystem des Eph »(is) based on the description of the appropriate human telos to which all human behavior should be directed in light of the church’s function with-in Ephesians’ broader Weltbild. In this way, Ephesians coherently holds together concepts of cosmology, ecclesiology, and human ethics through the logic of functional teleology« (4).
»Functional teleology« ist also ein Meta-Konzept, mit dem unsere theologischen Konzepte – hier namentlich Ekklesiologie, Kosmologie und Ethik (genauer definiert: 26–28) – in ein Verhältnis gesetzt werden sollen; zwischen Text und Lektüre wird damit ge­wissermaßen eine doppelte Linse geschoben. Der Rezensentin stellt sich im Sinne der eingangs dargestellten Alternative die Frage, ob und wie der Text des Eph, seine oft deutungsoffene Quellensprache und der Rahmen der Brieffiktion in den Blick kommen.
Bevor die Studie zum Eph gelangt (Teil 3), gilt es jedoch, das Konzept der »functional teleology« in antiken Denktraditionen (Teil 1) und in der Auslegung des Eph durch Thomas von Aquin in seiner Lectura super Epistolam ad Ephesios (Teil 2) nachzuweisen.
Teil 1 über den »functional teleology« genannten Denkzusammenhang in antiken Werken dient nicht einer genealogischen Herleitung der Theologie des Eph, sondern dem Aufweis von Strukturanalogien (34). Sie bestehen in dem inneren Zusammenhang der jeweiligen Kosmologie und der Auffassung vom Telos eines Menschen sowie der daraus abgeleiteten teleologischen Ethik. Dieser Zusammenhang wird in einer tour d’horizon vorgeführt, die von der Tafel des Kebes und der Verwendung der Organismusmetapher bei Aristoteles über den Epikureismus und die Stoa zu einzelnen frühjüdischen Schriften (1Hen, Sir und SapSal) führt. Die strukturelle Abstraktion zeige die Analogie zwischen jüdischen Texten mit ihrem Schöpfungsglauben und der am Gesetz orientierten Ethik und den philosophischen Ansätzen mit ihrem aus ihrer jeweiligen Kosmologie abgeleiteten Telos. – Unverständlich ist, warum in der Auswahl, die mit der Zeitgenossenschaft zum Eph begründet wird, Vertreter des (Mittel-)Platonismus und Philo von Alexandrien fehlen. Die Nähe Philos zum Eph in der Gnadentheologie, in der gnoseologischen Soteriologie und dem Ideal der Einheit haben jüngere Auslegungen (E. Faust; G. Sellin) überzeugend an den Texten selbst aufgewiesen. Ebenso wichtig wäre die Einbeziehung der paulinischen Theologie und der Debatte über die jüdische Gesetzesauffassung: Wie verhält sich das Strukturkonzept der »functional teleo-logy« zur bundestheologischen Motivation und zur Ge­setzesorientierung?
Der zweite Teil zur Auslegung des Eph durch Thomas von Aquin stellt einleitend dar, dass dessen Rezeption aristotelischer Ontologie durch die Bibel und Offenbarungstheologie bestimmt ist. Seine hier informativ nachgezeichnete Exegese des Eph, den er selbstredend als Paulusbrief liest, ist geprägt durch die Annahme, dass der ultimus finis, die Gottesschau (bzw. 1,6.12.14: das Got-teslob), noch aussteht. Aussagen des Briefes, die auf das gesche-hene Heil zurückschauen (besonders 1,3.9 f.; 2,6 f.; 2,14–18), werden als futurisch bzw. Beschreibungen des noch Unvollkommenen verstanden. Einer funktional-teleologischen Deutung entspreche auch die Bestimmung der Briefteile: Paulus wolle die gegenwärtige Kirche stärken (1,3–3,21) und zu Höherem rufen (die exhortatio 4,1–6,9, besonders 4,12–16 mit der Darstellung teleologisch ausgerichteter Funktionen der Kirche). Es gehe um die Vervollkommnung hin zum Telos.
Ähnlich ist das auch das Ergebnis der Exegese des Eph, welche die Studie im dritten und längsten Teil entfaltet. Diese geht nicht dem Brief entlang, sondern fragt nach den Konzepten Kosmologie, Ekklesiologie und Ethik, um sie aus den Texten zu destillieren. Der Eph basiere auf einer »teleologischen« Kosmologie (entnommen aus 1,10 mit einer fragwürdigen Auslegung), wonach die »anakephalaiosis where heaven and earth will meet together as sacred space« (209) der »ultimus finis to God through Christ« sei. Dieses Ziel an die Welt zu vermitteln, sei Funktion der geeinten Kirche, und die einzelne Person habe entsprechend ihr Telos in der Kirche (4,12–16) bzw. dem Haus (5,22–6,9). So folge die teleologische Ethik aus der teleologischen Kosmologie.
Die Sprache ist neu, in der Sache konnte man Interpretationen des Briefinhalts als Entwurf einer hohen Ekklesiologie und futurischen Eschatologie schon lesen. Der Begriff »Teleologie« lenkt den Blick allerdings anders als die am Endpunkt orientierte Eschatologie auf den Progress (220).
Die Analyse des Textes, die oben als Gegengewicht zur »Konzept-Brille« angemahnt wurde, ist allerdings wenig zwingend. Auch wo die Exegese die Flughöhe der Reformulierung der Struktur von Konzepten verlässt, diskutiert sie die Streitfragen, die der syntaktisch und semantisch notorisch ambige Text auslöst, nicht am griechischen Syntagma, sondern anhand von Paraphrasen. Gewichtungen und Zusammenhänge werden mittels des Meta-Konzepts rekonstruiert, während rhetorische Gestaltung und divergente Sprachspiele vernachlässigt werden. Nur so lassen sich die aus 1,10; 2,22; 4,16 erlesenen Aussagen zum System verknüpfen. Die im Eph rhetorisch ins Zentrum gerückten Zusagen über das bereits erfahrene Heil (besonders 2,5 f.; 2,11–22; 3,6) werden hingegen abgeblendet. Abstrahiert ist auch von der Form des Textes als Brief des Juden Paulus, der sich an frisch bekehrte nichtjüdische Menschen wendet, um sie ihrer Heilsteilhabe zu vergewissern.
Der hier von C. vorgelegten Studie mangelt es mithin am exe-getischen Fundament, um von ihrer These wirklich zu überzeugen. Die Arbeit ist gleichwohl eindrücklich durch ihren weiten Horizont und die prägnant (wenn auch redundant) vorgetragene Forderung, mit einer teleologischen Ethik, die den jeweils aufgegebenen Progress zum Eschaton in den Mittelpunkt stellt, zu rechnen.