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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1058–1060

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Steinhäuser, Martin, u. Rune Øystese [Eds./Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Godly Play – European Perspectives on Practice and Research/Gott im Spiel – Europäische Perspektiven auf Praxis und Forschung.

Verlag:

Münster u. a.: Waxmann 2018. 416 S. m. Abb. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-8309-3630-5.

Rezensent:

Stefanie Lorenzen

Der 416 Seiten starke Sammelband beschäftigt sich – angeregt durch eine internationale Forschungskonsultation 2016 in Riga – mit der Praxis von und Forschung zu Godly Play im europäischen Kontext. Der zweisprachige Titel ist Programm: Die Beiträge auf Deutsch und Englisch sind in der jeweils anderen Sprache durch Abstracts zugänglich, Einleitungen und Ausblick wurden vollständig ins Englische bzw. Deutsche übertragen.
Die Herausgeber heben den Pioniercharakter des Werkes hervor, das erstmals systematisch nach der Entwicklung von Godly Play in Europa fragt. Die Heterogenität der versammelten Beiträge ist insofern nicht als Defizit zu werten, sondern vermittelt einen realistischen Eindruck über den derzeitigen Stand von Theorie und Praxis. Zentraler Bezugspunkt ist dabei die Frage, wie sich das von dem US-Amerikaner Jerome Berryman seit den 60er Jahren entwi-ckelte Konzept des Godly Play in verschiedene europäische Kontexte übertragen lässt. Erwartungsgemäß kommen dabei die religiös-kulturellen Besonderheiten der einzelnen Länder in den Blick, daneben aber geht es um die Adaption von Godly Play in Bezug auf unterschiedliche Lebensphasen (z. B. Jugendliche und alte Menschen), diverse Lernorte (neben der Gemeinde z. B. die Schule) oder hinsichtlich bestimmter Lernvoraussetzungen (z. B. Menschen mit besonderen Beeinträchtigungen).
Die beiden Einleitungskapitel sind hilfreich, um die Konzeption des Bandes zu verstehen, gezielt nach den jeweiligen Interessensschwerpunkten zu suchen (Rune Øystese) und sodann einen ersten instruktiven, systematisierenden Überblick über das Forschungsgebiet zu erhalten (Martin Steinhäuser). Die Länderberichte (Teil A) ermöglichen eine schnelle Orientierung zum Stand der Godly-Play-Implementierung in verschiedenen Regionen Europas sowie einen Blick auf den globalen Kontext (Andrew Sheldon). Dabei fällt auf, dass Godly Play bislang in den südeuropäischen Ländern (mit Ausnahme Spaniens) noch keine starke Resonanz gefunden hat. Im Länder-Vergleich kommen Strategien und Herausforderungen bei der Etablierung von Godly Play zum Vorschein (Peter Privett): Meist gehen erste Impulse von begeisterten Einzelpersonen aus, die die weitere Verbreitung über die ihnen verfügbaren institutionellen Netzwerke vorantreiben. Das können – wie zum Beispiel in Belarus oder Tschechien – einzelne Gemeinden sein, staatlich unterstützte volkskirchliche Organisationsformen wie in Norwegen oder eine Verbindung aus akademischen und landeskirchlichen Strukturen wie in Deutschland: In jedem Fall tragen diese Voraussetzungen zu den charakteristischen Ausprägungen von Godly Play in Europa bei. Neben solch formal-organisatorischen Fragen stellt die Übersetzung der Godly-Play-Erzählungen eine der wichtigsten Herausforderungen für die Verantwortlichen dar, denn ohne Übertragung in die jeweiligen Landessprachen ist die Arbeit mit Berrymans Texten nicht möglich.
Der theoretisch-methodologische Grundlagenteil (B) startet mit einer Retrospektive zur Entwicklung von Godly Play als Forschungsgegenstand aus der Feder von Jerome Berryman. Da die »Integrität« von Godly Play für die Beurteilung der unterschiedlichen Adaptionen eine immer wieder genannte Messlatte darstellt, kommt dieser Bestimmung eine wichtige Funktion zu. Vor allem aus deutscher Perspektive sind die Verbindungen zwischen Godly Play und dem Ansatz der Kindertheologie von Interesse, die in wechselseitig-kritischer Beleuchtung unter anderem von Friedrich Schweitzer und Petra Freudenberger-Lötz vorgetragen werden. Deutlich wird hier unter anderem, dass die Phase des »Wondering« bzw. des »Ergründens« eine mögliche Brücke zwischen beiden Konzepten darstellt: Für Godly Play ergeben sich dabei Impulse aus der kognitiv-reflexiven Orientierung der Kindertheologie, während diese von den spirituell-kreativen Momenten des Godly Play profitieren könnte.
Mit Hilfe des Begriffs der Imagination gelingt es Martin Steinhäuser, eine Kerndimension der Godly-Play-Erfahrung konzep-tuell zu verorten und dabei zugleich eine bisher wenig beachtete Dimension religiösen Lernens zu beleuchten. Ähnlich grundlegend sind die Überlegungen Rune Øysteses zum Erzählen biblischer Geschichten: Hier steht die Frage im Mittelpunkt, wie das verwandelnde und widerständige Potential dieser Tradition im Erzählvorgang zur Entfaltung gebracht werden kann.
Dominic Black arbeitet durch einen konzeptionellen Vergleich zwischen der von Sofia Cavaletti entwickelten »Katechese des Guten Hirten« und Godly Play die theologischen Prämissen der beiden Ansätze heraus. Ein solches Bewusstsein für die Verwurzelung von Godly Play in einer spezifischen Form protestantischer Theologie ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn es um Adaptionen in Kontexten anderer religiöser Prägung geht. In methodologischer Hinsicht sind die Überlegungen Mirjam Zimmermanns zu ethischen Standards in der Forschung mit Kindern hervorzuheben: Auch hier bietet das Forschungsfeld Impulse, die über den begrenzten Bereich von Godly Play hinausgehen.
Die empirischen Forschungsprojekte, die im dritten Teil (C) exemplarisch dargestellt werden, sind überwiegend qualitativ ausgerichtet, was der prozesshaften und komplexen Natur des Forschungsgegenstandes entspricht. Die Herausgeber konstatieren selbst, dass die empirische Forschung zu Godly Play bislang notgedrungen von Berrymans idealtypisch formulierten Forderungen – zum Beispiel im Blick auf Langfristigkeit – abweicht. Die präsentierten Studien sind daher vor allem interessant, weil sie mögliche empirische Designs für andere Forschungsinteressierte zugänglich machen und dabei gleichzeitig Einblicke in unterschiedlichste Anwendungsfelder von Godly Play geben. Fokussiert wird z. B. der Einsatz von Godly Play am Lernort Schule, sei es in Bezug auf die damit einhergehende spirituelle Dimension von Bildung ( Cora O’Farrell) oder die besonderen Bedingungen der Sekundarstufe II (Annemie Dillen/Jeroen Hendrickx). Der Beitrag von Wolfhard Schweiker und Elke Theurer-Vogt beleuchtet Godly Play in inklusiven Kontexten, Ryan Campbell und Cheryl V. Minor geben ein Beispiel für die Arbeit mit psychisch kranken Jugendlichen.
Die Berichte des vierten Teils (D: Stories from diverse Godly Play Practices) unterscheiden sich von den vorhergehenden Studien vor allem durch ihren geringeren wissenschaftlichen Anspruch und eine stärker anwendungsorientierte Perspektive. Auch hier erweisen sich diejenigen Beiträge als besonders instruktiv, die spezielle Anwendungsfelder von Godly Play in den Blick nehmen: die Arbeit mit älteren Menschen (Katryn Lord), die Etablierung von Godly Play als Teil einer Schulkultur (Jeanny Wang) sowie die Erfahrungen in der Arbeit mit besonders förderbedürftigen Kindern (Nicola Best).
Der Ausblick der beiden Herausgeber (Teil E) zu weiteren Forschungsperspektiven bündelt und systematisiert zunächst mögliche Forschungsfragen, um dann den Ansatz der Action Research durch die im Feld selbst tätigen Akteure als vielversprechende em­pirische Perspektive hervorzuheben.
Zuletzt sollen noch zwei Besonderheiten des anregenden Bu­ches zur Sprache gebracht werden: zum einen die persönliche Begeisterung, die in vielen Beiträgen mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gebracht wird; zum anderen das (damit zusammenhängende) Gefühl der länderübergreifenden Verbundenheit. Beides kann aus wissenschaftlicher Perspektive manchmal Skepsis hervorrufen – gleichzeitig aber bewirkt diese Tonlage genau das, was die Herausgeber intendieren: »eigenes Forschungsinteresse« zu Godly Play zu »stimulieren« (27).