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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1009–1011

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gregory of Nyssa

Titel/Untertitel:

In Canticum Canticorum. Analytical and Supporting Studies. Proceedings of the 13th International Colloquium on Gregory of Nyssa (Rome, 17–20 September 2014). Ed by G. Maspero, M. Brugarolas and I. Vigorelli.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2018. 596 S. = Vigiliae Christianae. Supplements, 150. Geb. EUR 199,00. ISBN 978-90-04-38144-5.

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

Zusammengestellt sind 16 Hauptvorträge und 14 ergänzende Beiträge von dem Gregor-Colloquium über die 15 Homilien zum Hohenlied. Die Sprachen sind meist Englisch, aber auch Deutsch (4), Französisch (1), Italienisch (3) und Spanisch (1). Gewidmet ist der Band Lucas Francisco Mateo Seco, der das Colloquium mit vorbereitet hat, aber im Februar 2014 starb. Die Hauptvorträge sind thematische Zugänge zu Gregors Predigten anstelle von Kommentaren zu den einzelnen Predigten. Ihre Länge beträgt ca. 20 Seiten, nur die Einleitung ist doppelt so umfangreich. Das Stellenregister lässt nur schwer erkennen, welche Textabschnitte interpretiert werden. Auf eine Gesamtbibliographie wurde verzichtet zugunsten der Bibliographien bei jedem Beitrag. Der Index nominum ist digital generiert und umfasst alle Namen, moderne und alte. Durch Nachprüfen ergab sich, dass nur sechs Autoren den Quellenapparat in Langerbecks Edition benutzt haben und vier Autoren das Lexicon Gregorianum von F. Mann. Es ist zu begrüßen, dass die Literaturangaben in den Anmerkungen jeweils vollständig sind, so dass auch das Erscheinungsjahr verzeichnet wird; ich jedenfalls möchte wissen, wer wessen Studie gekannt haben sollte.
Die Organisatoren des Colloquiums haben entschieden, dass die 15 Homilien zum Hohenlied nicht einzeln kommentiert werden sollen, sondern dass thematische Analysen das Verständnis des Werkes erschließen können. Das Forschungsniveau ist durch Begriffe wie »moral philosophie«, »apophatism«, »ontological epistomology«, ep-ektasis und »infinite progress« (in der Unendlichkeit Gottes begründet) angezeigt. Die analytischen Zugänge behandeln Themen, die man erwartet, aber vereinzelt auch kritische Fragen zu Gregors Ausführungen in seinen Homilien: einleitende Gliederung und Verknüpfung der Themen (G. Maspero), homiletisches Genre (C. Mores-chini), Textgeschichte (M. Cassin), Gregor und Makarios (R. Staats), Allegorie (M. Simonetti), Glaube und Erkenntnis (M. Laird), Trinitätstheologie (V. H. Drecoll), Christologie und Inkarnation (M. Brugarolas), Soteriologie (J. Zachhuber), Tauflehre (E. Ferguson), Spiegelmetapher (L. Karfíková), Rhetorik (M. Ludlow), Apokatastasis (I. Ramelli), Epektasis (J. Warren Smith), Dogmatik und Askese (S. Coakly). Ich greife heraus, was mir interessant erschien.
M. Cassin bietet eine Geschichte des Gregor-Textes zum Hohenlied. Es gelingt ihm, die Herkunft zweier Familien richtiger als der Editor Langerbeck zu beschreiben. Zwar behauptet er, dass sich deswegen die Wertigkeit der Textzeugen und der Text ändere, aber dafür gibt er kein einziges Beispiel (90 f.).
Eine lange Einleitung hat G. Maspero geschrieben in der Ab­sicht, das Werk als Ganzes vorzustellen. Dazu bietet er eine ausführliche »Gliederung«, die alle Sinnabschnitte benennt, und geht dann der Verknüpfung der theologischen Themen nach. Es gelingt ihm nicht, die Abfolge und Dynamik der Auslegung des Hohenlied-Textes deutlich zu machen. Denn er müsste sich auf die Sprachebenen einlassen, die einerseits in dem Text des Hohenliedes und der fortschreitenden Interpretation Gregors eingenommen werden und andererseits in der Verflechtung von Philosophemen und christlicher Theologie bestehen. M. Simonetti weist in seiner Analyse der Interpretationsmethoden Gregors zu Recht darauf hin, dass das Thema der fortschreitenden Askese nicht vom Hohenlied-Text gegeben, sondern von Gregor dem biblischen Text übergestülpt worden ist.
Ein wichtiges Beispiel für die Aufnahme und Umformung der philosophischen Metapher des Spiegels erörtert L. Karfíková. Und dabei hätte sie noch nachforschen können, wer in der platonischen Tradition es für möglich hält, direkt in die Sonne zu schauen, wie Platon die Erkenntnis des wahrhaft Guten verbildlicht (vgl. Rep. 516a6–b7); Gregor verneint es und insistiert auf der Spiegelmetapher, um die Wahrnehmung der unzugänglichen Gottheit zu be­schreiben (vgl. 282–285). – Skizzenhaft geht M. Laird auf die Fähigkeit des Glaubens im Unterschied zur Erkenntnis ein, um der Seele das Unbegreifbare der Gottheit zugänglich zu machen. Ich sehe die fundamentale Bedeutung, die Gregor in vielfältigen Bildern dem Glauben zuschreibt; Laird weist auf einige Stellen hin, wo durch den Glauben die Gegenwart Gottes dem Menschen zukommt. Ich hätte gern gewusst, welche Bedeutungsfelder das Wort »Glaube« bei Gregor besitzt und wie es epistemologisch zu zergliedern ist. Die Andeutungen auf S. 173 reichen nicht aus. »Glaube« soll nach Gregor erlangen, was »Erkenntnis« nicht erlangen kann, nämlich »die Vermischung der menschlichen Seele mit dem Göttlichen«; so beschreibt Gregor den Sinn seiner Hohelied-Auslegung in Homilie I (GNO 22,19–23,1).
Die Auslegung des Hohelied-Textes in Homilieform veranlasst Gregor, auf verschiedene theologische Themen zurückzugreifen, so dass man einerseits in dem umfangreichen Werk dem theologischen Universum Gregors begegnet und andererseits nach den tragenden theologischen Grundsätzen sucht. Einige der »analytischen« Beiträge finden im Hohelied-Kommentar die vollendete Form der Theologie Gregors, z. B. T. Kobusch bezüglich der Metaphysik, weil sie im Anschluss an Klemens von Alexandrien und Origenes »metaphysics of morality« (165) ist und »univocity of moral-ity« ausformt (167 f.). M. Brugarolas sieht die Christologie als Grund und in vollendeter Form. Dem widerspricht allerdings implizit J. Zachhuber, weil er nachweist, dass der Vorwurf einer physischen Erlösungslehre, den Wilhelm Herrmann in seiner Dissertation (Halle 1875) erhoben hatte, zutrifft, und zwar wegen einer unausgeglichenen Trennungs-Christologie (247.254). Herrmann hatte gemeint, dass Gregor das göttliche Alleinwirken praktisch durch das menschliche Mitwirken bei der Ausformung der Tugend kompensiere, und Zachhuber kann das eindrücklich bestätigen (249–251).
V. H. Drecoll findet im Hohelied-Kommentar eine konfuse Nachlässigkeit betreffs der Trinitätslehre im Vergleich zu den antihäretischen Schriften Gregors. Immerhin sei jedoch die Grundeinsicht durchgehalten, dass Gottes Wesen in der Eigenschaft »unendlich« »eine schlechthinnige Einheit impliziert« (195), so »dass Ziel, Mittler und Weg der Erlösung zusammenfallen« und ein unterschiedliches Wirken der göttlichen Hypostasen undenkbar werde. S. Coakley widerspricht, muss dafür aber vier Hypothesen aufeinanderschichten. Gregor vernachlässige nicht die trinitarischen Distinktionen, sondern gehe ganz methodisch vor. Es komme ihm bei seiner »philosophischen Auslegung« (Verweis auf GNO VI 180, 11–15) an auf »incorporation into, and/or extension of, the energeia of the Trinity into the life of the believer or the Church« (366). In einer formal abschließenden Formulierung über die ganz neue trinita-rische Denkform heißt es: »one not forged on a ›flat plane‹ looking outwards to the sceptic or heretic, but one looking inwards into the Church and concocted out of the ascending, progressivist task of ever deeper incorporation into the life of God« (372). Ob und wie Drecoll darauf geantwortet hat, wird nicht aufgezeichnet.