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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1167–1169

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Breul, Wolfgang; u. Kurt Andermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ritterschaft und Reformation.

Verlag:

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2019. 374 S. = Geschichtliche Landeskunde, 75; Ebernburghefte, Sonderbd. Geb. EUR 63,00. ISBN 978-3-515-12258-0.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Dieser Band ist aus der Tagung »Ritterschaft und Reformation«, die vom 19. bis 21. März 2015 im Landesmuseum in Mainz zur Vorbereitung der Ausstellung »Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation« von den Herausgebern veranstaltet wurde, hervorgegangen. Die Ausstellung selbst wurde von Mai bis Oktober des gleichen Jahres eben dort präsentiert und von einem wissenschaftlich hochwertigen Katalog begleitet. Tagung und Ausstellung gewährten einen vertieften Blick auf die Rolle der Ritterschaft und des Niederadels in der Zeit der Reform des Heiligen Römischen Reiches um 1500, die geprägt war von einer zunehmenden herrschaftlichen Verdichtung, die die Reichsstände nachhaltig begünstigte.
So wurde auf dem Wormser Reichstag von 1495 ein ewiger Landfriede durchgesetzt und das unter maßgeblicher ständischer Beteiligung organisierte Reichskammergericht eingerichtet. Mit der Delegitimierung der Fehde als bewaffneter Selbsthilfe und dem »Gemeinen Pfennig« als allgemeiner Reichssteuer verlor der Ritter-adel zunehmend an Bedeutung, wenn sich die Neuerungen auch nicht umgehend durchsetzen ließen, zumal es oft an wirkungsvollen Exekutionsorganen fehlte. Letzteres betraf vor allem auch den mächtigen Reichsritter Franz von Sickingen, dessen Stammburg, die Ebernburg bei Bad Kreuznach, in der Nähe des Tagungsorts gelegen ist. So sind Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten, der die Ebernburg als »Herberge der Gerechtigkeit« bezeichnete, in der Gegend des nördlichen Oberrheins von besonderem Interesse. Tagung und Ausstellung erweiterten die regionale Perspektive und befassten sich mit den Verhältnissen im Heiligen Römischen Reich und darüber hinaus im angrenzenden europäischen Raum, Polen, Tschechien (Böhmen und Mähren), Ungarn, Dänemark, Italien und Frankreich, wobei herrschaftliche Überschneidungen – z. B. zwischen dem Reich und Dänemark in Bezug auf Schleswig und Holstein sowie in Bezug auf die habsburgischen Gebiete oder das Elsass – zu berücksichtigen sind. Der Druck zur Unterstellung des Niederadels unter die Landesherrschaft war in den unterschied-lichen Regionen verschieden ausgeprägt und im Südwesten, in Schwaben, Franken und am Rhein besonders schwach, im Vergleich zum Norden und Osten etwa.
In dem Tagungsband sind 18 Aufsätze publiziert, die eine Fülle unterschiedlicher Perspektiven und Quellenbezüge anbieten. Steffen Krieb untersucht zunächst die Memorialpraxis des Niederadels im Pfälzer Raum. Von besonderem Interesse ist hierbei der Einfluss der Reformation auf die Begräbniskultur, wenn etwa Hans III. Landschad die Memorialstiftungen seines Vaters Blicker von Steinach in den Gemeinen Kasten zugunsten der Armenfürsorge überführte. Joachim Schneider untersucht föderative Gruppenbildungen innerhalb der südwestdeutschen Ritterschaft um 1500 mit dem Fokus auf Franz von Sickingen. Er vergleicht verschiedene Formen der Schwurgemeinschaften und Bildungen von Netzwerken zum Teil mit königlicher Unterstützung, so durch König Sigmund 1429, mit dem Ziel, die fürstliche Zentral- bzw. Territorialgewalt zu schwächen. In diesem Beziehungsgeflecht spielen Ganerbschaften eine nicht unerhebliche Rolle. Das Verbot der Fehdeführung aufgrund der Verkündung des Allgemeinen Landfriedens auf dem Wormser Reichstag von 1495 konnte nicht unmittelbar durchgesetzt werden, so dass die Untersuchung der Fehdepraxis der ersten Hälfte des 16. Jh.s durch Christine Reinle Thema eines weiteren wichtigen Beitrags des Bandes ist. Dabei wird deutlich, dass die Mehrheit der Ritter solche Fehden mit geringem Personal so führt, dass sie in der Literatur – nicht unproblematisch – als Raubrittertum bezeichnet werden, während etwa Franz von Sickingen zu einem gefürchteten Kriegsunternehmer wird, dessen Macht zu brechen eines Fürstenbündnisses bedurfte. Einzelne Personen wie Thomas von Absberg, die Familie zu Guttenberg oder Götz von Berlichingen geraten ins Blickfeld. Ein probates Mittel, das wir auch aus Goethes »Götz von Berlichingen« kennen, war dabei die wirtschaftliche Schädigung des Gegners, auch z. B. durch Viehdiebstahl. Fehlende Absatzmöglichkeiten für die Beute führten zu einer Änderung der Praxis, die abgelöst wurde durch Entführungen und Erpressung von Lösegeld. Dass die Vfn. an zwei Stellen unkommentiert von »jüdischen Hehlern« spricht, auf die der Fehdeführer jeweils angewiesen sei, in einem Fall ein Fehdeführer sogar 1531 durch einen jüdischen Hehler er­mordet worden sei, erscheint – wenn es auch historische Tatsache sein mag – nicht unproblematisch.
Das Verhältnis von Kaiser, Reich und Ritterschaft untersucht Matthias Schnettger noch einmal näher, wobei sein Beitrag auch als wertvolle Ergänzung zum Aufsatz von Joachim Schneider zu sehen ist. Interessant scheint vor allem der Abschnitt »Reichritterschaft und Konfession«, in dem der Vf. die – auch in weiteren Beiträgen deutlich werdende – missliche Situation des Niederadels bei der Wahrnehmung des in Artikel 26 des Augsburger Reichstagsabschieds nicht ganz eindeutig geregelten ius reformandi in ihrem Gebiet verdeutlicht. Insbesondere die Wahrung der mühsam – im Einzelnen – erreichten Reichsunmittelbarkeit drängte zur Loyalität gegenüber dem altgläubigen Kaiser. Dass die Ritter in Luthers Leben eine nicht unwesentliche Rolle spielten, macht Mathieu Arnold in einer Untersuchung von Luthers Briefen deutlich. Wolfgang Breuls Aufsatz »Ritterschaft und Reformation bei Franz von Sickingen« ist innerhalb des Sammelbandes von zentraler Bedeutung, insbesondere, da Breul durch eine inhaltliche Auswertung der Quellen wie Sickingens Sendbrief an Diether von Handschuchsheim zu einer differenzierteren und positiveren Bewertung des Ritters kommt als frühere Autoren. Dabei spielt die Einleitung dieses Sendbriefs durch Johannes Schwebel eine wichtige Rolle, in der dieser die Verantwortung der Laien für die Verkündigung des Wortes Gottes betont, da die Bischöfe sie nicht mehr gebührend wahrnähmen. So enthält der Sendbrief aus der Feder eines Laien ein kleines reformatorisches Programm, die Ebernburg wird zu einem wichtigen Ort innerhalb der frühreformatorischen Bewegung. In ähnlicher Weise betrachtet Breuls Schüler Mathias Müller die Flugschriften von Hartmuth von Cronberg, während Kurt Andermann sich der Rolle der Ritterschaft im Umkreis des Kraichgaus annimmt. Innerhalb seines detailreichen Aufsatzes sei auf seine Erwähnung des auf Initiative von Dietrich von Gemmingen – vier Jahre vor Luthers Marburger Gespräch mit Zwingli – auf der Burg Guttenberg durchgeführten Abendmahlsgesprächs hingewiesen. Andermann schildert familiäre Netzwerke und geht auf Einzelpersönlichkeiten wie Götz von Berlichingen ein, der sich für die Reformation entschieden hat. Ebenso wichtig scheint der Hinweis auf die Lateinschule in Gemmingen, zeigt sie doch eine Verbindung von Ritterschaft und Humanismus.
Marc Lienhard, Berthold Jäger und Uwe Schirmer ergänzen den Band durch Beiträge über die elsässische Ritterschaft, die Ritterschaft in der Rhön und im obersächsisch-thüringischen Gebiet. Insbesondere die Aufsätze von Jäger und Schirmer bestechen durch ihren Detailreichtum. Dabei geht Jäger auch auf Kommunikationsprobleme zwischen Theologen und Laien ein, Schirmers Beitrag ist wichtig durch die Analyse der Verhältnisse in Kursachsen. Mit Dänemark gerät dann aus heutiger Sicht das europäische Ausland in den Blick, wobei insbesondere die Abhängigkeit von Schleswig und Holstein von der dänischen Krone sowie die besondere Eigenständigkeit der Ritterschaft etwa in der Gerichtsbarkeit von Mikkel Jeth Jespersen beschrieben werden. Maciej Ptaszyński befasst sich mit dem polnischen Adel und der Warschauer Konföderation, die besonders in der Zeit eines Interregnums von den Ständen als Wahlkapitulation aufgefasst wurde. Die erreichte religiöse Toleranz inklusive einer Ausbreitung der Reformation wurde zum Teil wieder zurückgedrängt. Die Übernahme der Regierung durch den Franzosen Heinrich von Valois war auch begleitet durch das Verlangen der polnischen Stände nach Verbesserung der Lage der Hu­genotten in Frankreich. Die schwierige Situation der Übernahme der Reformation in Böhmen und Mähren angesichts der Vorgeschichte, des Nebeneinander von Utraquisten und Böhmischen Brüdern sowie Katholiken, das Täufertum in Mähren sind die Themen des Aufsatzes von Václav Bůžek. András Korányi und Arndt Schreiber widmen sich den Verhältnissen von Adel und Reforma-tion in Ungarn – wobei Siebenbürgen aus reformationsgeschicht-licher Sicht besonders interessant ist – und in den habsburgischen Erbterritorien. Hier spielt die weitere dem 16. Jh. folgende Entwicklung, besonders im Dreißigjährigen Krieg, eine Rolle. Schließlich bilden Darstellungen des konfliktreichen und teilweise ge­waltsam ausgetragenen Verhältnisses von Ortsadel und Landesherrschaft und den Waldensern im westlichen Alpenbogen, im Luberon und in Kalabrien im 15. und 16. Jh. durch Lothar Vogel sowie der englischsprachige Aufsatz von Philip Benedict über die Situation in Frankreich den Abschluss eines Bandes, der einen wichtigen Beitrag zu einem in der reformationsgeschichtlichen Forschung lange vernachlässigten Gebiet leistet.