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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

993–995

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mattison, Kevin

Titel/Untertitel:

Rewriting and Revision as Amendment in the Laws of Deuteronomy.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XI, 208 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 100. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-155815-3.

Rezensent:

Eckart Otto

Der Studie von Kevin Mattison, Lecturer of Hebrew Bible an der University of Wisconsin-Madison, liegt seine Dissertation an dieser Universität zugrunde, die erneut die gegenwärtig intensiv und kontrovers diskutierte Frage stellt, ob die Relecture des Bundesbuchs im Buch Deuteronomium dieses ergänzen oder ersetzen will, und die über diese Alternative des Charakters der Relation dieser beiden Gesetzeskorpora als »supersessionist« oder »complementary« hinausführen will mit der These, es gehe bei der Rezeption des Bundesbuchs im Deuteronomium nicht um Ergänzung oder Abschaffung, sondern um eine Verbesserung (»amendment«) des Bundesbuchs durch das Deuteronomium, wie es auch in den literarischen Fortschreibungen innerhalb der Gesetze des Deuteronomiums jeweils um deren Verbesserung gegangen sei, nicht aber um eine Aufhebung des fortgeschriebenen Textes durch den fortschreibenden. Während die Vertreter einer Ergänzungsthese das Gewicht auf die Kontinuität zwischen Bundesbuch und Deuteronomium legen, betonen die Vertreter der These einer subversiven Rezeption mit dem Ziel eines »recycling« des Bundesbuchs, so Bernard M. Levinson, durch das Deuteronomium die Unterschiede.
Der Vf. sucht die Kriterien für die Charakterisierung der Rezeption des Bundesbuches im Deuteronomium innerhalb der Fortschreibungen im Deuteronomium selbst. Abzulehnen sei die These, für die Autoren des Deuteronomiums sei das Bundesbuch nur Spender von Rohmaterial ohne Autorität gewesen, so dass sich die Frage nach der Rechtshermeneutik der literarischen Rezeption gar nicht stelle, wie es J. Pakkala (God’s Word Omitted, 2013) recht kurzschlüssig behauptet. Dagegen sprechen nach Meinung des Vf.s die Querverweise im Deuteronomium auf das Bundesbuch ebenso wie die Textrezeptionen verbatim des Bundesbuches im Deuteronomium. Gerade auch die Lücken, die die Autoren des Deuteronomiums bei ihrer Rezeption des Bundesbuchs lassen, setzen voraus, dass sie ihrerseits für das Verständnis ihres Textes im Deuteronomium die Kenntnis des Bundesbuchs bei ihren Adressaten voraussetzen, ja das Deuteronomium geradezu parallel mit dem Bundesbuch gelesen werden soll. »Ungrammaticalities and infelicities within D(eu-teronomy), at scales ranging from minor gaps in substance and logic to D's overall framing, are resolved by reading D alongside the C(ovenant) C(ode) document.« (16) Der Vf. unterscheidet drei Formen der Relationierung zwischen dem Bundesbuch als dem rezipierten und dem Deuteronomium als dem rezipierenden Text, die Ergänzung (»complementation«), bei der der Autor im Deuteronomium dem rezipierten Text einen anderen hinzufügt, die Voraussetzung (»presupposition«), bei der der Autor im Deuteronomium einen Teil des rezipierten Texts auslässt, das Ausgelassene aber für das Verständnis seines Textes im Deuteronomium voraussetzt, was durch eine Verweisnotiz angezeigt werden kann, sowie schließlich die Außerkraftsetzung (»overriding«), bei der der rezipierende Text des Deuteronomiums dem Bundesbuch als dem rezipierten Text widerspricht. Diese letztere Relation ist die komplexeste und problembeladenste der Studie, muss sie doch Auskunft darüber geben, wie widersprüchliche Gebote in ein und derselben Tora des Pentateuch ausgeglichen werden können. Das so umrissene me­thodische Programm erprobt der Vf. anhand der Exegese der Zentralisationsgesetze in Dtn 12, der Zehnt- und Erstlingsgesetze in Dtn 14,24–26; 15,19 f. und der Asylgesetze in Dtn 19,1–13 jeweils in Aufnahme entsprechender Gesetze des Bundesbuchs, was hier pa-radigmatisch anhand der Zentralisationsgesetze als Hauptgesetze in Dtn 12–26 nachgezeichnet werden soll. Die Spannungen und Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Fortschreibungen in Dtn 12 unterscheiden sich nach Meinung des Vf.s nicht qualitativ von denen zwischen dem Altargesetz des Bundesbuchs in Ex 20,24–26 und Dtn 12, sei es doch hier wie dort darum gegangen, den jeweils vorgegebenen Text zu verbessern. In Ex 20,24–26 im Verein mit Dtn 12 unterscheidet der Vf. vier Phasen der Fortschreibung beginnend mit dem Altargesetz des Bundesbuchs, für das jede Schlachtung eine kultische an einer Vielzahl von lokalen Altären sein soll, während in Dtn 12,13–19 die Möglichkeit profaner Schlachtung in den Ortschaften eröffnet wird und die kultischen Schlachtungen auf den einen von JHWH erwählten Ort eines zentralen Heiligtums beschränkt werden. Daran knüpfe die Fortschreibung in Dtn 12,2–7 an, die das Zentralisationsgebot legitimieren wolle und Dtn 12,13–19 literarisch voraussetze. Schließlich sei mit Dtn 12,8–12.20–28 die Zentralisierung des Kultes und damit der kultischen Opfer nach der Landnahme zeitlich hinausgeschoben worden, um auf diese Weise das Zentralisationsgebot in Dtn 12 mit dem Altargesetz des Bundesbuchs zu vermitteln. Diese Abfolge der Fortschreibungen in Dtn 12 ist stimmig, verzichtet aber auf eine literaturhistorische Einordnung und Datierung der Fortschreibungen. Stimmig ist auch die These, dass in den Fortschreibungen in Dtn 12 stets Ex 20,24–26 im Blick und die letzte Fortschreibung in Dtn 12 um einen Ausgleich mit dem Altargesetz des Bundesbuches bemüht ist.
Doch drei zusammengehörige, für das Verständnis der Rechtshermeneutik der literarischen Relationierung von Bundesbuch und Deuteronomium unerlässliche Aspekte bleiben in der Studie des Vf.s ausgeklammert. So wird in Dtn 12,20–28 nicht nur, wie der Vf. meint, auf das Altargesetz des Bundesbuchs Bezug genommen, sondern vornehmlich auf die Opfergebote des Heiligkeitsgesetzes in Lev 17, das seinerseits in dem in Dtn 12,23 rezipierten Vers Lev 17,11 die Priesterschrift in Gen 9,4 voraussetzt. Dtn 12 sucht einen Ausgleich auch mit den im Detail vorausgesetzten Opfergeboten in Lev 17 durch das Motiv der Erweiterung des Landes. Damit verbunden bleibt der Vf. eine Antwort auf die Frage schuldig, welcher Art der literarische Zusammenhang zwischen Bundesbuch und Deuteronomium sein sollte, der einen Ausgleich zwischen Bundesbuch und Deuteronomium erst nötig machte. Stellt man in Rechnung, dass in Dtn 12,8–12.20–28 nicht nur das Altargesetz des Bundesbuchs im Blick ist, sondern auch die Opfergebote des Heiligkeitsgesetzes in Lev 17, wird in Dtn 12,8–12.20–28 ein Autor erkennbar, der die gesamte Sinaiperikope einschließlich ihrer post-priesterschriftlichen Anteile voraussetzt. In Dtn 19,1–13 als Revision des Asylgesetzes im Bundesbuch in Ex 21,12–14 erkennt der Vf. in Dtn 19,8–10 einen späten Eintrag, der Num 35,10–14 voraussetzen soll, was die literarische Relation zwar auf den Kopf stellt, aber Anlass gegeben hätte, der Art der literarischen Relation zwischen diesen Texten nachzugehen. Stattdessen begnügt sich der Vf. mit der Auskunft, die Autoren in Dtn 19,8–10 wollten das Profil des Deuteronomiums gegenüber dem in Num 35,10–14 schärfen. Welche literarische Verknüpfung dieser Texte aber hätte eine derartige Profilschärfung notwendig gemacht? Eine Antwort darauf gibt der Vf. ebenso wenig hier wie in Bezug auf die literarische Relation, die einen Ausgleich zwischen Bundesbuch und Deuteronomium nötig machte. Der Ausgleich zwischen dem Altargesetz des Bundesbuchs und der Zentralisationsgesetzgebung des Deuteronomiums be­schränkt sich keineswegs nur, wie der Vf. meint, auf die temporäre Sistierung der Kultzentralisation in Dtn 12,8–12.20–28, sondern schließt auch die Interpretation des Altargesetzes im Bundesbuch mit ein, insofern kăl hammāqôm in Ex 20,24 nicht nur distributiv auf eine Mehrzahl von Orten zu beziehen ist, was das ursprüngliche Verständnis im literarisch eigenständigen Bundesbuch war. Daneben kann mit kăl hammāqôm auch die Gesamtheit und Einheit eines Ortes bezeichnet und er auf diese Weise herausgehoben werden, was der Fall ist, wenn das Altargesetz des Bundesbuchs im Horizont des Zentralisationsgebots des Deuteronomiums in Dtn 12 gelesen wird, sodass sich das Altargesetz des Bundesbuchs so gelesen auf den von JHWH erwählten Ort eines Zentralheiligtums bezieht, an dem JHWH seinen Namen wohnen lasse. Auf diese Weise wird die Auslegung der Sinaitora in der Moabtora des Deuteronomiums am Sinai verankert und ein Ausgleich zwischen dem Altargesetz des Bundesbuchs und Dtn 12 ge­sucht. War das Altargesetz des Bundesbuchs zunächst Ausgangspunkt für seine Revision in Dtn 12 durch das Gebot der Opferzentralisation, soll schließlich das Altargesetz im Bundesbuch als revidierter Text im Horizont des revidierenden Textes im Deuteronomium als hermeneutischer Schlüssel gelesen und interpretiert und so die Widersprüchlichkeit aufgehoben werden, was durch die grammatische Doppeldeutigkeit von Ex 20,24 ermöglicht wird.
Der Vf. hat eine sorgfältige Studie vorgelegt, die auch die europäische Forschungsliteratur zum Deuteronomium in der Breite berücksichtigt. Insofern ist ihre Veröffentlichung in einer deutschen Reihe nur konsequent. Die Studie hat ihren Wert aber vor allem auch für die amerikanische Diskussion, wenn sie in dem vor allem dort geführten Disput zwischen »supersessionists« wie Bernard M. Levinson (Deuteronomy and the Hermeneutics of Legal Innovation, 1997) und »complementarists« wie Joshua Berman (Inconsistency in the Torah, 2017) vermitteln will. Der Vf. tut dies auf eine bedächtige und wohlstrukturierte, in den exegetischen Schritten stets nachvoll-ziehbare Weise, auch wenn die amendment-These keineswegs einen »new approach« darstellt. Da er sich auf eine nur relative Chronologie der analysierten Texte beschränkt, lässt er der Forschung einen weiten Raum für die zukünftige Arbeit.