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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1188–1190

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schleiff, Matthias

Titel/Untertitel:

Schöpfung, Zufall oder viele Universen? Ein teleologisches Argument aus der Feinabstimmung der Naturkonstanten.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XII, 319 S. = Collegium Metaphysicum 21. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-156418-5.

Rezensent:

Dirk Evers

Die 2017 an der Universität Münster angenommene Dissertation von Matthias Schleiff, die den dortigen Dissertationspreis erhielt, setzt sich vor dem Hintergrund der modernen Kosmologie mit einer viel diskutierten Version des teleologischen Arguments auseinander, das von der sogenannten Feinabstimmung der Naturkonstanten auf die Existenz eines Schöpfers schließt. Dabei gelingt dem Vf. selbst eine fein abgestimmte Darstellung, die die Begriffe und Konzeptionen pünktlich zu klären und kritisch gegen Fehlinterpretation abzugrenzen sucht, die sehr vorsichtig mit Blick auf die Form und Tragweite des Arguments vorgeht und gleichwohl nachdrücklich für die Rationalität einer entsprechend moderaten Variante des Arguments eintritt.
Der Vf. geht so vor, dass er in Kapitel 1 eine ausführliche Skizze des Projekts vorwegschickt. Er ist der Überzeugung, dass die Theologie den Rückzug aus der Beschäftigung mit den Naturwissenschaften zu früh angetreten und sich vorschnell auf eine schiedlich-friedliche Trennung von Gottesglauben und wissenschaftlicher Welterkenntnis zurückgezogen hat. Vielmehr zeige das wissenschaftlich unstrittige Phänomen, dass fundamentale kosmische Parameter und Naturkonstanten auch nicht geringfügig anders sein dürften, ohne dass die biologische Entwicklung von Leben unmöglich würde, dass im Sinne eines Schlusses auf die beste Erklärung die Hypothese einer zielgerichteten Schöpfung durch einen personalen Schöpfer unter Aufnahme wissenschaftlicher Erkenntnis plausibel gemacht werden kann. Damit möchte er sich als Theologe auf einen Weg gemeinsamen Nachdenkens mit den Naturwissenschaften machen. Entsprechend sieht er beide, Theologie und Naturwissenschaften, auf diesem Denkweg herausgefordert: Die Theologie muss Schöpfungstheologie unter den Bedingungen der Moderne und also sachhaltig und im Dialog mit den Naturwissenschaften betreiben, und die Naturwissenschaften sind herausgefordert, die Welt nicht ohne Gott, zumindest aber nicht ohne Ziele und Zwecke zu verstehen (vgl. 251). Doch die von Robert Spaemann übernommene Mahnung an die Naturwissenschaften, »ihr Prinzip der Teleologiefreiheit infrage zu stellen« (273), bleibt vage: Dürfen sie die ›Gotteshypothese‹ nicht ausschließen, müssen sie sie bis auf Widerruf vertreten oder gar produktiv mit ihr arbeiten? Und wie würden solche theologisierenden (?) Naturwissenschaften methodisch kontrollierbar arbeiten?
Insgesamt ist der Band zweiteilig aufgebaut. In den Kapiteln 2–4 geht es um die Klärung der Form und zentraler Begriffe des teleologischen Arguments aus der Feinabstimmung, in den Kapiteln 5–8 erfolgt dann seine Durchführung. Den Schluss bilden allgemeiner gehaltene Impulse für das Gespräch von Theologie und Naturwissenschaften (Kapitel 9). Zunächst erfolgt in Kapitel 2 eine historische Darstellung der deduktiven Form des teleologischen Arguments bei Thomas von Aquin sowie seiner induktiven Form in Humes Dialogen über natürliche Religion. Beide Darstellungen sind gut gelungen. Von Thomas übernimmt der Vf. die Grundfigur, dass erst der Glaube die Weltursache mit dem Schöpfer identifizieren kann, als Schwierigkeit identifiziert er, dass Thomas keine andere Erklärung für Zielgerichtetheit akzeptiert als Planung. Daran scheitert denn auch sein deduktiv aufgebautes Argument. Der Vf. will es deshalb durch die komparative Struktur eines Schlusses auf die (relativ) beste Erklärung ersetzen. Es folgt in Kapitel 3 eine Darstellung des Phänomens der kosmischen Feinabstimmung. Hier bringt der Vf. einen sehr differenzierten und instruktiven Überblick über Interpretationen und weist auf die Fülle der verschiedenen Beispiele und ihre wechselseitige Abhängigkeit hin. Damit begründet er sein Fazit, dass dieses Phänomen nach einer Erklärung verlangt. Diese Erklärung aber, und das entfaltet das 4. Kapitel, kann nur ein Schluss auf die beste Erklärung sein, weil es einige in Konkurrenz zueinander stehende Alternativen gibt, unter denen die Annahme einer planenden Ursache (die der Glauben dann mit dem Schöpfer identifiziert) nur eine unter anderen ist. Hier finden sich die erkenntnistheoretisch interessantesten Darlegungen des Bandes, wenn der Vf. von Peirce’ Konzept der Abduk-tion zu Erklärungen übergeht, sich mit Bas van Fraassen und Fragen von Realismus und Antirealismus auseinandersetzt oder über Glauben und Fürwahrhalten in Religion und Wissenschaft nachd enkt, was diese Rezension nicht im Einzelnen darstellen kann. Jedenfalls gewinnt der Vf. zum Schluss dieses Teils die logische Form eines mit drei Prämissen arbeitenden abduktiven Arguments, das von der Feinabstimmung auf einen Schöpfer im Sinne der besten Erklärung des Phänomens schließt.
Diese logische Skizze wird dann in den folgenden vier Kapiteln so ausgeführt, dass nach einer einleitenden Skizze nacheinander die Prämissen (2.), (1.) und (3.) ausführlich diskutiert werden. Zu­nächst wird auf wenigen Seiten die Prämisse (2.) erläutert, dass die Annahme eines Schöpfers in der Tat das Phänomen der Feinabstimmung erklären würde (Schöpfungshypothese) und die Vorstellung eines Schöpfers als begründetes Ende einer weiteren Suche nach Erklärungen in Frage kommt. Dann wird sehr ausführlich P rämisse (1.) erörtert, ob die Feinabstimmung überhaupt nach einer Erklärung verlangt oder sie als (kontingentes) brutum factum hingenommen werden sollte. Hier nimmt der Vf. eine genaue Analyse des so genannten Anthropischen Prinzips vor. Er selbst versteht es als Ausdruck selbstbewusster Wesen, die aus einem Staunen heraus nach den Möglichkeitsbedingungen der eigenen Existenz fragen und berechtigterweise nach Erklärungen für die er­staunliche Tatsache eines lebensfreundlichen Universums su­chen, und grenzt dieses Verständnis gegen andere Deutungen und Fehldeutungen ab. Als Prämisse (3.) sucht der Vf. dann die Überlegenheit der Schöpfungshypothese im Vergleich mit alternativen Erklärungen zu begründen. Dabei werden vor allem sogenannten Multiversumtheorien erwogen, die von vielen oder gar unendlich vielen Universen ausgehen, unter denen sich dann auch lebensfreundliche finden. Auch dieser Teil ist dem Vf. überaus gelungen. Nicht in jedem Punkt wird man ihm folgen wollen, und vor allem die Ausführungen über das Unendliche (213–216) sind nicht ganz überzeugend. Doch das Problem einer Einbettung des ›Multiversums‹ in einen Gesamtbegriff des Seins wird ebenso klar entfaltet wie das Problem unbeobachtbarer Größen in der Kosmologie oder die Frage nach der Einfachheit von Hypothesen. Der Vf. macht eindrucksvoll deutlich, inwiefern für ihn einerseits die Schöpfungshypothese die bei Weitem überlegene Erklärung des Phänomens der Feinabstimmung darstellt, andererseits damit aber weitere theologische Fragen (wie z. B. die Theodizeefrage oder die Frage nach der Personalität eines Schöpfers) allererst gestellt und aufgegeben sind. Er hebt an mehreren Stellen heraus, dass das teleologische Argument nur einige wenige Grundgedanken eines christlichen Schöpfungsverständnisses einholen, aber mitnichten seine Gesamtperspektive begründen kann. Nachdem nun die drei Prämissen verteidigt sind, ist der Schluss des teleologischen Arguments, wie es der Vf. aufgestellt hat, folgerichtig: »Es ist rational gerechtfertigt, die Schöpfungshypothese zu akzeptieren« (250).
Das Schlusskapitel entfaltet dann in neun Thesen Impulse für das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Die erste These stellt noch einmal heraus, dass das christliche Schöpfungsbekenntnis sehr viel mehr sagt, als sich durch das teleologische Argument begründen ließe, dass die Theologie aber auch nie weniger behaupten sollte. Nicht erwogen wird, ob der christliche Glaube einigen Implikationen teleologischer Argumente vielleicht auch widerspricht. Angedeutet wird das immerhin in These 3, wo auf die Theodizeeproblematik Bezug genommen wird. Die weiteren Thesen entfalten dann Entsprechungen und Konvergenzen zwischen Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlicher Kosmologie, die nach Auffassung des Vf.s helfen könnten, dass Menschen die Welt wieder als Schöpfung Gottes erfahren in der Spannung zwischen Verlässlichkeit und Freiheit im Gott-Welt-Verhältnis. Abschließend wird man mit Blick auf diese differenzierte, sich vom übersteigerten Begründungsdenken der sogenannten analy- tischen Theologie angenehm unterscheidende Arbeit festhalten können, dass man auch dann, wenn man dem Argument weniger oder anderes zutraut als der Vf., für künftige Beschäftigungen mit dem teleologischen Argument im Besonderen, den Gottesbeweisen im Allgemeinen und der Frage nach dem Verhältnis von naturwissenschaftlicher Erkenntnis und heute verantworteter Schöpfungstheologie an dieser Arbeit nicht vorbeikommen wird.