Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1063–1064

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Raedel, Christoph

Titel/Untertitel:

Aus Gottes Gnade leben und die Welt gestalten. Beiträge zur methodistischen Theologie.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2018. 412 S. = Reutlinger Theologische Studien, 10. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-8469-0304-9.

Rezensent:

Uwe Swarat

Der methodistische Theologie Christoph Raedel, der Systematische Theologie und Theologiegeschichte an der Freien Theologischen Hochschule Gießen lehrt, legt mit diesem Buch eine Sammlung von 14 Aufsätzen zur methodistischen Theologie aus seiner Feder vor, davon zwei bisher noch nicht veröffentlichte. Der Titel, den er für das Buch gewählt hat, benennt die zwei Schwerpunkte, die seiner Erkenntnis nach für methodistisches Denken und Handeln wesentlich sind, nämlich das Leben als Christ und die Weltgestal tung, beides getragen von der Gnade Gottes. Ermöglicht wird diese Verbindung von Frömmigkeit und Weltgestaltung laut R. dadurch, dass Methodisten die Gnade Gottes nicht nur als Gunst, sondern auch als Gabe an den Menschen verstehen und somit nicht nur die Rechtfertigung des Menschen, sondern auch seine Heiligung wichtig nehmen. Dass R. nicht zu der sowohl in Gesellschaft und Politik als auch in Kirche und Theologie immer beliebter werdenden Redeweise von einer »Transformation« der Gesellschaft greift, sondern schlicht von »Gestaltung« spricht, ist dem Rezensenten positiv aufgefallen. Ob es ein bloßer Zufall oder Absicht ist, wird R. vielleicht in späteren Veröffentlichungen klären.
Die in diesem Band versammelten Einzelstudien bieten ein Kaleidoskop von Themen und Thesen methodistischer Theologie, allesamt eng mit der Gemeindepraxis verknüpft. Spukphänomene im Pfarrhaus der Wesleys und deren divergente Interpretationen werden ebenso untersucht wie das Bibelverständnis von John Wesley, Impulse aus Wesleys Theologie für die Kirche im Zeitalter der Globalisierung, das Verhältnis von Offenbarung und Vernunft im deutsch-amerikanischen Methodismus des 19. Jh.s, der Status ge­ taufter Kinder im Methodismus (dass eine Freiwilligkeitskirche Säuglinge tauft, hält R. für ekklesiologisch nicht begründbar), das Abendmahl als Gnadenmittel der Christus-Nachfolge, die Erwartung einer verbindlichen Kirchengliedschaft und der Umgang mit sogenannten Randsiedlern oder das methodistische Verständnis des Begriffs »evangelikal«.
Zwei Aufsätze befassen sich mit dem Verhältnis des Methodismus zur Pfingstbewegung. Das theologische Einheitsmoment der Pfingstbewegung sieht R. nicht in der Pneumatologie, sondern in dem »vierfältigen Evangelium« von Jesus Christus als Erlöser, Heiler, Geisttäufer und wiederkommender König. Die Wurzeln der Pfingstbewegung reichen für ihn zurück bis zu John Wesleys Heiligungsverständnis und John Fletchers Lehre von der Geisttaufe als zweitem Gnadenwerk nach der Wiedergeburt. Fletcher war ein enger Mitarbeiter von Wesley. Da die Erwartung eines noch machtvolleren Geis-teswirkens zu den methodistischen Grundüberzeugungen gehöre, sollte der Methodismus laut R. offen sein für Menschen, die sich »von Gott in ›pfingstlerischer‹ Weise begaben lassen« (277).
Im Beitrag über die spekulative Eschatologie im deutschsprachigen Methodismus von 1835 bis 1914, den der Rezensent mit besonderem Gewinn gelesen hat, skizziert R. die konkurrierenden Chiliasmus-Konzeptionen von Postmilleniarismus, Prämilleniarismus und Dispensationalismus. In einem anderen Beitrag schildert er Spannungsverhältnisse zwischen Leitungsdienst, Theologie und Gemeinde in Freikirchen und interpretiert sie als Ausdruck des Wandlungsprozesses von einer gegenüber der Umwelt oppositionellen zu einer gesellschaftlich anerkannten Religionsgemeinschaft. Den Weg der Methodisten vom Patriotismus zum Pazifismus begrüßt er, vermisst bisher nur eine ausreichende biblische Begründung dafür. Dass die Konkurrenz zwischen evangelischen Landeskirchen und Freikirchen auf dem Religionsmarkt »das Geschäft belebe«, erklärt R. für zutreffend, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Landeskirchen ihre noch bestehenden Machtpositionen aufgeben und einen fairen Wettbewerb zulassen.
Der deutschsprachige Methodismus der Gegenwart hat einige hervorragende Theologen in seinen Reihen, und einen von ihnen lernen wir durch dieses Buch näher kennen. R. erweist sich darin als ausgezeichneter Kenner der neuzeitlichen Theologiegeschichte insgesamt, als geübt in religionssoziologischen Zugängen zur Wirklichkeit und als systematischer Theologe mit differenzierender Ur­teilskraft. Nicht nur Methodisten werden das Buch mit großem Gewinn lesen, sondern auch Angehörige anderer Konfessionen, die mit geschwisterlicher Anteilnahme danach schauen, was in dieser bedeutenden evangelischen Freikirche gedacht und gelebt wurde und wird.