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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

989–991

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Emmendörffer, Michael

Titel/Untertitel:

Gottesnähe. Zur Rede von der Präsenz JHWHs in der Priesterschrift und verwandten Texten.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2019. X, 317 S. m. 36 Abb. = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 155. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-7887-3338-4.

Rezensent:

Thomas Wagner

Nach seiner 1998 in der Reihe Forschungen zum Alten Testament als Bd. 21 erschienenen Dissertation Der ferne Gott, in der sich Michael Emmendörffer mit der Überwindung der Zerstörung Jerusalems in alttestamentlichen Volksklageliedern befasst, wendet er sich in dieser seiner nun vorliegenden Neuendettelsauer Habilitationsschrift der Neubegründung des Gottesverhältnis in exilisch-nachexilischer Zeit durch P zu. Methodisch baut er auf Analogiebildungen auf und führt diese sowohl im Bereich der Religionsgeschichte (Gottespräsenz in ägyptischen und mesopotamischen Kulten), hinsichtlich literarischer Fragestellungen der Hebräischen Bibel (P vergleichbare Neuentwürfe in der Qumranliteratur) sowie bezogen auf das Verhältnis von P, Ez und DtJes aus. Mittels der Analogien begründet er die eigenständige Position der Priesterschrift im Kontext der exilisch-nachexilischen Literatur.
In der Entwicklung des alttestamentlichen Gottesbildes steht P am Übergang von einem bildhaften Kult zu einer Repräsentanz Gottes durch Emanationsformen, wie sie bei DtJes, Ez und P mit dem דובכ JHWHs beschrieben werden (59–71). Innerhalb von P bleibt das Konzept der Gottesnähe durch seinen דובכ jedoch auf die Zeit nach dem Exodus beschränkt. Die literarische Integrität sieht E. trotzdem gewahrt, da er eine Komplementarität zwischen חור und דובכ postuliert, jedoch ohne dies weiter auszuführen (84). Vielmehr erkennt er als Funktion der Schöpfungserzählung für die Realisierung der Gottesnähe Folgendes: »In den von JHWH ge­schaffenen Strukturen von Raum und Zeit vollzieht sich diese Beziehung, in der der Mensch als Ebenbild Gottes auf diesen in seinem Lebensvollzug und Schöpfungsauftrag von Gen 1 grundlegend verwiesen bleibt« (96). Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch wird anschließend im P-Teil der Fluterzählung begründet. Der – wie bei allen Bundesschlüssen in P – nicht-determinierte Bund zwischen Gott und Noah ermöglicht die Gottesnähe in der zu einer ambivalenten Lebenswelt fortentwickelten Schöpfung. »Ganz bewusst wird nur an zwei Stellen bei P von der Bundesstiftung gesprochen: bei Noah und später bei Abraham. Beide stehen gleichsam als Hoffnungsentwurf und Glaubenszeugnis für Gola- und Exilsgemeinde« (118). Mit Gen 17 und der priesterlichen Erzählung vom Bundesschluss mit Abraham wird das Thema Landgabe an Israel eingeführt, wobei der besondere Schwerpunkt auf der Fremdlingschaft liegt: »Das eigene Fremdlingsein der Gola schattet sich auch bei diesem Kronzeugen und Erzvater ab; hier ist eine Identifikation möglich, die für die erlebte Gegenwart sinnstiftend sein kann: die Zusagen des Bundes und der Gottesgegenwart zählen unverbrüchlich noch immer, darauf kann man hoffen und leben« (134 f.). Das mit diesem Bundesschluss eingesetzte Zeichen der Beschneidung deutet das in P ansonsten vermiedene »Schneiden des Bundes« (תירב תרכ) an und fügt die Vorstellung so traditionsgeschichtlich in die anderen Bundesvorstellungen ein. Die Be­tonung der Landgabe als Gegenstand des Bundes hebt E. dann auch in der Analyse der Mose-Berufung in Ex 6 hervor. »Die תירב, der Bund, hat diesen Gott an das Volk gebunden, seine Gegenwart und seine Präsenz sind damit verbrieft. Ein Faktum, an das sich Gott erinnert, ein Faktum, das von Israel in die Waagschale geworfen werden kann. Der Name (V. 3) und der geschlossene Bund (V. 4) sind die Garantie für die Gottesgegenwart« (149 f.). Mit der Exoduserzählung wird verdeutlicht, dass sich Gottes Nähe in der erlebten Ge­schichte konkretisiert. Im nächsten ›Satelliten‹-Text Ex 24,15b–25,1 tritt erstmals JHWHs דובכ in Erscheinung, die nach E. in Zeiten der Abstinenz des Tempels göttliche Gegenwart und Präsenz markiert. Das Auftreten ist traditionsgeschichtlich fest mit der Tempeltheologie verbunden und zielt bereits in diesem Textabschnitt auf die Errichtung eines neuen (Zelt-)Heiligtums. »Vorbedingung und Ermöglichung der Präsenz JHWHs unter dem Volk: das Wohnen (ןכש) JHWHs in ihrer Mitte. Eine größere Dichte und Nähe dieses Gottes ist nicht aussagbar: Gott selbst verspricht, unter seinem Volk zu wohnen« (163). Diese Nähe wird in dem von E. als Kulminationspunkt erkannten Text Ex 29,43–46 expliziert, indem Erkenntnis-, Herausführungs-, Selbstvorstellungs- und Bundesformel zusammengeführt werden. »Tempeltheologisches Denken und Traditionsgut (vgl. Jes 6) sind hier mit Händen zu greifen, aber nun umfunktioniert und transformiert in die Zusammenhänge von Sinaikult und Begegnungszelt« (168). Damit wird eine ältere Tempeltheologie zu anderen Raumkonzepten hin geöffnet. An diese Beobachtung schließt die Analyse von JHWHs Einwohnung in die S tiftshütte (Ex 40,1 f.17.33–38) an. Als Novum erkennt E. die mit dem Begegnungszelt einhergehende Beweglichkeit des Heiligtums. »Die Anklänge an Schöpfung und Sintflut innerhalb dieser Perikope zeigen, dass Gottes Nähe mit der Schöpfung begründet ist und sich auch durch Katastrophen durchhält« (179). Abgeschlossen wird der Erzählzusammenhang in Lev 9,1–24. Auch wenn, wie E. einräumt, vieles in dieser Erzählung dem heutigen Leser als se-kundär erscheint (187), sind die geschilderten rituellen Akte für P wesentlich. Hier werden bereits Vollzüge angedeutet, die in dem vermuteten Abschluss von Pg in Lev 16 bezogen auf die Sühne ausgedeutet werden. Dieses wird im anschließenden Exkurs zu Pries-ter und Hohepriester (193–208) expliziert, in dem die in Leviticus geschilderten Riten als Mittel zur Ermöglichung von Sühne be­zeichnet werden. Geschärft wird das Profil von P schließlich an den Konzepten der Gegenwart Gottes bei Ez und DtJes. Dabei baut E. erneut auf Analogien auf, hier um motivische Differenzen zu überbrücken. Als Proprium von P führt er schließlich das Mitwandern Gottes mit seinem Volk an.
Der von E. vorgelegte Entwurf einer Theologie von P wird in der weiteren Forschung zumindest drei kritische Anfragen erfahren müssen. 1. Literargeschichtlich: Für Umfang und Quellengestalt nennt E. allein kompositionelle Merkmale, um die Eigenständigkeit von P zu begründen. Er macht jedoch nicht deutlich, warum diese auf eine ursprüngliche Eigenständigkeit hinweisen. Sie könn-ten ebenso einer redaktionell gefügten Strukturierung bereits vorliegender Texte dienen (45–52). Der von ihm für die Texte verwendete Terminus »Satelliten-Texte« (97) weist implizit auf eine Strukturierung von Textblöcken hin, die P vorgegeben sind. An dieser Stelle ist das Postulat der ursprünglichen Eigenständigkeit von P zumindest bezogen auf diese ›Satelliten‹ kritisch zu hinterfragen. 2. Religionsgeschichtlich: Die Text- und Materialbelege, die zur Analogiebildung herangezogen werden, werden weder lokal noch zeitlich differenziert. Eine solche Verallgemeinerung, um Sphären göttlicher Präsenz in beiden Kulturräumen aufzuzeigen, wird dem Quellenbefund kaum gerecht. 3. Redaktionsgeschichtlich: Gegen eine Reduktion der Beziehungen von Ez, DtJes und P auf Analogiebildungen sprechen literarische Querbeziehungen, die als redaktionelle Anteile zu erkennen sind. Analogiebildung und Fortschreibung sind künftig zumindest ins Verhältnis zu setzen.