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Ausgabe:

November/2019

Spalte:

1151–1153

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Keener, Craig S.

Titel/Untertitel:

Galatians

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2018. 366 S. = New Cambridge Bible Commentary. Kart. £ 24,99. ISBN 978-1-108-44557-3.

Rezensent:

Felix John

Nach Kommentaren zu Mt, Joh, Act (vierbändig), 1/2Kor, Röm und Apk legt der am methodistischen Asbury Theological Seminary in Kentucky lehrende Craig S. Keener nun gleichzeitig zwei Auslegungen des Gal vor: einen eigenständigen, im Verlag Baker Aca-demic erschienenen Kommentar sowie – als rund halb so umfangreiche Ausgabe – die hier anzuzeigende Veröffentlichung innerhalb des NCBiC. Letzterer richtet sich an eine intellektuell interessierte, nicht auf Fachexegeten beschränkte Leserschaft und verspricht ihr eine wissenschaftlich aktuelle (das gelingt K.), aber Fachjargon-freie Auslegung. Letzteres kann freilich nicht ganz durchgehalten werden; nicht völlig unvorbereiteten Lesern wird aber ein durch aus gut lesbarer Kommentar präsentiert. Griechischkenntnisse werden nicht zwingend vorausgesetzt, unterschiedliche Übersetzungs- und Interpretationsmöglichkeiten einzelner Wörter oder Formulierungen aber diskutiert. Exkursartige Vertiefungsangebote unter der Überschrift »A closer look: …« lenken den Blick auf manch oft Vernachlässigtes, erweisen sich aber nur dann als hilfreich, wenn sie nicht allzu knapp ausfallen und eher Fußnotencharakter besitzen (so z. B. 68 f. zum Motiv Freiheit/Sklaverei). In die fortlaufende Kommentierung eingeschaltete hermeneutische Re­flexionen fragen beispielsweise, ob Paulus gegenüber dem von seinen in Galatien tätigen Konkurrenten Propagierten sich nicht hätte gelassener verhalten können (71 f.): Nein, ihr ethnisch orientiertes Programm wäre in der Missionspraxis auf eine Verdunkelung des Evangeliums hinausgelaufen. Unter der Zwischenüberschrift »Bridging the horizons« kommen gelegentlich auch gegenwärtige Rezeptionshorizonte in den Blick. Der durch die Trump-Wahl eingetretenen, die US-Christen erfassenden gesellschaftlichen Polarisierung etwa stellt K. Gal 2,14–21 als einen Text gegenüber, der als Aufruf zur Einheit im Evangelium gelesen werden kann (96 f.). Eine Auswahlliste einschlägiger Literatur bietet schließlich Anhaltspunkte für die eigenständige Weiterarbeit am Text (28–34).
Was die Einleitungsfragen betrifft, so votiert der Kommentar in der Frage der Lokalisierung der Adressaten für Südgalatien und stützt sich dabei auf das kulturelle Gefälle zwischen Südgalatien und den Keltenterritorien einerseits und andererseits auf die Annahme der Authentizität des in Act 13 f. Berichteten (12). Datiert wird die Abfassung des Briefes nach dem Aposteltreffen in Jerusalem (Gal 2,1–10/Act 15) und vor der Einsammlung der in 1Kor 16,1–3; Röm 15,26 f. genannten Kollekte, mithin die frühen 50er Jahre (7). Gal 2,10 rede folglich erst von der grundsätzlichen Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung Bedürftiger (78). Bei der literarischen Einordnung des Zirkularschreibens helfe die antike Handbuchrhetorik nur bedingt weiter. Primär sei der Gal als antiker Brief zu verstehen, der jedoch darüber hinaus in manchen Passagen Tendenzen etwa zu Formen moralphilosophischer Traktate aufweise (24 f.).
Die Auslegung durchziehende rote Fäden sind zum einen die Bemühung, hinsichtlich jeweils erwähnter Geschehnisse die Übereinstimmung zwischen Gal und Act – für K. das Werk eines Paulusbegleiters (2) – zu demonstrieren. Zum anderen werden Spannungen innerhalb des Frühen Christentums – etwa zwischen Paulus und seinen Jerusalemer Kritikern (12–21) – zwar keineswegs verschwiegen, aber, zumal wenn sie Hauptrepräsentanten betreffen, tendenziell relativiert. So hält K. zwar naheliegenderweise das in Gal 2,1–10 und das in Act 15 Erzählte für dasselbe Geschehen (65). Sachliche Unterschiede zwischen beiden Versionen bestünden aber f aktisch nicht. So habe Paulus das in Jerusalem verabschiedete Aposteldekret mitgetragen und als so selbstverständlich angesehen, dass er es in Gal 2 nicht eigens erwähnen zu müssen glaubte (80; vgl. aber Gal 2,6.10). Die einmütig geschlossene Jerusalemer Vereinbarung habe sich als tragfähige Basis für die weitere Mission bewährt. Auch der Antiochenische Streit mit Petrus (Gal 2,11–21) sei leicht wieder beizulegen gewesen, übrigens im Sinne des Paulus (84), so dass Antiochia weiterhin seine Anlaufstelle geblieben sei, was für K. freilich zum in Act 18,22 dokumentierten Besuch passt.
Paulus’ Auseinandersetzung mit dem galatischen Problem re­konstruiert der Kommentar vergleichsweise traditionell und mit der Bemühung um eine Einordnung des Gal innerhalb der erhaltenen Paulusbriefe sowie um Sensibilität angesichts des jüdisch-christlichen Gesprächs. Paulus habe zwar nie sein Jude-Sein abgelegt (50; Ioudaismos in Gal 1,13 bezeichne sein früheres ›nationalistisches‹ Eifern), sei aber als Heidenapostel leidenschaftlich für das Zurücktreten ethnischer Distinktionsmarker innerhalb des Christusglaubens eingetreten (72). In Gal 2,16 gehe es um den Glauben an Chris­tus (103–106). Er stehe bei Paulus im Gegensatz zu den Gesetzeswerken, womit prinzipiell der gesamte jüdische Nomos gemeint sei, wenngleich die Identitätsmarker Beschneidung, Speisegebote und Feiertagsobservanz (in diesem Sinne Gal 4,10 [195 f.]) in der Abfassungssituation von Bedeutung gewesen seien (108). Exegese betreibe Gal 3,6–9 als Reaktion auf die Argumente der in Galatien aufgetretenen Beschneidungsprediger (126). Gal 3,10 schockiere bewusst mit der Fluchkonstatierung der glaubenslosen Gesetzesobservanz. Vorausgesetzt werde die faktische Nicht-Erfüllung des Gesetzes durch Israel; ein aus der alttestamentlich-frühjüdischen Literatur bekannter Topos (130–134). Insgesamt halte Paulus die Tora für eine gute Gabe Gottes, deren Gebote aber nie vollständig befolgt worden seien. Rechtfertigung sei nie ihre Funktion gewesen; sie ende mit bzw. ziele ab auf Christus. Nach Christus könnten die Gebote von Juden weiter gehalten, nicht aber geborenen Heiden auferlegt werden (149 f.). Der Sache nach enthalte bereits der 1Thess die Glaubensrechtfertigung (100); der bei K. zeitlich etwas weiter als oft üblich vom Gal abgerückte Röm korrigiere in gewisser Weise die polemischen Spitzen des Gal (1 f.27). Als solche Spitze sei auch der Ausdruck »Israel Gottes« in Gal 6,16 zu verstehen, der dennoch nicht auf die Ablösung des Gottesvolkes Israel durch die Christen ziele, sondern das eine endzeitliche Gottesvolk im Auge habe (291). Mit Gal 5,13–6,10 de­monstriere Paulus, dass seine Verkündigung nicht in die ethische Orientierungslosigkeit führe (22).
Alttestamentlich-frühjüdische Interpretationskontexte finden vielfach Berücksichtigung innerhalb der Kommentierung. Die als sicher dargestellte Herleitung der frühchristlichen Taufe aus einem zeitgenössischen jüdischen Proselytentauchbad (163-165) dürfte allerdings kaum unwidersprochen bleiben. Griechisch-römische bzw. spezifisch kleinasiatische Kontexte werden gelegentlich aufgerufen, vermutlich nicht zuletzt aus Platzgründen aber oft sehr knapp, so dass die Bemerkungen eher verwirrend wirken dürften (z. B. zu kleinasiatischen Kulten [39.241 f.]). Der Kommentar führt den Dialog hauptsächlich mit der aktuellen englischsprachigen Gal-Exegese. Neuere kultur- und sozialgeschichtliche Zugänge finden ebenso Berücksichtigung (etwa zum sympotischen Kontext von Gal 2,11–14 [91]) wie die Auslegungstraditionen der Kirchenväter und der Reformationszeit. Untereinander konkurrierende Verständnismöglichkeiten werden an zahlreichen Stellen aufgezeigt und diskutiert, so dass der interessierte Leser sich mit ihnen auch eigenständig auseinandersetzen kann. Auf relativ kleinem Raum gelingt K. so eine solide Bearbeitung, die weder durch ihren Um­fang oder ihre inhaltlichen Voraussetzungen die Lektüre beschwert noch die einschlägigen Probleme übergeht.