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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1065–1066

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Thull, Philipp

Titel/Untertitel:

»Zeichen der Gemeinschaft und der Einheit der Kirche in Christus«. Der theologische und kirchenrechtliche Ort der Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen.

Verlag:

St. Ottilien: Eos Verlag Sankt Ottilien 2017. 352 S. = Münchener theologische Studien, III: Kanonistische Abtl., 72. Geb. EUR 39,95. ISBN 978-3-8306-7856-4.

Rezensent:

Martin Bräuer

Für den Protestanten sind die sogenannten »Neuen geistlichen Ge­meinschaften und Kirchlichen Bewegungen« ein schier unüberschaubares Feld. Auch wenn es bei den Frömmigkeitsstilen durchaus Überschneidungen mit protestantischen Frömmigkeitsstilen vor allem aus dem Charismatischen und Evangelikalen gibt, so fallen viele dieser Gemeinschaften durch eine ausgeprägte katho-lische Frömmigkeit wie eucharistische Anbetung oder intensive Marienverehrung auf. Historisch betrachtet sind die »Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen« der katholischen Kirche ein relativ junges Phänomen, dessen Ursprünge vor allem im romanischen Sprachgebiet (z. B. Frankreich, Italien, Spanien) zu finden sind. Bei aller Unübersichtlichkeit – auch für den Katholiken – fallen doch gemeinsame Grundelemente auf wie z. B. deren Gründung und Leitung durch starke Gründerpersönlichkeiten wie z. B. Chiara Lupich von der Fokolarbewegung oder Kiko Arcuello von dem Neokatechumenat. Und immer wieder wird aber auch von Problemen mit der verfassten katholischen Kirche auf der Ebene der Pfarreien und Bistümer berichtet, die immer dann zu entstehen scheinen, wenn diese Gemeinschaften ein Eigenleben führen, das sich nicht in den Alltag der Pfarreien oder Diözesen integrieren lässt.
Philipp Thull versucht in seiner an der Katholisch-Theolo-gischen Fakultät Trier eingereichten Dissertationsschrift eine Zu­sam­menschau der »Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen« in theologischer wie kirchenrechtlicher Hinsicht und er schließt mit seiner Synthese, die es so bisher nicht gab, eine Lücke in der Literatur. Diese Aufgabenstellung gliedert sein Buch in mehrere Teile
In einem ersten Teil führt T. in Phänomene und Begriffe der Neuen Geistlichen Gemeinschaften (Kapitel 1) ein, ein weiteres Kapitel (Kapitel 2) trägt die Überschrift »Das 19. Jahrhundert zwischen ekklesiologischem ›Christomonismus‹ und ›Pneumatomismus‹«, um schließlich den »Ekklesiologischen Neuaufbruch und Selbstbewusstsein der Laien« (Kapitel 3), wo das Interesse an den Charismen wächst, als einen der Gründe für die Entstehung der Neuen Geistlichen Bewegungen zu benennen. Schließlich wird im 4. Kapitel des ersten Teils konstatiert, dass mit dem II. Vatikanum ein pneumatologischer Aufbruch geschah, welcher den frucht-baren Boden für die weitere Entwicklung und die Entstehung vieler Neuer Geistlicher Gemeinschaften bereitete. Den ersten Teil schließt ein Überblick über die Lehraussagen der letzten Päpste von Paul VI. (Kapitel 5) über Johannes Paul II., in dessen Pontifikat die Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen eine besondere Wertschätzung und Förderung erfuhren, bis hin zu Papst Franziskus.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit kirchenrechtlichen Fragen, welche die Neuen Geistlichen Bewegungen aufwerfen. »Das Problem einer kirchenrechtlichen Verortung der Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen« im 1. Kapitel skizziert dieses Problem zunächst allgemein und geht in den folgenden Kapiteln auf einzelne Fragen ein, die damit zusammenhängen. T. geht zunächst sehr grundsätzlich auf die Aussagen des CIC über die »Gläubigen als Hauptsubjekte in den Bestimmungen über das Volk Gottes« ein (Kapitel 2). Daraus folgt dann, dass die »Gläubigen als Träger von Pflichten und Rechten« zu beschreiben sind (Kapitel 3). Diese »Grundrechte und -pflichten aller Gläubigen« werden dann in ihren verschiedenen Aspekten dargestellt (Kapitel 3.1), um schließlich die besonderen Rechte und Pflichten der Kleriker und der Laien darzustellen (Kapitel 3.2) – auch hier in Einzelfragen ge­gliedert.
»Die Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen als freie Zusammenschlüsse von Gläubigen« – so ist ein weiteres Kapitel überschrieben (Kapitel 4). In diesem Kapitel wird die für nicht-katholische Christen interessante Frage behandelt, wie nicht-katholische Christen als Mitglieder in diesen Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen kirchenrechtlich zu behandeln sind. Hier wird unterschieden zwischen kanonischen Vereinen und freien Zusammenschlüssen von Gläubigen. In kanonischen Vereinen – solchen also, die dem kirchenrechtlich-kanonischen Vereinsrecht unterliegen – können nur Katholiken Mitglied sein, aber keine Nicht-Katholiken. Letzteren steht die Mitgliedschaft in freien Zusammenschlüssen von Gläubigen jedoch offen, wenn es deren Satzung zulässt. T. weist aber darauf hin, dass der CIC von 1983 eher dazu neigt, keine Nicht-Katholiken zuzulassen, ja, dass sich diese Tendenz in der Entstehungsphase des CIC verstärkt habe. Ein weiterer Grund sei, dass die Eucharistiefeier, welche die kirchliche Mitte darstelle, volle Kirchengemeinschaft voraussetze. Nicht-katholischen Christen könne aber ein Gaststatus verliehen werden, wenn der katholische Charakter gewahrt bleibe, die Zusammenarbeit sei aber zu empfehlen und zu fördern.
Weitere Fragen, die T. in diesem Kapitel behandelt, betreffen die Mitwirkung der kirchlichen Autoritäten sowie vermögensrechtliche Aspekte. In einem 5. Kapitel werden die »Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen als neue Rechtsform« behandelt. Hier rät T., stärker den Canon 605 CIC aufzugreifen, um diesen Gemeinschaften eine geeignete ordensrechtliche Struktur anzubieten. Das 6. Kapitel bearbeitet »das Verhältnis der Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Kirchlichen Bewegungen zur zuständigen kirchlichen Autorität«. Hier verweist T. auf die Zuständigkeit der römischen Behörden für die geistlichen Gemeinschaften, so ist z. B. an der römischen Kurie das neue Dikasterium für die Laien, die Familien und das Leben, in das der früher zuständige Päpstliche Rat für die Laien aufging, verantwortlich, für Detailfragen wie z. B. die Inkardination der Kleriker aus diesen Ge­meinschaften seien die Ordens- bzw. Kleruskongregation zuständig. Weiter wird das Verhältnis zum Diözesanbischof und zur Pfarrei problematisiert.
Im dritten Teil werden von T. übersichtsartig die Charisma-tische Erneuerung, die Gemeinschaft Christlichen Lebens und die Legio Mariae skizziert, die zu den etablierten Gemeinschaften ge­hören. Man hätte sich auch vorstellen können, dass andere Ge­meinschaften wie z. B. das Neo-Katechumenat, die Focolar-Bewegung und andere Movimenti dargestellt werden. Gerade das Neo-Katechumenat hat einige Entwicklungsstufen durchlaufen, die konfliktiv gewesen sind.
Abschließend fasst T. das Resultat seiner Forschungen in neun Punkten zusammen. Mit dieser Arbeit hat er sich eines innerkatholisch virulenten Themas mit ökumenischer Relevanz angenommen.