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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

983–985

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Herring, Stephen L.

Titel/Untertitel:

Divine Substitution. Humanity as the Manifestation of Deity in the Hebrew Bible and the Ancient Near East.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 244 S. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 247. Geb. EUR 55,00. ISBN 978-3-525-53612-4.

Rezensent:

Annette Schellenberg

Bei der Monographie von Stephen L. Herring handelt es sich um die überarbeitete Druckversion seiner Dissertation, die von Joachim Schaper betreut wurde. H. argumentiert darin, dass das altorientalische Bildverständnis, wonach ein Bild eine Gottheit oder einen irdischen Herrscher nicht abbildet, sondern wirkmächtig repräsentiert, auch im antiken Israel geteilt wurde. Im Blick auf Kultbilder ist diese These nicht neu und kaum strittig, H. spitzt sie aber daraufhin zu, dass sich dieses Bildverständnis im Alten Testament insbesondere auch in drei Texten zeige, in denen es um Menschen als Repräsentanten Gottes gehe.
Im ersten Kapitel gibt H. einen knappen Vorblick auf den Aufbau seines Buchs und zeigt dann verschiedene Ansätze auf, mit denen in der Bibelwissenschaft versucht wird, das altorientalische Bildverständnis zu verstehen. Er beginnt mit Peirce und seiner Unterscheidung von Symbol, Ikon und Index, verweist kurz auch auf Gadamer und stellt dann die Arbeiten von Mettinger, Berlejung und Bahrani vor, die mit je unterschiedlichen Akzenten heraus-gearbeitet haben, dass Bilder nach altorientalischem Verständnis nicht abbilden, sondern repräsentieren. Zur Verdeutlichung weist H. auf die bekannte Analogie der Vorstellung einer Realpräsenz Christi im Brot und Wein der Eucharistie.
Im zweiten Kapitel geht H. im Detail auf das mesopotamische Verständnis von Kult- und anderen Repräsentationsbildern ein. Er behandelt dabei das mīs pî-Ritual, die Praxis des Entführens von Kultbildern, die Tradition, dass ein Gott sein Bild verlassen kann, den Gebrauch von Bildern von Menschen in Ritualen sowie Texte, in denen Menschen (Könige, Priester) als »Bild« (ṣalmu) eines Gottes bezeichnet werden. Unerwähnt lässt er Ägypten, obwohl sich hier für den für ihn besonders wichtigen letzten Punkt (Menschen als »Bilder«) noch mehr Vergleichsmaterial findet als in Mesopotamien.
Im dritten Kapitel wendet H. seinen Blick nach Israel und konzentriert sich dabei zunächst auf »echte« Bilder (sprich: solche aus Holz und Stein etc.). Das Kapitel bietet einen guten Überblick über den (wohlbekannten) Befund, der zeigt, dass man auch im antiken Israel die Vorstellung kannte, dass JHWH und andere Gottheiten in Kultbildern u. Ä. präsent sein können. H. fasst das Kapitel dahin-gehend zusammen, dass sich zwar die Frage, ob im vorexilischen Tempel in Jerusalem ein anthropomorphes Kultbild JHWHs ge­standen hat, nicht mit letzter Sicherheit beantworten lässt (H. schließt sich denen an, die es vermuten), dass es aber eindeutig ist, dass die antiken Israelitinnen und Israeliten Kultgegenstände (wie Mazzeben, Ascheren und die Lade) im Gebrauch hatten, in denen sie sich JHWH sowie Aschera als präsent vorstellten.
Das vierte Kapitel in H.s Buch ist sowohl das längste als auch das innovativste. Er behandelt darin nacheinander Gen 1,26 f.; Ex 34,29–35 und Ez 36–37 und argumentiert für alle drei (priesterlichen) Texte, dass in ihnen Menschen als »Bild« bzw. wirkmächtige Manifes-tation Gottes gezeichnet werden.
Bei Gen 1 wendet sich H. mit seiner These gegen das Verständnis, bei den Gottebenbildlichkeitsaussagen gehe es allein um die Funktion des Herrschens und den königlichen Status des Menschen. Nach ihm ist »[t]he Priestly conception of humanity as di-vine image […] more than mere function, more than a raised status, but concerns the manifestation of divine presence as well« (95). Er stützt seine These u. a. mit Hinweisen auf die Parallelität zwischen Gen 1 und Ex 25–40 (Bau des Heiligtums) und mit Beobachtungen zur Poetik von Gen 1,27, die er mit mesopotamischen ( āšipu) Be­schwörungen vergleicht, um so überlegen zu können, dass es wie bei diesen auch in Gen 1,27 um eine Art Transsubstantiation geht, durch die der Mensch zu einer wirkmächtigen Manifestation Gottes wird. Nach H. gibt Gen 1 damit auch Antwort auf die Frage, wie JHWH nach der Zerstörung des Tempels präsent sein kann: »God’s presence in exile was made analogous to the real presence of a deity in his cult statue« (125). Diese Konzeption passt nach H. bestens zur universalen Perspektive von P: »Conceptualizing humanity as God’s living images allowed P to set Israel’s particular relationship with Yahwe in a universal dimension« (127). Leider belässt es H. hier bei wenigen Andeutungen. Damit bleiben entscheidende Fragen offen, etwa diejenige, warum JHWH noch einen Tempel braucht, wenn er »could dwell amongst his creation wherever humans might be« (126), und in welchem Verhältnis sich das überaus hoheit-liche Menschenbild von Gen 1 zum weiteren Fortgang der Priesterschrift verhält, wo von Sünde und Unreinheit des Menschen die Rede ist.
In Ex 34,29–35 wird der Bildbegriff zwar nicht gebraucht, dennoch argumentiert H., dass hier Mose als Manifestation Gottes ge­zeichnet ist. Dass diese These ernsthaft zu erwägen ist, zeigt der größere Kontext von Ex 32–34, wo die Frage der Präsenz JHWHs eine wichtige Rolle spielt. Neben der Parallele zwischen Moses »Gesicht« (Ex 34,29–35) und JHWHs »Gesicht« (Ex 33,18–23; 33,14 bleibt seltsamerweise unerwähnt) ist für H. vor allem die Parallele zwischen Mose und dem Goldenen Kalb entscheidend, und dabei vor allem auch das Wort ןרק (Ex 34,29.30.35). Nach ihm soll dieses nicht nur auf das Strahlen von Moses Gesicht verweisen, was einen Zusammenhang mit der »Herrlichkeit« JHWHs impliziert (vgl. das altorientalische Konzept des Götterglanzes, melammu), sondern auch andeuten, dass Mose Hörner hatte, was die Parallele zwischen Mose und dem Goldenen Kalb verdeutlicht und ein weiterer Hinweis auf Moses Göttlichkeit ist (vgl. die altorientalische Tradition von Hörnern als Zeichen der Göttlichkeit).
In Ez 36–37 sind es die Israeliten, die nach H. als Manifestation JHWHs gezeichnet sind (auch hier ohne Bildbegriff). Stärker als bei den anderen beiden Texten argumentiert er hier vor allem auch mit dem größeren Kontext, insbesondere mit der Ähnlichkeit von Ez 1,26–28 und Gen 1,26–27, Ezechiels Kritik am Götzendienst und dem Motiv, dass JHWHs Herrlichkeit den Tempel verließ. Auf diesem Hintergrund sieht er in den beiden Kapiteln über Israels Er­neuerung auch Hinweise auf eine Transformation Israels in ein »Bild«, wobei er vor allem Ez 36,25–27 (Waschung, Neuschöpfung) und 37,1–14 (»Reparatur«, Belebung durch den Geist) hervorhebt. Für H. ist die in Ez 36–37 beschriebene Transformation Israels mit dem Konzept von Kultbildern vergleichbar, die Aussagen zeigen, dass »the people of Israel will be purified, repaired, and consecrated as YHWH’s divine image« (208).
H. selbst gibt zu, dass seine These im Fall von Ez 36–37 nicht unmittelbar evident ist (214 mit dem Stichwort »less obvious«). Auch bei den beiden anderen Texten werden nicht alle überzeugt sein, dass die altorientalische Bildtheologie hier so 1:1 auf Menschen übertragen wird. Allerdings bietet H. eine Fülle von Hinweisen, die nicht vorschnell als zu weit hergeholt beiseitegeschoben werden sollten. Im Gegenteil: Sein Buch verdient die Aufmerksamkeit aller, die sich mit den drei Texten beschäftigen, denn auch wenn man seine Schlussfolgerungen nicht überall teilt, bleibt es anregend.