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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1007–1009

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Morales, Nelson R.

Titel/Untertitel:

Poor and Rich in James. A Relevance Theory Approach to James’s Use of the Old Testament.

Verlag:

University Park: Eisenbrauns (Penn State University Press) 2018. 304 S. = Bulletin for Biblical Research, Supplement 20. Geb. US$ 59,95. ISBN 978-1-57506-782-7.

Rezensent:

Michael Glöckner

Der Jakobusbrief verzeichnet seit wenigen Jahrzehnten inner-halb der neutestamentlichen Forschungslandschaft ein erkennbar wachsendes Interesse, welches sich in zahlreichen Kommentaren, Monographien und Aufsätzen niederschlägt. In die Reihe der Einzeluntersuchungen ist die von Nelson R. Morales vorgelegte Dissertation einzuordnen. M. stammt ursprünglich aus Chile und ist inzwischen Professor für Neues Testament, Griechisch und Hermeneutik am Central American Theological Seminary (SETECA) in Guatemala. Damit liegt eine Sicht auf den Jakobusbrief vor, die sich von den weithin dominierenden nordamerikanischen und europäischen Forscherperspektiven abhebt. Schon darin liegt ein grundlegender Reiz dieses Buches.
Leitendes Interesse der Studie ist der Gebrauch des Alten Testaments bei den Passagen, in denen der Autor des Jakobusbriefes die Thematik von Armut und Reichtum ventiliert. Als Hintergrund für den gesetzten Fokus wird bereits im Vorwort die besondere Bedeutung dieser Thematik gleichermaßen im Duktus des Jakobusbriefes wie in der gegenwärtigen lateinamerikanischen Diskussion benannt. M. sieht in dem Autor der Schrift den Herrenbruder, merkt aber an, dass diese Entscheidung keine Auswirkungen auf die Schlussfolgerungen seiner Studie hat (21). Für M. liegt die Intention des Jakobusbriefes darin, den Glauben der Adressaten an Jesus Christus zu stärken und sie anzuhalten, ein konsequentes christliches Leben zu führen (74). Dazu gehört die Beseitigung der Inkongruenz zwischen dem Glauben einerseits und der despektierlichen Behandlung armer Menschen auf der anderen Seite.
Die sehr sorgfältig gearbeitete Monographie besteht aus sechs Kapiteln. Die ersten beiden widmen sich den klassischen Einleitungsfragen und stellen die zugrundeliegende Methodik vor. In den Kapiteln 3 bis 5 untersucht M. detailliert einzelne Textpassagen des Jakobusbriefes (1,9–11.26 f.; 2,1–26 und 4,13–5,11). Die Exegesen werden jeweils durch eine Auswertung zusammengefasst. Ein knappes Resümee zu den einzelnen Untersuchungen und im Blick auf die Gesamtfragestellung (Kapitel 6) sowie die üblichen Verzeichnisse schließen die Studie ab.
Die Behandlung der Thematik von Armut und Reichtum ist für die Jakobusforschung alles andere als neu. In der Einleitung stellt M. darum pointiert ausgewählte Ansätze vor, u. a. von Dibelius, Maynard-Reid, Tamez, Johnson, Frankemölle, Wachob, Hartin, Batten und Lockett. Dominierte über einen langen Zeitraum wie in anderen Forschungsgegenständen auch das von Martin Dibelius ausgearbeitete Konzept der sogenannten »Armenfrömmigkeit« (Dibelius sieht in der Armut vorrangig einen religiösen Begriff, arm und fromm erscheinen ihm darum parallel), werfen jüngere Untersuchungen ein neues Licht. Soziologische Zugänge prägen ganz offensichtlich die vorliegende Studie. Das erweist sich beispielsweise daran, dass bei den behandelten Texten stets eine nu­merische Skalierung von Reichtum bzw. Armut vorgenommen wird (vgl. die Übersicht »Comparison of population categories in the urban context of the Roman Empire according to the Poverty Scale of Friesen [2004] and the Economic Scale of Longenecker [2010]«, 81). Mit einer solchen Vorgehensweise reiht sich die Studie von M. ein in eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die den Jakobusbrief bzw. Einzelaspekte unter neuen Vorzeichen diskutieren (von Gemünden, Konradt, Niebuhr u. a.). Hier und an anderen Aspekten auch wird die dem Jakobusbrief von Dibelius zugewiesene »Armenfrömmigkeit« zu Recht ad acta gelegt.
In vergleichbarer Weise leitet M. in die Forschungslage des Ge­brauchs alttestamentlicher Vorlagen innerhalb des Jakobusbriefes ein. Dessen Autor baut seine Ausführungen erkennbar auf die LXX und die Lehren Jesu auf. Bei der Vorstellung unterschiedlicher Ansätze in dieser Sache (u. a. Mayor, Johnson, Wall, Allison, Carson) vermisst der kritische Rezensent die ertragreiche Studie von Robert J. Foster, The Significance of Exemplars for the Interpretation of the Letter of James [WUNT II/376], Tübingen 2014.
Methodische Grundlage ist die von Dan Sperber und Deirdre Wilson entwickelte »Relevance Theory«, welche seit jüngerer Zeit Eingang in exegetische Studien gefunden hat (Harriet Sim, Stephen Pattemore, David Hoe, Steve Smith u. a.). Gleichberechtigt nebeneinander stehen hier die Blickwinkel des Schreibers wie die der Leserin bzw. Hörerin.
In drei Perspektiven, so der Anspruch von M., profitiert die neutestamentliche Forschung von seiner Arbeit (29). Erstens leiste sie einen Beitrag zur Diskussion von Armut und Reichtum im Jakobusbrief mittels des Gebrauches des Alten Testaments für das Neue Testament. Daneben steuere sie exemplarisch zum Nutzen der »Relevance Theory« in biblischen Studien bei. Schließlich stelle sie neue Einsichten in der Diskussion von Armut und Reichtum in grundsätzlicher Weise und im Besonderen in Lateinamerika zur Verfügung. Dieser Anspruch scheint nicht zu hoch gegriffen und wird in unterschiedlicher Intensität eingelöst. Perspektiven aus der Befreiungstheologie sind präsent, dominieren jedoch nicht die Studie. Dagegen beeindruckt die Weitsicht und Gründlichkeit in der Behandlung der einzelnen Texte. Jeder von ihnen wird in analoger Weise unter feststehenden Gesichtspunkten untersucht. Um den konkreten Bezug zu einer alttestamentlichen Vorlage zu definieren, wendet M. von Richard B. Hays entwickelte Kriterien an. Dazu gehören »availability«, »volume«, »recurrence« und »thematic co-herence«.
Aus seinen Untersuchungen leitet M. sechs Charakteristika für den Gebrauch des Alten Testaments im Jakobusbrief ab. Dazu gehört, dass das Alte Testament und die Lehre Jesu eng miteinander verflochten sind und dass Jakobus dafür nur selten einleitende Formeln gebraucht. Dieses Vorgehen geschieht strategisch zur Unterstreichung des eigenen Diskurses. Dabei werden die Vorgaben eher lose eingebunden und bestimmte Facetten unabhängig von ihrem Ursprungskontext hervorgehoben, so dass ein Überraschungseffekt entsteht. Das ist beispielsweise deutlich an der Darstellung der biblischen Exempel Abraham, Rahab, Hiob und Elia abzulesen. Dabei wird eine solche Vertrautheit von Autor und Briefempfängern vorausgesetzt, dass im Regelfall einige Namen bzw. Wörter ausreichen »to trigger […] a range of weak implica-tures« (236). Das kann für die genannten Beispiele nachgewiesen werden.
Neben anderen Phänomenen, die in verschiedenen Einzelstudien bereits hinreichend untersucht worden sind oder aber erst noch entdeckt werden können, sind die das Schreiben durchziehende, in ganz vielfältigen Bereichen wiederkehrende Thematisierung der Frage von Armut und Reichtum sowie die kontinuierliche Anwendung des Alten Testaments ein Beweis für die Kohärenz des Jakobusbriefes. Auch das kann schließlich als ein Ertrag der Untersuchung von M. angesehen werden.
Abschließend lässt sich ausführen, dass M. eine wichtige Studie vorgelegt hat, die insbesondere diejenigen inspirieren sollte, die sich vertieft mit der sozialen Perspektive bzw. mit der Rhetorik des Jakobusbriefes befassen wollen.