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Ausgabe:

Dezember/2019

Spalte:

1245–1247

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pajunen, Mika S., and Jeremy Penner [Eds.]

Titel/Untertitel:

Functions of Psalms and Prayers in the Late Second Temple Period.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2017. X, 506 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 486. Geb. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-044774-3.

Rezensent:

Friederike Neumann

Der Sammelband dokumentiert die Vorträge einer zweigeteilten Tagung, die 2015 in Kopenhagen und Helsinki stattfand. In der Einleitung gehen die Herausgeber Mika S. Pajunen und Jeremy Penner auf die Verwendungsweisen des Begriffs »function« ein, anhand dessen im vorliegenden Band Psalmen und Gebetstexte untersucht werden.
Eileen Schuller, der der Band gewidmet ist, führt in »Functions of Psalms and Prayers in the Late Second Temple Period« (5–23) in die Thematik ein und zeigt Verschiebungen innerhalb der Forschung auf. Nicht mehr allein die Suche nach einer »Theologie von Gebet« sollte im Blickpunkt stehen, vielmehr ist die Funktion von Psalmen zu untersuchen: anhand einer literarisch-rhetorischen Analyse, in Liturgie- und Ritual-Studien sowie im Fokus auf religiöse Erfahrungen.
In sechs, je separat eingeleiteten Teilen folgen weitere 19 Beiträge von renommierten Vertretern und Vertreterinnen der Psalmenforschung im Kontext des Alten Testaments, der Qumranhandschriften und darüber hinaus.
Teil 1 »Psalms, Prayers, and Embodied Religion«: Jutta Jokiranta beschreibt in »Towards a Cognitive Theory of Blessing: The Dead Sea Scrolls as a Test Case« (27–47) Segen als Kommunikationsgeschehen, bei dem Segen als Weihe, Zuspruch und Danksagung verstanden wird. Sie fragt, inwieweit die verschiedenen Formen von Segen auf eine »magische Kraft« des Segens hindeuten. Rodney A. Werline bietet in »The Imprecatory Features of Psalms of Solomon 4 and 12« (48–62) ein Gegenstück zu Jokirantas Beitrag, da er die »negative Rede« in den Blick nimmt, indem er auf Fluch und Verwünschungen in PsSal 4 und 12 eingeht. Verfluchungen als komplementäres Gegenstück zum Segen dienen als Form, um das eigene Leiden zu bewältigen. In »Toward a Genealogy of the Introspective Self in Second Temple Judaism« (63–79) beschreibt Carol A. Newsom die Entwicklung hin zu einem neuen Verständnis des Individuums in nachexilischer Zeit, bei der mit den Hodayot ein zwischenzeitlicher Schlusspunkt dieser Entwicklung erreicht ist. Anhand von Dan 9 zeigt Angela Kim Harkins in »The Function of Prayers of Ritual Mourning in the Second Temple Period« (80–101), wie durch Klagerhetorik im Zusammenhang mit demütigem Bekenntnis der eigenen Niedrigkeit sowie der göttlichen Größe eine neue Form von Trauerarbeit und Klage entsteht.
Teil 2 »Psalms, Prayers, and Penitential Themes«: Else K. Holt argumentiert in »›Purge me with hyssop, and I shall be clean‹: Psalm 51, Penitential Piety, and Cultic Language in Axial Age Think-ing« (105–121), dass Ps 51 den Bußgebeten zugerechnet werden kann, die als literarische Werke in nachexilischer Zeit vor allem eine unterweisende, didaktische Funktion haben. In »Prayer and Re­membrance in 4QSapiential Work (4Q185)« (122–136) zeigt Ingunn Aadland auf, dass, ähnlich wie in Ps 78, 105 und 106, der Geschichtsrückblick in 4Q185 u. a. zur demütigen Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit des Beters dient. Motive der Selbsterniedrigung und Buße, verbunden mit Geschichtserinnerung und Tora-Frömmigkeit, charakterisieren so den weisheitlich-didaktischen Text 4Q185. Durch den Vergleich von Klageliedern und der Klage 4Q179 kommt Corinna Körting in »Lamentations: Time and Setting« (137–152) zu dem Schluss, dass die untersuchten Texte ihre Funktion in der Er­möglichung von Sündenbekenntnis und Vergebung haben. Dabei betont sie den literarischen Charakter der Texte, der weder bei den Klageliedern noch bei 4Q179 einen Rückschluss auf konkrete liturgisch-gottesdienstliche Verwendungen ermöglicht.
Teil 3 »Material Issues and the Ordering of Psalms and Prayers in Collections«: Am Beispiel von poetischen und hymnischen Sammlungen, die auf atypische Weise in sehr schmalen Kolumnen ge­schrieben sind, zeigt Kipp Davis in »Structure, Stichometry, and Standardization: An Analysis of Scribal Features in a Selection of the Dead Sea Psalms Scrolls« (155–184), dass die Funktion von »Psalmenrollen« nicht nur in der Überlieferung des Textes liegt; auch die Gestaltung einer Rolle gibt Hinweise auf ihre Funktion. Joseph L. Angel stellt in »Reading the Songs of the Sage in Sequence: Pre-liminary Observations and Questions« (185–211) Ergebnisse seiner detaillierten Rekonstruktion der Fragmente von 4Q511 vor und kann so die besondere Konzeption der Schrift präsentieren. David Willgren betont in »Did David Lay Down His Crown? Reframing Issues of Deliberate Juxtaposition and Interpretive Contexts in the ›Book‹ of Psalms with Psalm 147 as a Case in Point« (212–228) anhand der Überlieferungen von Ps 147 in MT, LXX und Qumran, dass die Interpretation des Psalters nicht allein von MT abhängig gemacht werden sollte. Anhand der Qumran-Überlieferung zeigt er weitere Funktionen der Psalmen.
Teil 4 »Psalms, Prayers, and Prophecy«: Jesper Høgenhaven weist in »Psalms as Prophecy: Qumran Evidence for the Reading of Psalms as Prophetic Text and the Formation of the Canon« (231–251) nach, dass in Qumran Psalmen als Prophetie ausgelegt worden sind, die in dieser Funktion als prophetische Texte sowohl im Schriftstudium als auch in der Liturgie verwendet wurden. In »Exodus and Exile as Prototypes of Justice: Prophecies in the Psalms of Solomon and Barkhi Nafshi Hymns« (252–276) zeigt Mika S. Pajunen, dass späte Hymnen Psalmen (wie z. B. Ps 103 und 104) als Prophetien auslegen. Die Verfasser der Hymnen gehen dabei davon aus, dass sich die prophetischen Erwartungen bereits an der eigenen Gruppe erfüllt haben.
Teil 5 »Psalms, Prayers, History and Identity«: In »Those Who Pray Together Stay Together: The Role of Late Psalms in Creating Identity« (279–304) erinnert Marc Zvi Brettler daran, dass Psalmen nicht immer direkt an Gott gerichtet sind. Psalmen fungieren demnach auch als Texte zur Bildung und Stabilisierung von Gruppenidentität, wie an Ps 92 und 114 zu sehen ist. George J. Brooke zeigt in »Praying History in the Dead Sea Scrolls: Memory, Identity, Fulfilment« (305–319) anhand der Texte Temple Scroll, Rule of the Community und Eschatological Commentary A, wie Motive der Geschichte Israels durch Rezeption weiter tradiert werden. Die Erinnerung im liturgischen Kontext schafft dabei eine Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und unterstützt zu­gleich die Identitätsbildung der Gemeinschaft. Anja Klein konzentriert sich in ihrem Artikel »Fathers and Sons: Family Ties in the Historical Psalms« (320–338) auf das Vater-Sohn-Motiv und dessen theologiegeschichtliche Entwicklung in den Ps 78, 105, 106 und Neh 9. Die Familienverbindung fungiert als Brücke zwischen der biblischen Geschichte (Vergangenheit) und der Gegenwart, die ein Selbstverständnis der Beter als Teil des Volkes Gottes ermöglicht.
Teil 6 »The Composition and Use of Psalms and Prayers«: Adele Berlin betont in »Speakers and Scenarios: Imagining the First Temple in Second Temple Psalms (Psalms 122 and 137)« (341–355) die Unterscheidung zwischen dem Szenario (vgl. Sprecher) und der Entstehungszeit des Textes (vgl. Verfasser) und zeigt anhand der Jerusalem-Thematik in Ps 137 und 122, wie die idealisierte Vorstellung der Situation des Ersten Tempels in Worten des Zweiten Tempels zu neuer Hoffnung führen soll. In »Ben Sira’s Use of Various Psalms Genres« (356–383) zeigt Marko Marttila an Sir 36,1–17 und Sir 51,12a–o, wie umfassend Ben Sira an Sprache und Formen der Psalmen orientiert ist. Marika Pulkkinen führt in »›There is no one righteous‹: Paul’s Use of Psalms in Romans 3« (384–409) anhand der Frage »Wer ist gerecht vor Gott?« vor, wie Paulus Psalmen (hier Ps 116 und 51) zur Bekräftigung seiner Argumentation heranzieht. Årstein Justnes setzt sich in »Philippians 2:6–11 as a Christological Psalm from the 20th Century« (410–424) kritisch (teilweise ironisch-sarkastisch) mit Ernst Lohmeyers These auseinander, den Text in Phil 2 als urchristlichen Hymnus zu verstehen.
Am Ende des Bandes findet sich ein Gesamtliteraturverzeichnis sowie umfassende Stellen- und Autorenregister. Ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren fehlt leider.
Der Band stellt eine sehr lesenswerte Sammlung neuester Beiträge zur Psalmenforschung dar, der die Funktion von Psalmen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Das gemeinsame Thema des Bandes ist oft sehr gut erkennbar, die Beiträge argumentieren größtenteils klar und überzeugend, so dass dieser Band einen weiterführenden Beitrag innerhalb der Psalmenforschung leisten kann und sicherlich die Diskussion anzuregen vermag.