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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1190–1192

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bührer, Walter, u. Raphaela J. Meyer zu Hörste-Bührer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Relationale Erkenntnishorizonte in Exegese und Systematischer Theologie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 220 S. = Marburger Theologische Studien, 129. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-05213-4.

Rezensent:

Christof Voigt

Der Band enthält die Beiträge einer Tagung, die unter dem Titel »Relationale Erkenntnishorizonte als Bindeglied zwischen Exegese und Systematischer Theologie?« im Frühjahr 2017 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum stattfand. Die Klärungsbedürftigkeit des Verhältnisses der theologischen Dis­ziplinen, insbesondere der Theologie des Alten Testaments und der Systematischen Theologie, wird exemplarisch mit der vor wenigen Jahren aufgekommenen Debatte um die kanonische Geltung des Alten Testaments begründet und als eines der wichtigsten De­siderate gegenwärtigen theologischen Arbeitens eingeschätzt. Ein Lösungsansatz wird im Ausgang von dem in den vergangenen Jahrzehnten in der Systematischen Theologie (und auch in nicht-theologischen Fächern wie Philosophie, Pädagogik, etc.) entwickelten Grundbegriff der Beziehung zwischen Gott und Mensch vermutet, den nun auch die Exegese aus den biblischen Texten herauszuarbeiten habe.
Konkret wird also Antwort erwartet auf die Fragen: Welche Be­deutung haben relationale Erkenntnishorizonte für die exegetischen Disziplinen und für die Systematische Theologie? Liegt in der Berücksichtigung der Vielfalt der Relate in Relation zu Gott als dem einen Relat die Möglichkeit, die Pluralität und Uneinheitlichkeit der biblischen Texte zu verstehen? Ermöglichen relationale Er­kenntnishorizonte eine produktive reziproke Rezeption von Systematischer Theologie und Exegese?
In dem den Band eröffnenden Beitrag zur Vor- und Entstehungsgeschichte des Forschungsprojektes »Relationale Erkenntnistheorie und Ontologie« geht Wilfried Härle von dem vermeintlichen Antagonismus von eher evangelischem Personalismus und eher katholischer Ontologie bzw. Metaphysik in den 1960er Jahren aus, schildert dann Karl Barths frühe Zurückweisung der analogia entis (»Theologie und also nicht Ontologie«) und seine Entwicklung hin zu einer analogia fidei bzw. relationis, bei der es sich um die Einführung einer relationalen Ontologie gehandelt habe, um mit Wilfried Joests »Ontologie der Person bei Martin Luther« von 1967 den Ontologiebegriff für das Forschungsprojekt grundgelegt zu sehen.
Ernstpeter Maurer betrachtet in seinem Beitrag »Die Metapher als eigentliche Rede« zunächst die fundamentalen Fragen nach dem Verhältnis von Subjekt und Objekt, der Wahrheit als Korrespondenz und der Relation von Sprache und Wirklichkeit. Dabei zeigt er im Blick auf dialogische Beziehungen von Personen, aber auch anhand biblischer Grundwörter (Altes wie Neues Testament), dass Relata nicht nur gleichursprünglich mit den Relationen seien, sondern durch die Relation überhaupt erst wirklich würden.
Markus Mühling formuliert in »Relationalität, Narrativität und Werte« sieben Thesen zu einer wahrhaft relationalen theologischen Ethik. Relationalität sei prozesshaft und nicht statisch zu verstehen und werde am besten in einer narrativen Ontologie entworfen. Eine begründbare, reflexive Ethik sei zugunsten eines ihr stets vorgängigen Ethos aufzugeben.
Emmanuel Rehfeld erhebt in »Seinskonstitutive Christusbezogenheit« relational ontologische Ansätze aus den Themen Sexua-lität, Götzenopferfleisch, gemischtreligiöse Ehe und Identität im 1. Korintherbrief und aus dem Sein in Christus bei Paulus überhaupt. Er kommt zu dem Schluss, dass man den Aussagen der christlichen Botschaft denkerisch erst in einer relationalen Ontologie gerecht wird.
Volker Rabens findet in »Sein und Werden in Beziehungen« Grundzüge relationaler Ontologie im Corpus Paulinum und im Corpus Johanneum, jeweils in den Feldern Anthropologie und Ethik sowie im Begriff der Sünde und des Glaubens.
Jan Dietrich zeichnet in »Responsive Anthropologie« ein Bild des Menschen im Alten Testament am Beispiel der Tugend-Epistemologie nach und sieht Relationalität als eine anthropologische und wesentliche Konstante, so dass der Mensch nur aus Formen der Bezogenheit heraus verstanden werden könne. Den Begriff des Erkennens (des Hörens wie Sehens) und des Antwortens stellt er in den Horizont neuerer Hermeneutiken (Heidegger, Gadamer, Bu­ber u. a., auch Rosa).
Friedhelm Hartenstein sieht »Relationalität als Schlüssel zum Verständnis JHWHS« und bedenkt die Personalität Gottes mit Bezug auf systematisch-theologische Entwürfe von Härle, Jüngel und Schwöbel im Blick auf die Aufgabe einer Theologie des Alten Testaments und fasst schließlich einige Leitgedanken zu relationalen Erkenntnishorizonten mit Psalm 139 zusammen.
Raphaela J. Meyer zu Hörste-Bührer und Walter Bührer sehen in ihrem gemeinsamen Schlussbeitrag »Relationale Erkenntnishorizonte als hermeneutische[n] Schlüssel zu Pluralität und Einheit des Alten Testaments«. Bei aller Vielfalt der Schriften und aller Vielfalt der Gottesrede im Alten Testament weise der Ausgangsbegriff der Beziehung den Weg, eine Einheit darin zu finden, dass der bezeugte Gott als einer und derselbe gesehen werde.
Insgesamt bietet der Band einen bunten Strauß an Überlegungen, dessen vielerlei Blüten einzeln oder eben in ihrer ganzen Buntheit betrachtet werden können. Die ersten Blicke wecken große Lust, sich dem zuzuwenden. Der grundlegende Ausdruck »relationale Erkenntnishorizonte« scheint mir allerdings im Blick auf seine bildliche und inhaltliche Aussagekraft höchst unglücklich. Die Autoren gehen mit ihm unterschiedlich um und meiden ihn phasenweise. Die schiefen Bilder vom Horizont als Bindeglied oder Fluchtpunkt bestätigen unfreiwillig, dass die Definitionsbedürftigkeit der Grundbegriffe bis zum Ende des Bandes nicht wirklich gestillt ist. Gut, dass Wilfried Härle zum Einstieg in großer Klarheit und Tiefe den Bereich der Erkenntnistheorie (Relationalität sei nachgerade selbstverständlich) ausdrücklich um den Bereich der relationalen Ontologie ergänzt. So handelt es sich um ein fundamentales Thema der Theologie und ihrer aktuellen Relevanz.