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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1011–1014

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Koet, Bart J., Murphy, Edwina, and Esko Ryökäs [Eds.]

Titel/Untertitel:

Deacons and Diakonia in Early Christianity. The First Two Centuries.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XIV, 327 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 479. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-156646-2.

Rezensent:

Klaus Scholtissek

Dieser Sammelband möchte (nahezu) »all the major references to deacons in the first two centuries« (13) auf dem heutigen Stand der Forschung besprechen. Die 20 Beiträge haben zum Teil skizzenhaften Charakter. Dabei sollen insbesondere neue philologische Positionen zum Verständnis von diakonia im Neuen Testament (vgl. die Thesen von John N. Collins und Anni Hentschel) Berücksichtigung finden. Der Horizont dieses Sammelbandes ist die weltweite ökumenische Diskussion zur schriftgemäßen Gestalt von diakonischen Ämtern bzw. einer diakonischen Gemeinde.
Peter-Ben Smit setzt in seinem Beitrag »Exegetical Notes on Mark 10:42–45. Who serves Whom?« (17–29) »a veritable paradigm shift in the interpretation of ›διακονέω/διακονία‹ in early Chris-tianity, including the New Testament« (17) voraus und wendet sich mit dieser Annahme dem locus classicus Mk 10,42–45 zu. Smit versteht den Paradigmenwechsel als Wechsel vom niedrigen Dienst (humble service) zu servant leadership (vgl. 18). Mit J. N. Collins und A. Hentschel gehe es in Mk 10,42–45 nicht um Statusfragen und/ oder Autorität, sondern um die Loyalität Jesu gegenüber seinem Auftrag bzw. Auftraggeber. Gleichzeitig führt er diese Auslegungsrichtung in einem wichtigen Punkt weiter bzw. variiert sie in einem entscheidenden Punkt: ›διακονέω als »acting on behalf of« in Mk 10,42–45 sei nicht so sehr auf die korrekte und konsequente Ausführung des göttlichen Auftrags durch den Auftragnehmer zu beziehen: »›acting on behalf of‹ happens primarily in relation to the community« (19). Unter Berücksichtigung von Mk 9,35 sieht Smit diakonisches Handeln im Markusevangelium nicht unmittelbar an Gott als Auftraggeber gebunden, sondern an die Gemeinde als Auftraggeberin: »The Gentile model positions the leader over the community; the Markan model positions the community over the leader« (28). Zusammenfassend betont Smit, der Evangelist Markus »presents leadership in the community as being characterised by exercising authority on behalf of others. This is inherent in the use of διακονία terminology. Second, in the community that Mark imagines, such an ideal-typical leadership consists of acting on be­half of the community and in its service« (29).
John N. Collins (vgl. 31–43) wiederholt seine Thesen (Ders., Diakonia. Re-interpreting the Ancient Sources, New York 1990; Ders., Diakonia Studies. Critical Issues in Ministry, New York 2014) und wendet sie auf Mt 25,31–46 an: »My studies, […], have, […], estab-lished not only that activities designed as diakonic in one way or another are all in fact activities carried out according to a mandate and never imply benevolence, but also that any such designated activities are not inherently lowly« (39). Seine Auslegung von Mt 25, 44 zieht aus dieser Vorgabe die Konsequenz: In V. 44 gehe es ausschließlich um die Beziehung zwischen »royal attendants and the king. They are now learning, that their dedication to the king had blinded them to their responsibilities within the kingdom, namely, to fellow members in need. The modern theological/ethical construct of diakonia can take nothing for its enrichment from the occurrence of the διακον- verb at Matt 25:44« (42).
An die hier vorgetragenen Thesen zum Markus- und zum Matthäusevangelium sind aus Sicht des Rezensenten erhebliche Rückfragen zu stellen: Ist es wirklich eine text- und kontextgemäße Alternative, wenn Peter-Ben Smit für Mk 10,42–45 mit J. N. Collins und A. Hentschel zwischen Status bzw. Autorität einerseits und Loyalität gegenüber dem Auftrag Jesu andererseits unterscheidet? Ist es wirklich eine text- und kontextgemäße Alternative, wenn Peter-Ben Smit unter Berücksichtigung von Mk 9,35 diakonisches Handeln nicht unmittelbar an Gott als Auftraggeber zurückgebunden sehen möchte, sondern an die Gemeinde als Auftragge-berin? Ist es wirklich eine text- und kontextgemäße Alternative, wenn J. N. Collins mit Blick auf Mt 25 die formale Mandatierung einerseits und den konkreten Handlungsauftrag andererseits in zwei getrennten Welten verortet?
In seiner Auslegung des »Lukan Diptych on Διακονία« Lk 10,38–42 und Apg 8,1–7 vertritt Bart J. Koet – anders als J. N. Collins– die These, dass beide lukanischen Erzählungen Wort(-verkündigung) und Handeln gerade nicht voneinander trennen, sondern in der Reihenfolge Hören (und Lernen) und dann Handeln zusammenbinden. Beide Erzählungen betonen »a connection between the ministry of the word and the ministry of deeds« (48). In den διά- κονοι in Joh 2,5.9 sieht Bart J. Koet keine Hinweise für ein (sich später entwickelndes) Diakonenamt: »indirectly this narrative will show us something about the cultural background within which the ministry of deacons arose« (67). Joke H. A. Brinkhof untersucht Apg 6,1–6; 8,4–40 und 21,8 und schlussfolgert, dass Philippus und die anderen Männer aus Apg 6 wie die Apostel und von ihnen beauftragt das Evangelium in Wort und Tat verkündigen sollen: »Thus the title ›evangelist‹ is not a ›slip of the pen‹ by Luke, the author of Acts, but represents his vision that, like the apostles, ›deacons‹ in words and deeds spread the good news on the kingdom of God and the name of Jesus Christ all over the world.« (90)
Margaret Mowczko rekonstruiert die Rolle und Bedeutung der Phoebe von Kenchreä in Röm 16,1–2 (»our sister«; »a deacon of the church at Chenchreae«; »a benefactor of many and of myself as well«): »Phoebe had a recognized position and ministry in Cenchrea, and Paul probably used the word διάκονος in Romans 16:1 as he did in Philippians 1:1, for ministers with a recognized leadership role« (101). Anni Hentschel setzt in »Paul’s Apostleship and the Concept of Διακονία 2 Corinthians« die in ihrer Monographie (Dies., Diakonia im Neuen Testament, Tübingen 2007) ausführlicher begründete These voraus: Paulus verwende die beiden Begriffe ἀπόστολος und διάκονος »to his own role as a messenger mandated to preach the gospel in the name of Christ or God. In the light of the semantics of the Greek term διακονία and its cognates, any interpretation of the διακονία of Paul as a self-abasing and self-sacrificing service for his communities is no longer possible« (102; wörtlich wiederholt: 115). Lauri Thurén kommt in der Auslegung von 1Tim 3, 8–13 zu einem gegenüber anderen Forschungsbeiträgen extrem nüchternen Ergebnis. Aus diesem Katalog ließen sich nur sehr wenige klare Schlussfolgerungen ziehen: »The author only presents stereotypical ethical virtues, serving the same rhetorical purpose as the listing of corresponding vices of the antagonists: to seperate the audience from these rival teachers and thereby minimalise their unwanted influence on the congregation« (130).
Zur Vorsicht vor Überinterpretationen des Vorkommens von ministrae bei Plinius (Ep. Tra. 10.96.7–8) warnt John G. Cook (133–148). Belege für ministrae in zeitgenössischen Quellen lassen keine präzise Bestimmung zu. Zwischen der Wahrnehmung und Deutung der ministrae bei Plinius und der Realität der christlichen Gemeinde liege ein für Historiker nicht zu überwindender Graben. Bart J. Koet fasst das Zeugnis des Ignatius von Antiochien zu den drei Gruppen Bischöfe, Diakone und Presbyter in einem (wenig hilfreichen) mo­dernen Vergleich zusammen: »The bishop resembles the CEO, the deacons are a mix of his personal assistants and his managers, and the presbyterium reflects the position of the board.« (163) Für Clemens von Alexandrien resümiert John N. Collins ebenfalls sehr vage: »No doubt we now realise that Clement provides an incomplete report on deacons of his day. […] He expected nothing less than a live lived according to the gospel« (176). Der 1. Clemensbrief legitimiere – so Bart J. Koet – das zweifach gegliederte Amt (Bischöfe und Diakone verstanden als »leaders and their assistants« [191]) in Rekurs auf Jes 60,17 als göttlichen Ursprungs und als Ausweis der Kontinuität mit Israel (vgl. auch die Ausführungen von Bart J Koet zur Passio Perpetuae; 255–271). Auch dem Hirt des Hermas lassen sich – Mark Grundeken zufolge – keine präzisen Aussagen entnehmen, »what deacons did in the early church« (202). Clayton N. Jefford betont auch für Didache 15,1–2 einen offenen Textbefund, der modernen Fragen we­nig Antworten biete (vgl. 203–213). Die Zeugnisse bei Justin und Irenäus fasst Paul Foster zusammen: »Therefore, in the second half of the second century deacons were expected to be individuals who exemplified the moral behaviour expected from Christian leaders, and one of their key functions was in assisting the main leaders of a Christian community in the distribution of the Eucharist.« (226) Tertullian kennt ein dreigliedriges sazerdotales Amt (Bischof, Presbyter, Diakon) und betont gleichzeitig das allgemeine Priestertum (vgl. Anni Maria Laato, 245–253).
Der Sammelband schließt (in der Anordnung etwas überraschend) mit Beobachtungen zu »Deacons in the Texts Contempo-rary with the New Testament (Philo of Alexandria and Josephus)«: Anssi Voitila betont, dass διάκονος in diesen Schriften für eine Person verwendet werde, »who acts as an intermediary, that is, a secondary agent, between the primary agent and a beneficiary, a third person or group of persons« (284).
Die in diesem Sammelband fortgeführte und nur teilweise mit neuen Differenzierungen aufwartende Diskussion betrifft Grundfragen der Ekklesiologie (u. a. Gestalt und Ausrichtung der Ämter bzw. Leitungsaufgaben) und insbesondere der Diakonie und ihre jeweiligen neutestamentlichen und frühchristlichen Grundlagen. Die keineswegs abgeschlossene Diskussion ist mit hoher Gründlichkeit weiterzuführen. Die vorliegenden Beiträge lassen keinen Forschungskonsens erkennen und lesen sich weithin als Warnung, die neutestamentlichen und frühen christlichen Zeugnisse mit modernen Fragen und Interessen zu überfrachten.