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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1046–1047

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kutschera, Franz von

Titel/Untertitel:

Der Weg der westlichen Philosophie.

Verlag:

Paderborn: Mentis Verlag 2019. 543 S. Geb. EUR 69,00. ISBN 978-3-95743-141-7.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Franz von Kutschera ist einer der führenden Vertreter der analytischen Gegenwartsphilosophie im deutschen Sprachraum. Seine 1991 erschienene Monographie »Vernunft und Glaube« gehört ebenso zu den lesenswerten Werken der neueren deutschsprachigen Religionsphilosophie wie seine Arbeiten »Die großen Fragen« (2000), »Was vom Christentum bleibt« (2008) und »Ungegenständliches Erkennen« (2012). Das kann man von seinem jüngsten Werk, in dem er die Geschichte der westlichen Philosophie als »Geschichte philosophischer Erkenntnis« (11) beschreibt, nicht sagen. Zu oberflächlich sind die Darstellung, zu selektiv die Problemwahrnehmung und zu einseitig die Urteile. Am ehesten können noch der Anfang und das Ende des Buches überzeugen. Philosophie ist für den Vf. keine Wissenschaft, sondern Grundlagenforschung (13 f.). Zu ihren zentralen Aufgaben gehört es, »eine kohärente Sicht der Gesamtwirklichkeit« vorzulegen (16), die sich nicht in den Spezialfragen der Einzelwissenschaft erschöpft. Darüber hinaus ist ihre »wichtigste Aufgabe«, »eine Antwort auf die Frage zu finden, worin ein gutes, erfülltes Leben besteht« (17). Am Leitfaden dieser theoretischen und ethischen Fragestellung bietet der Vf. einen Durchgang durch die westliche Philosophiegeschichte, der sich weniger auf Probleme als vielmehr auf »das Entstehen von Einsichten« (11) im Übergang vom »mythischen zum mündigen Denken« (18–29) konzentriert.
Der Stoff wird klassisch eingeteilt: Nach einem einleitenden ersten Kapitel kommen die Vorsokratiker zur Sprache (Kapitel 2), dann die klassische antike Philosophie (Kapitel 3), die Stoa (Kapitel 4), der Neuplatonismus und das Ende der antiken Philosophie (Kapitel 5) und die Philosophie in Mittelalter und Renaissance (Kapitel 6). Die klassische Philosophie (Kapitel 7) beginnt auch für den Vf. mit Descartes und geht bis zu Kant, danach folgen der Deutsche Idealismus (Kapitel 8) und die Philosophie im 19. und 20. Jh. (Kapitel 9). Während die ersten Kapitel einigermaßen solide über zentrale Themen der antiken Philosophie informieren, sind die Kapitel vom Neuplatonismus bis zur Renaissance eher skizzenhaft. Zwar sieht der Vf. im Mittelalter und der Renaissance einige originäre Ansätze zur Logik, Semiotik, Modallogik und Zeitlogik. Aber i m Wesentlichen gilt, was er von Nikolaus von Cues schreibt: Er war »ein philosophischer Amateur, ein Hobby-Philosoph, der schon aufgrund seiner sonstigen Tätigkeiten keine ernsthafte Ar­beit leisten konnte« (254). Erst »mit der Emanzipation der Philosophie von der Theologie«, und damit in der Neuzeit, beginnt für den Vf. »ernsthafte Philosophie« (11).
Auch über Descartes und die Folgen wird man nur äußerst knapp informiert (267–277). Ausführlicher und differenzierter werden die Ausführungen erst in den Darlegungen über Leibniz (277–288), den Weg zum Idealismus und Kant (288–380). Die Suche des Deutschen Idealismus nach der »Einheit von Sein und Bewusstsein« sieht der Vf. allerdings durchweg gescheitert (424–432), weil sich die angestrebten »überintentionalen Erfahrungen« nicht be­schreiben lassen, sondern »Grenzerfahrungen« sind, »die man nicht willkürlich gewinnen kann« (425). Fichte, Hegel und Schelling hätten versucht, »über eine Wirklichkeit ganz neuer Art mit dem alten philosophischen Vokabular zu reden« (426). Das sei völlig fehlgeschlagen. Hegel sei eben »ein Mann großer Intuitionen« gewesen, »aber einer ebenso geringen logischen und analytischen Kompetenz wie Fichte« (404). Bis heute werde der Idealismus daher »von denen radikal abgelehnt, die sich an seiner begrifflichen und logischen Inkompetenz stoßen und darüber seine Ziele verkennen, während er von Leuten gepriesen wird, welche seine Ziele ahnen, und auf genaue begriffliche Bestimmungen und Argumente keinen Wert legen« (432).
Dieser bedauernswerte Zustand der Philosophie hat sich dem Vf. zufolge erst im 19. und 20. Jh. gebessert, vor allem in der Logik und Philosophie der Mathematik (455–477), der Philosophie der Sprache (477–490), der Ethik (490–508) und der Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie (508–530). In diesem Kapitel kommen Themen zur Sprache, bei denen sich der Vf. auskennt. Aber vieles, was im 19. und 20. Jh. philosophisch wichtig war, wird überhaupt nicht erwähnt – Heidegger spielt ebenso wenig eine Rolle wie Bloch, Adorno, Gadamer oder Habermas, die Hermeneutik, der dialektische Materialismus, die Prozessphilosophie, der amerikanische Pragmatismus oder die französische, italienische, spanische oder osteuropäische Philosophie dieser Zeit. Der Vf. notiert zu Recht, »dass den meisten Philosophen das Nachdenken über Eigenart und Struktur des Geistigen schwerer fällt als das Nachdenken über die Natur« (529). Seine Unterscheidung zwischen intentionalem, vorintentionalem und überintentionalem Bewusstsein könnte einen Einstieg in eine differenziertere Sicht dieser ungelösten Aufgaben einer Philosophie des Geistes sein. Aber darüber muss man sich an anderem Ort informieren. Das gilt für die meisten Themen dieses Buches: Wer sich über die Wege (!) der westlichen Philosophie kundig machen will, sollte zu anderen Werken greifen.