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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1187–1188

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Rosado Haddock, Guillermo E. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Husserl and Analytic Philosophy

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2018. VIII, 338 S. Kart. EUR 25,95. ISBN 978-3-11-061178-6.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Der lesenswerte Band mit englisch- und deutschsprachigen Beiträgen verfolgt ein philosophiepolitisches und philosophiegeschichtliches Ziel: Er will die ignorante Haltung der Analytischen Philosophie Husserls gegenüber korrigieren und ihre empiris-tisch und nominalistisch verzerrte Sicht Freges ein für allemal als einen haltlosen Mythos entlarven. Geschrieben ist er vom Standpunkt der Philosophie Husserls aus und er scheut nicht vor polemischen Urteilen über Sichtweisen und wichtige Vertreter der Analytischen Philosophie zurück.
Nach einer orientierenden Einleitung des Herausgebers bietet ein erster Teil (Husserl and Analytic Philosophy: A General Assessment) drei Aufsätze über Husserls Beiträge zu zentralen Themen der Analytischen Philosophie des 20. Jh.s: Guillermo E. Rosado Haddock legt dar, inwiefern Husserl schon seit 1908/9 die Analyse als zentrale Methode der Philosophie vertreten hat und Frege nä­her steht als die meisten Analytischen Philosophen. Jairo José da Silva diskutiert Husserls Haltung zur Analytisch/Synthetischen Dichotomie und Uwe Meixner untersucht in einer detaillierten Studie Husserls Konzeption der Intentionalität in Auseinandersetzung mit seinen analytischen Gegnern (besonders G. Ryle).
Ein zweiter Teil (Husserl and some Analytic Philosophers) bietet Studien zum Verhältnis von Husserl und Frege (Clare Ortiz Hill), die Debatte um Russells Paradox in der Frühzeit der Phänomenologie und der Brentanoschule (Carlo Ierna), Husserl und Tarski (David Woodruff Smith) und Husserl und Carnap (Verena Mayer, G. E. Rosado Haddock). Vor allem die beiden letzten Beiträge machen im Detail deutlich, dass Carnap im Gegensatz zu manchen Darstellungen nicht nur Student Husserls war (1923–1925), sondern dass sein Buch Der logische Aufbau der Welt (1928) ein Plagiat von Husserls System der Konstitution darstellt (Verena Mayer) und Carnap das in seiner Intellectual Autobiography in P. A. Schilpp (Ed.), The Philosophy of Rudolf Carnap (1963) gezielt zu vertuschen suchte (Rosado Haddock). Schon um dieser beiden Beiträge willen ist der Band nicht nur für die Husserlforschung, sondern auch für die Carnapforschung ein Gewinn. Man wird über Carnaps Verhältnis zu Husserl künftig anders urteilen müssen.
In einem dritten Teil (Appendix) werden einige wichtige Dokumente zu Husserls Verhältnis zu Carnap und zu Jonas Cohn geboten. Ein Namen- und ein Sachregister beschließen den Band. Herausgeber und Autoren des Bandes machen kein Hehl daraus, dass sie Husserl endlich in das richtige Licht rücken und dazu beitragen wollen »to give Husserl his due place among the greatest philosophers« (V). Dabei werden nicht alle wichtigen Themen und Bezüge angesprochen: Husserls Verhältnis zu Gödel, zu Hilbert oder zur Bourbaki Schule werden nicht thematisiert. Das sind Desiderata künftiger Forschung, wie der Herausgeber selbst notiert (10 f.). Auch wenn die Polemik gegen die Analytische Philosophie gelegentlich überzogen ist, sollte niemand, der sich mit Husserl, Frege, Carnap oder Tarski befasst, diesen Band ignorieren.