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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1014–1016

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schlange-Schöningen, Heinrich

Titel/Untertitel:

Hieronymus. Eine historische Biografie.

Verlag:

Darmstadt: Philipp von Zabern (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2018. 320 S. m. Abb. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-8053-5149-2.

Rezensent:

Ralph Hennings

Hieronymus ist in diesem Jahrhundert bereits mehrfach Gegenstand einer Lebensbeschreibung geworden. Stefan Rebenich legte 2002 eine kleine englische Biographie vor; Anne Bernet (2002) und Philippe Henne (2009) taten dasselbe im französischen Sprachraum. Auf Deutsch ist der Band von Alfons Fürst (2003) greifbar. Das ist aber keine Biographie im eigentlich Sinne, sondern eine »nach Sachbereichen geordnete Darstellung der Biographie und der wissenschaftlich-theologischen Leistung des Kirchenvaters« (Fürst, Hieronymus, 7).
Demgegenüber bietet Heinrich Schlange-Schöningen einen anderen Ansatz. Seine Biographie nimmt den Leser mit auf den verschlungenen Lebensweg des Hieronymus. Nach einem einleitenden Kapitel (dazu s. u. mehr) beschreibt der Vf. das Leben des Hieronymus von der Geburt bis zum Tod. Das geschieht in stupender Gelehrsamkeit und einem flüssig lesbaren Text.
Eine Besonderheit dieser Biographie ist, dass sie den Erzählfluss mehrfach zu Exkursen zur Rezeption bestimmter Episoden, Szenen oder Motive in der Kunst nutzt. Das mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, da man eine Darstellung der Rezeptionsgeschichte eher am Ende eines solchen Bandes erwartet, aber hier werden die Exkurse zum Nachleben so geschickt in den Gang der Biographie eingeflochten, dass die Lesenden nicht irritiert, sondern bereichert wieder in den Gang des Geschehens zurückkehren können. Diese Ausflüge in die Kunst sind entsprechend bebildert, leider nur in schwarz/weiß und auf normalem Papier. – Der Vf. trennt auch nicht »Leben« und »Werk« voneinander, sondern behandelt die Arbeiten des Hieronymus an der entsprechenden Stelle in seinem Lebenslauf, dadurch gewinnt die Darstellung ungemein an Geschlossenheit.
Eine Biographie lebt aber nicht von der Schilderung der gelehrten Arbeit in einem Kloster – obwohl auch das gut gelingt –, sondern von der Beschreibung der Lebensphasen, in denen »etwas passiert«. Kindheit, Jugend, Ausbildung und die ersten Karrierestationen sind lebendiger zu schildern als eine lange Schaffensperiode an einem Ort. Deshalb nimmt die Schilderung der frühen Jahre des Hieronymus zwei Drittel des Buches ein, bis Hieronymus endlich in Bethlehem ankommt, wo er die letzten 34 Jahre seines Lebens verbringt und die überwiegende Zahl seiner Schriften verfasst. Bevor Hieronymus bei dem Vf. zum Bethlehemiten wird, werden einige der unklaren Fragen zum Leben des Hieronymus diskutiert, so zum Beispiel die Frage seines Geburtsorts und des Geburtsjahres. Der Vf. entscheidet sich für eine Geburt in den Jahren 348 oder 349 (29) und für eine Lokalisierung von Stridon etwas weiter östlich, als Rajko Bratož das 1990 in der Zeitschrift Klio vorgeschlagen hatte. Die Beschreibung der Ausbildung des Hieronymus würzt der Vf. mit einem Exkurs zum Studentenleben in Rom. Der Zwiespalt zwischen paganer Literatur und dem christlichen Leben in seiner asketischen Ausrichtung wird jetzt zu einem wichtigen Thema des Lebens des Hieronymus. Diesen Zwiespalt hat der Vf. aber bereits vorgezogen und betrachtet ihn ganz am Anfang seines Buches (12–23). Er beginnt dort mit dem Thema Askese und leitet dann über zur Stellung des Hieronymus zur paganen Literatur. Mit diesem Kunstgriff gelingt ihm ein wunderbares Exordium.
Den Aufenthalt in Trier deutet der Vf. als Versuch von Hieronymus und seinem Freund Bonosus, in den Dienst des Kaisers zu treten, die von Pierre Courcelle entwickelte These einer »Bekehrung« in Trier lehnt er nach gründlicher Diskussion ab (61–66). Beim anschließenden Aufenthalt des Hieronymus im Umkreis von Aquileia stellt der Vf. vor allem die Begegnung mit Evagrius als bedeutungsvoll heraus. Er wird zum Patron des jungen Asketen. Der Vf. folgt der Beziehung zwischen Evagrius und Hieronymus als Brücke zwischen Ost und West. Es ist Evagrius, der Hieronymus den Aufenthalt auf seinem Landgut unweit von Antiochia ermöglicht. Von dort aus bricht Hieronymus zu seiner »Wüstenzeit« auf, deren Funktion der Vf. pointiert beschreibt: »Mit den zwei bis drei Jahren, die er in der Wüste von Chalkis zubrachte, war vor allem ein großer Gewinn an religiöser und moralischer Autorität verbunden, die Hieronymus später etwa den Zutritt zu den Häusern einflussreicher römischer Christinnen erleichterte.« (79) Zugleich nutzt Hieronymus diese Zeit zu eigenen Schriften und zur Weiterbildung in Griechisch und dem Beginn des Hebräisch-Studiums. Das Ende der Wüstenzeit ist durch die Flucht des Hieronymus vor den dogmatischen Auseinandersetzungen im Kontext der christologischen Kontroversen der 370er Jahre im Umkreis Antiochias gekennzeichnet. Das Ausweichen des Hieronymus in solchen zugespitzten Debatten beschreibt der Vf. als charakteristisch für das Verhalten des Hieronymus (250). Hieronymus wollte immer auf der Seite der Orthodoxie stehen, das führte in seinem Leben zu atemberaubenden Wendungen und zu Feindschaften mit alten Freunden.
Für die Phase, in der Hieronymus in Antiochia, in Konstantinopel und dann in Rom in den großen Metropolen des Reiches und damit in den Zentren der theologischen Debatten lebte, stellt der Vf. wiederum die Bedeutung der antiochenischen Patrone, Evagrius und Paulinus heraus. Bei der Schilderung der Zeit in Rom und der Beteiligung des Hieronymus an der Synode von 382 operiert der Vf. überwiegend mit Wahrscheinlichkeiten. Hier mag noch eine Diskussion um seine Darstellung entstehen (132–134). Über die Bedeutung der aristokratischen Frauen, allen voran Paula, für das weitere Leben des Hieronymus wird es hingegen keine Diskussion geben. Der Vf. beschreibt farbig, detailgenau und ohne missbilligende Untertöne, wie eine asketische Geistes- und Lebensgemeinschaft entsteht, die sich bis an das Lebensende der beiden fortsetzen wird. Der Beziehung zwischen den beiden und ihrer Reise in den Osten widmet er weiten Raum (155–201). In der Beschreibung des Lebens des Hieronymus in Bethlehem werden dann die literarischen Arbeiten einbezogen, und die heftigen Kontroversen, die er in dieser Zeit führt. Stets gelingt es dem Vf., den Zusammenhang zwischen dem Leben und der philologischen und theologischen Arbeit des Hieronymus im Blick zu behalten. Da seine Arbeit an der Bibel einen so großen Umfang hat, dass sie in einer Biographie nicht erfasst werden kann, stellt der Vf. einige Schriften exemplarisch vor, wie z. B. den Jona-Kommentar (233–237). Er zeigt dabei auch deutlich den Antijudaismus des Hieronymus. Dass Origenes für dessen exegetische Arbeit ein großes Vorbild war, ist lange bekannt. Der Vf. zeigt dann die Tragik der Kontroversen um die Rechtgläubigkeit des Origenes (247–260), die Hieronymus zu einer nachträglichen Distanzierung von seinem Vorbild zwangen. Die Kontroverse um Pelagius, der Streit mit Johannes von Jerusalem, die gewalttätigen Angriffe auf sein Kloster und der Fall Roms bilden den Hintergrund der letzten Lebensjahre des Hieronymus, auch sie werden angemessen geschildert.
Dem Vf. ist eine lebendige Biographie gelungen, die der Bedeutung des Hieronymus gerecht wird und ihn mit den Ambivalenzen seines Lebens und seines Charakters zeigt, ohne die Sympathie für den Kirchenvater zu verlieren.